6646134-1958_24_25.jpg
Digital In Arbeit

Lebensstandard und Familie

Werbung
Werbung
Werbung

Es wird eine der hervorragendsten Aufgaben des Wiener Katholikentages 1958 sein, die soziale Situation der Familie erneut ins Blickfeld zu rücken und alle Verantwortlichen eindringlich zur tatkräftigen Ueberwindung eines Zu-standes aufzurufen, der uns angesichts der fortgeschrittenen Entwicklung unseres Sozialrechts mit großer Besorgnis erfüllen muß.

Wir rühmen uns eines gehobenen Lebensstandards, der sich in gewaltigen Konsumziffern offenbart. Da mag das Wort „Not“ manchem eine Phrase, zumindest eine Uebertreibung scheinen. Daß dem aber nicht so ist, geht eindeutig aus einer vom Statistischen Dienst der oberösterreichischen Landesregierung durchgeführten repräsentativen Familienbefragung hervor, die erstmals die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Familien mit drei und mehr Kindern eingehend beleuchtete*. Die Hauptergebnisse sind:

1. Zwei Drittel aller Familien mit drei oder mehr Kindern sind auf das Einkommen eines Verdieners angewiesen.

2. Mehr als 60 Prozent von ihnen haben ein monatliches Einkommen von weniger als 2000 S, nicht einmal 10 Prozent ein solches von mehr als 3000 S.

3. Fast drei Viertel aller Wohnungen können der Größe nach nicht als familiengerecht bezeichnet werden. Selbst unter Anwendung der Bertillonschen Formel: eine Wohnung ist überbelegt, wenn mehr als zwei Personen je Wohnraum (einschließlich der Küche) errechnet werden — ein Maßstab, der von den Sozialpolitikern als zu engherzig und ungerecht abgelehnt wird —, ergibt sich, daß mehr als ein Viertel der Wohnungen überbelegt sind. Als besonderer Notstand muß gelten, daß 20 Prozent der Familien mit drei und mehr Kindern in Untermiete bzw. in Barackenwohnungen zu hausen gezwungen sind.

4. Mehr als die Hälfte der Familien hat Mangel an Hausrat und Mobiliar, mehr als 40 Prozent sind in mehr oder minder großem Ausmaß verschuldet.

Diese alarmierenden Ziffern sind der sprechende Beweis dafür, daß der gehobene Lebensstandard unserer Tage mit der beiderseitigen Erwerbstätigkeit der Ehegatten und dem Verzicht auf Kinder, zumindest mehrere Kinder, erkauft ist. Die Masse der Familien mit drei und mehr Kindern hat am steigenden wirtschaftlichen Wohlstand den geringsten Anteil. Und das sind gerade jene Familien, die allein ihre Funktionen gegenüber dem einzelnen und der Gesellschaft voll erfüllen!

Wir wissen, was eine Familie an Wohnraum braucht: ein geräumiges Wohnzimmer, je ein Schlafzimmer für die Eltern und die heranwachsenden Knaben und Mädchen, ein Stück Garten oder wenigstens eine Terrasse oder einen Balkon, zweckmäßige Anordnung der Räume, entsprechende technische Ausstattung, viel Licht, Luft und Sonne und schalldichte Wände.

Wir wissen auch, was die Familie an Geld benötigt: Wohl läßt sich im Mehrpersonenhaushalt etwas einsparen, aber dennoch steigen die budgetären Lasten mit jeder weiteren Person erheblich. Auf Grund eingehender statistischer Untersuchungen kommt Frau M. Silberkuhl-Schulte zu dem Ergebnis, daß sich die Kosten weiterer (erwachsener) Haushaltsangehöriger unter Zugrundelegung von 100 Prozent bei der ersten Person nach folgendem Schema gestalten:

2. Person 77 Prozent

3. Person 71 Prozent

4. Person 68 Prozent

5. Person 66 Prozent

6. Person 63 Prozent

Die Durchschnittskosten der Kinder sind nicht wesentlich geringer. Wie unzureichend — bei aller Würdigung des bereits Errungenen! — die heutigen Sätze der Beihilfen und Steuerermäßigungen für die Familien noch sind, wie sehr es nicht nur ihrer Weiterentwicklung, sondern auch der Förderung aller anderen Möglichkeiten der Familienhilfe bedarf, ergibt sich daraus von selbst.

Die Schaffung ausreichenden familiengerechten Wohnraums und die Sicherung eines familiengerechten Einkommens sind Kardinalforderungen nicht nur im Interesse der Familien, sondern der ganzen Gesellschaft. Immer wieder begegnen wir diesen Forderungen in den Sozialenzykliken der Päpste. Die katholische Wirtschafts- und Soziallehre hat den später so' gründlich mißverstandenen Begriff des „Familienlohnes“ geprägt. Dieser ist der gerechte Lohn, das ist nicht nach Johannes Meßner* „der Leistungslohn bei Vollproduktion der Volkswirtschaft einschließlich der Vollbeschäftigung“.

Schon aus wirtschaftlichen Gründen — neben theoretischen Bedenken — wäre es unmöglich, für gleiche Arbeit, bei gleichen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen usw., den Lohn je nach Familiengröße verschieden zu bemessen. Aber die Gemeinwohlgerechtigkeit fordert für gleiche Leistung auch gleiche Lebensbedingungen, sie fordert daher den Familienlastenausgleich!

Ein voll wirksamer Familienlastenausgleich wird sich im moralischen Bereich zumindest ebenso segensreich auswirken wie im materiellen. Die Aussichten, die Menschen der . Gegenwart zu Opfer und Verzicht oder auch nur zu einer sparsamen Lebenshaltung zu erziehen, werden hoffnungslos gering sein, wenn wir uns lediglich auf Gesinnungspflege und Gesinnungsreform beschränken. Ebenso unerbittlich muß eine Reform der Zustände angestrebt und durchgesetzt werden. Im Sinne der Forderungen der Päpste nach Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit wird dafür Sorge zu tragen sein, daß der Maßstab für die Höhe des Lebensstandards nicht von den Alleinstehenden und, kinderlos Verheirateten, also von Randschichten, sondern von der Mitte der Gesellschaft, den Familien mit mehreren Kindern, bestimmt werde. Der Ausgleich der Familienlasten in vollem Umfang wird verhindern, daß man sich durch Unterbindung des Kindersegens wirtschaftliche Vorteile verschaffen kann und daß Kinderlose ihren Lebensstandard in einem Maße erhöhen können, das in keinem Verhältnis mehr zur Leistungskraft der Volkswirtschaft steht. Er wird anderseits den Familien erst — über die Sicherung des laufenden notwendigen und nützlichen Lebensbedarfes hinaus — die Möglichkeit zu echtem Sparen und zu Eigentumsbildung geben. Denn echtes Sparen ist ein Konsum-verzieht zugunsten der kommenden Generation, nicht ein bloßer Konsum a u f s c h u b, der doch mit einem restlosen Konsumverzehr endet.

Die naturrechtlich-christliche Gesellschafts-lehre ist nicht gegen, sondern für einen gesteigerten Lebensstandard. Sie wendet sich nur gegen dessen Vergötzung. Der gehobene Lebensstandard darf die Menschen nicht zu einem falschen Gebrauch der Dinge verleiten, noch ihr Zusammenleben in Eintracht und Ordnung stören. Wenn die Familie mit Kindern die wegweisende und verbindliche Norm für den Lebensstandard sein wird, scheinen uns beide Gefahren gebannt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung