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Lehren aus dem Wahlsonntag

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Der erste Wahlsonntag des Jahres 1965 in Österreich fiel in eine Zeit, die durch Unruhen, kriegerische Auseinandersetzungen und politischdiplomatische Kraftproben gekennzeichnet ist wie selten eine Vorfrühlingszeit zuvor, zumindest in den letzten Jahren. Die Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten, die Verschärfung des Konfliktes Moskau—Peking und der Lage in Südostasien, das Kräftemessen im Nahen Osten, in dessen Mittelpunkt soeben die Bundesrepublik Deutschland, unser Nachbar im Westen, geraten ist: über all das waren dramatische und die Phantasie beflügelnde Einzelheiten in den großen Tageszeitungen zu lesen, an jenem Tag. an dem die Wähler in zwei österreichischen Bundesländern die Wahllokale aufsuchten. Nichts Ähnliches, keine Unruhe, keine größere Bewegung, geschweige denn ein „Erdrutsch“ — und man ist seit Jahren in dieser Hinsicht recht bescheiden geworden — war am nächsten Tag aus den Wahlergebnissen herauszulesen.

Nun bedeuten aber zivile Verhältnisse keineswegs Erstarrung, Stillstand, das Ende jeder Politik, sondern im Gegenteil, sie bieten der Politik Lebensbedingungen, unfer denen sie sich entfalten kann.

Das Wahlergebnis in der Steiermark zeigt vor allem, was eine starke politische Persönlichkeit, zusammen mit einer Partei, die gegenwärtig sowohl auf der Landes- wie auf der Bundesebene richtig geführt zu sein scheint, bei vollem Einsatz der Kräfte erreichen kann. Alle die genannten Elemente haben zu dem großen Wahlerfolg der Volkspartei, der auch, aber nicht nur, ein Prestigeerfolg ist, beigetragen. Uber die Pei-sönlichkeit des Landeshauptmannes der Steiermark und die starken Wirkungen, die von ihr noch immer, ja offenbar in noch steigendem Maße, ausgehen, wäre aus gegebenem Anlaß nur so viel zu sagen, daß es sich hierbei um Erscheinungen handelt, die vollends dem Bereich des Politischen zuzuzählen sind. Der Landeshauptmann Krainer ist kein Landesfürst (keiner, auf den das romantische, liebevoll verzeichnete, verharmloste Bild eines solchen paßt), er ist ein Politiker, der ständig im Angriff ist und der Opportunitätserwägungen nur selten Raum läßt. Er hat während des ganzen Wahlkampfes alle seine politischen Gegner pausenlos und scheinbar bedenkenlos gestellt, er hat ihnen keine Ruhe gegönnt. Hier sieht man gleich einen Unterschied zur Wahlkampftaktik der Volkspartei in Kärnten: Es hat, zumindest von Wien aus, den Anschein, daß man dort in der Verteilung der Gewichte unter den gegnerischen Parteien klüger sein wollte. Das Ergebnis ist an den Mandatszahlen abzulesen. Ein weiterer Unterschied besteht im Ausmaß des Kräfteeinsatzes da und dort. In beiden Ländern arbeiteten gutgeölte Parteiapparate auf Hochtouren, und zwar auf allen Seiten. Den Ausschlag gab die obge-nannte Persönlichkeit, die sich ganz der wichtigsten politischen Arbeit in einer Demokratie, der Vorbereitung einer guten Wahl, ohne Rücksicht auf sonstige Abhaltungen und Obliegenheiten, widmete. Das sollte gewissen Politikern in Wien und in den Ländern eine Lehre sein und bei Funktionärslehrgängen sozusagen Pflichtgegenstand. Denn von der Rangordnung der Aufgaben, die sich ein Politiker zurechtlegt,.kann nicht nur Erfolg oder Mißerfolg seiner Partei abhängen, sondern, und das ist noch wichtiger, auch die Frage, ob eine Wahlentscheidung echt und gerecht ist oder nicht. Programm und Persönlichkeit: beide zusammen, bei vollem Einsatz der letzteren und bestmöglicher Verwirklichung des ersteren, müssen am Wahltag dem Wähler zur Entscheidung vorliegen.

So gesehen, spiegelt das Wahlergebnis in der Steiermark den gegenwärtigen Zustand der Parteien und die Kräfteverhältnisse klarer wider. Die Wähler der Volkspartei zeigten, alles in allem, Vertrauen zum Stabilisierungsprozeß, der in dieser Partei im Gange ist und bereits erste Erfolge zeitigt, und die sozialistischen Wähler haben sich weder durch die Führungskrise in Wien noch — die Kärntner — durch die lokalen Skandalfälle der letzten Zeit beeindrucken lassen, allerdings ist die Bremswirkung dieser Tatbestände bereits augenscheinlich geworden. „Können sie sich denn wirklich alles leisten?“ fragte bekümmert in diesen Tagen ein Kärntner Wahlbürger.

Die Wahlergebnisse in den Gemeinden zeigen erneut einen seit Jahren nicht nur in Österreich bemerkten Trend: die Volkspartei verliert demnach in kleinen und gewinnt in den größeren Gemeinden (selbstverständlich gibt es auch Gegenbeispiele). Vielleicht liegt hier nicht zuletzt das sichtbare (Zwischen-) Ergebnis jenes Strukturwandels vor, der aus dem Jungbauern einen Arbeiter und aus diesem einen Angestellten macht und der ein dankbares Studienobjekt für Politiker und politische Soziologen sein könnte.

Und als letztes: der vielbeklagte Trend zum Zweiparteiensystem. Hilflos stehen diesem vielleicht wichtigsten Phänomen der österreichischen Innenpolitik alle Beteiligten gegenüber, zumindest nach ihren gelegentlichen Äußerungen geurteilt. Der Leitartikelschreiber der „AZ“ spricht in diesem Zusammenhang nach längerer Zeit erstmalig wieder von der Gefahr einer ÖVP-Allein-herrschaft. Die Warnung ist nicht neu, und sie überzeugt, nach allem, was inzwischen vorgefallen ist, immer weniger. Es wäre gut, wenn die Frage des Zweiparteiensystems, die anscheinend auf uns zukommt, in beiden großen Parteien auf alle Seiten hin ernsthaft geprüft werden würde. Daß das Wort Alleinherrschaft jetzt auftaucht, ist freilich n;cht nur auf die Krainer-Wqhl zurückzuführen. Als Argument wird es dadurch nicht glaubwürdiger.

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