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Lehrer — immer leerer

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Mit einem gewissen Erschauern, aber etwas hilflosen Kommentaren ist die Nachricht durch die Presse gegangen, daß im Schuljahr 1966/67 im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen Österreichs rund 4500 Dienstposten von Lehrern im engeren Sinne (also den Klassen- und Fachlehrern; die Arbeitslehrerinnen und Religionslehrer bleiben in unserer Darstellung außer Betracht) nicht besetzt werden konnten, somit ersatzweise erfüllt werden mußten, und zwar vor allem durch Mehrdienstleistungen und durch die Tolerierung der Überschreitung der Klassenschülerhöchstzahl 40. Man hat sich in den letzten Jahren an das Unvermeidliche dieses Lehrermangels gewöhnt, da es immer wieder gelang, den ordnungsgemäßen Unterricht mit außerordentlichen Maßnahmen zu gewährleisten, und glaubhaft versichert und durch Zahlen erhärtet werden konnte, daß eine ungeahnte Steigerung des Lehrernachwuchses erzielt wurde. Aufgeschreckt hat aber die Mitteilung, daß im Schuljahr 1965/66 etwa

3100 Dienstposten umbesetzt blieben, im Schuljahr 1966/67 aber rund 4500.

Das gefräßige „Neunte“

Gerade diese letzte, zweifellos beachtliche Erhöhung des Fehlbestandes ist aber am einfachsten zu erklären, nämlich durch die Einführung des neunten Schuljahres, die den allgemeinbildenden Pfllohtschulen einen stoßartigen (einmaligen) Schülerzuwachs von rund 50.000 brachte (darunter zirka 32.000 in den Polytechnischen Lehrgängen). Der zusätzliche Lehrerbedarf dafür ist mit etwa 1800 zu beziffern; das beweist, daß das neunte Schuljahr die Hauptursache der Verschärfung des Lehrermangels war. Die Anfänge des Lehrermangels gehen auf fast zehn Jahre zurück. Erstmals im März 1958 wies die Landesschulimspek-torenkonferenz des allgemeinbildenden Pflichtschulwesens auf Schwierigkeiten in der Nachwuchslage hin: es könne die Personalreserve nicht mehr ausreichend besetzt werden, die Zahl der männlichen Bewerber für den Lehrberuf gehe stark zurück. Sogleich setzten die Maßnahmen des Bundesministeriums für Unterricht ein, eine sich steigernde Werbung und Studienförderung für die Lehrerbildung, die Eröffnung von Parallel Jahrgängen und die Einrichtung der Maturantenlehrgänge. Aber der Lehrermangel verschärfte sich trotz aller Anstrengungen. Die Öffentlichkeit erfuhr davon im Zusammenhang mit der Beratung des Schulgesetzwerkes 1962, vor allem aber mit seiner Durchführung seit 1964. Nun fehlen tausende Pflichtschullehrer, und es kommt zu Schwierigkeiten aller Art: Schul-klassen, vor allem abgelegener Schulen, können nicht eröffnet werden oder sind gefährdet; die Klassendichte steigt an, die Mehrdienstleistungen erreichen ein hohes Ausmaß, die Durchführung der Schulgesetzgebung und die Verbesserung des Schulerfolges erscheinen gehemmt.

Dazu eine einfache statistische Übersicht (siehe Tabelle).

Mehrdienstleistungen halfen auch hier aus

Daraus ergibt sich eindeutig, daß erst die Einführung des neunten Schuljahres und nicht schon andere Auswirkungen des Schulgesetzwer-kes 1962 den Lehrermangel verschärft haben. Den beachtlichen Schülerzuwachs, der auch noch Jahre anhält, hätte die Steigerung des Lehrernachwuchses seit 1960 aufgefangen; dagegen waren die zusätzlichen Belastungen nur schwer zu verkraften. Anderseits trifft die Behauptung nicht zu, daß es nun schlechter als. früher sei. Auf jeden Fall war es bis einschließlich 1965/66 besser als vorher — siehe die Durchschnittszahl 27 gegenüber vorher 28 —, es war nur nicht so gut, wie es auf Grund des Schulgesetzwerkes 1962 hätte sein sollen, denn dazu hätte die Durchschndttsschülerzahl pro Lehrer 24,5 betragen müssen.

Die Verbesserungen, die das Schulgesetzwerk 1962 auf diesem Sektor bisher hätte bringen sollen (die Herabsetzung der Klassenschülerhöchstzahl auf 36 wird erst für den Beginn des Schuljahres 1968/69 vorgesehen), sind also an der Durchschnittsschülerzahl ablesbar, nämlich deren Senkung auf theoretisch 24,5. Dahinter verbergen sich freilich bedeutsame Teilerfolge: die allgemeine Herabsetzung der Lehrverpflichtungen (sie ist zur Gänze erfüllt, Mehrdienstleistungen darüber hinaus werden abgegolten), die Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl mit 40 (sie steht für etwa 2800 Klassen noch aus), die anteilmäßige Erhöhung der Lehrerreserve (sie fehlt weitgehend) und die Veränderung der Typenproportion (das heißt die Verschiebung des Schülerzustromes aus der Volksschule in die vergleichsweise fast um ein Drittel bis zur Hälfte mehr Lehrer benötigenden Haupt- und Sonderschulen), seit Beginn des Schuljahres 1966/67 auch die Einführung des neunten Schuljahres.

11.000 werden fehlen

Der Lehrermangel bewirkt wegen der fehlenden Lehrerreserve eine größere Anfälligkeit der Schulen bei Dienstverhinderungen (länger dauernde Erkrankungen, spezielle Dienstverwendungen und Beurlaubungen). Er verhindert die allgemeine Erfüllung der Klassenschülerhöchstzahl 40, verursacht ein hohes Ausmaß an Mehrdienstleistungen und verzögert die Ausweitung des Haupt- (vor allem der zweiten Klassenzüge) und des Sonderschulwesens. Bei dem nun noch verstärkten Zug (nicht nur) der Lehrer zur größeren Siedlung wird die Versorgung abgelegener Schulen immer schwieriger, ihre Stillegung schreitet (in manchen Bundesländern zur Verminderung des Bildungsgefälles planmäßig betrieben) fort.

Nun ein Ausblick auf den Lehrerbedarf der nächsten Jahre. Eine einigermaßen verläßliche Grundlage für diese Vorausschätzung ist die schon oben erwähnte Entwicklung der durchschnittlichen Schülerzahl pro Lehrer. Wenn man die Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl mit 36 im Jahre 1968, die Vermehrung der Klassen mit Fachunterricht (vor allem auch durch das neunte Schuljahr) und die entsprechende Erhöhung der Lehrerreserve in Betracht zieht, so ergibt das, daß sich die durchschnittliche Schülerzahl pro Lehrer auf 22 bis 22,5 hin bewegt. Bliebe die Gesamtschülerzahl im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen (1966: rund 868.000) unverändert, so ergäbe sich daraus schon ein neues Gesamterfordernis von etwa 37.000 Lehrern. Aber die Stärke der Schuleintrittsjahrgänge und damit des Gesamtschulbesuches nimmt im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen weiter beachtlich zu. Die Schuleintrittsjahrgänge wachsen in den Jahren 1969 bis 1971 auf je zirka 125.000 an und fallen hierauf allmählich ab. Der Gesamtschulbesuch im allgemeinbildenden Pflichtschulwesen wird im Jahre 1970 bei etwa 950.000 liegen und sich bis 1975 nur noch geringfügig erhöhen. Nach der obgenann-ten Durchschnittsschülerzahl von 11,5 pro Lehrer ergibt dies dann einen Bedarf von zirka 42.000 Lehrern, das heißt in den nächsten vier Jahren ein Mehrerfordernis von zirka 11.000, wozu bis 1975 wahrscheinlich noch zirka 1000 hinzukommen.

Entlastung erst ab 1970

Demgegenüber sieht es auf der Nachwuchsseite wenig erfreulich aus, da die Umstellung der österreichischen Lehrerbildung (auf die Pädagogischen Akademien) die außerordentliche Steigerung des Lehrernachwuchses im letzten Jahrfünft in den Jahren 1968 teilweise und 1969 erheblich unterbricht. 1967 wurde der bisher stärkste Lehrernachwuchs (zirka 2650) erzielt, 1968 ist mit etwa 1500, 1969 mit etwa 300 und ab 1970 mit schätzungsweise jährlich rund 2000 zu rechnen. Von den zirka 6400 Abgängern der Lehrerbildung bis einschließlich 1970 werden jedoch nur zirka 3000 für den Erweiterungsbedarf zur Verfügung stehen, der Rest geht auf den Ersatzbedarf, auf Abgänge in andere Berufe u. a. Man kann ab Herbst

1967 gegenüber 1966 eine Entlastung im Lehrermangel erwarten, im Jahre

1968 dann etwa eine gleichbleibende Situation — wenn man von der Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl mit 36 absieht —, im Jahre 1969 jedoch mit einer merklichen Verschlechterung, weil nicht einmal der Ersatzbedarf gedeckt werden kann, und erst ab 1970 mit einer fortschreitenden Entlastung. Wenn sich die Eintritte in die Pädagogischen Akademien im erwarteten Umfang halten, wird zwischen 1977 und 1980 der Lehrermangel weitgehend überwunden sein.

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