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Lehrer mit klar definiertem Standort als Reibebäume

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N'icht nur Theologen halten es. für ein klares Manko, daß man sich derzeit durch Abmeldung vom Beligionsunterricht auch ersatzlos von wesentlichen Bildungsinhalten der Österreichischen Schule verabschieden kann. So können Jugendliche bestimmen, ob Fragen der umfassenden Persönlichkeitsentwicklang, der kulturellen Prägung ihres Lebensraumes, der eigenen Religion wie auch jener anderer Religionen, und natürlich auch der Individual-wie der Sozialethik für sie bildungsrelevant sind oder nicht. Würde man gerade von Seiten der für den Religionsunterricht Verantwortlichen die entstehenden und schon vielfach entstandenen Bildungsdefizite leugnen, käme das einer Bankrotterklärung für den Gegenstand Religion gleich. Daß die katholische Kirche in dieser Angelegenheit so behutsam argumentiert, liegt letztlich daran, daß sie sich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, einen wie immer gearteten Druck zum Besuch des Religionsunterrichts vom Staat zu erbitten. Ihrer grundsätzlichen Verantwortung für alle Schülerinnen und Schüler hat sie schon in den letzten Jahren dadurch Rechnung getragen, daß sie ihren Religionsunterricht auch für Schülerinnen und

Schüler ohne religiöses Rekenntnis geöffnet hat. Tatsächlich ist unter den Sechs- bis 14jährigen die Zahl jener Kinder, die - selbst ohne religiöses Bekenntnis - meist auf ihren eigenen Wunsch hin von den Eltern zum Beligionsunterricht angemeldet werden, österreichweit fast so groß wie die der vom Religionsunterricht Abgemeldeten. Die Äbmeldezahlen in vielen Oberstufenklassen der städtischen Ballungszentren geben allerdings Anlaß zu großer Sorge.

pragmatisch!-: HeRAL'SLÖSUNG VON

„Ethik" Aus dem religiösen Kontext?

Trotz wesentlicher religionswissenschaftlicher Inhalte in allen Lehrplanentwürfen dominiert die pragmatische Namensgebung „Ethik". Wen wundert das, ist doch Ethik meist Ausfluß umfassender religiöser Vorstellungen. Setzt man hier nicht wie schon so oft nur einen selektiven und auf unmittelbare gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung gerichteten Schritt? Ähnlich verhält es sich derzeit in vielen Bereichen des Managements: Meditationstechniken, Samuraifaktoren bis hin zum Kampfgeist der Shaolin-Mönche müssen - komplett aus ihrem Kontext herausgelöst - dazu herhalten, der Wirtschaft über das Bewußtsein ihrer leitenden Köpfe neue Impulse zugeben. In der

Gesamtgesellschaft zeigt sich derzeit deutlich, daß Wertepluralismus und Wertewandel, vielfach noch dazu als Werteverlust interpretiert, für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft nicht nur ein größeres Maß an Freiheit bedeuten, sondern oft auch Angst, Unsicherheit und Qual der Wahl. Verstärkt nehmen wir in letzter Zeit als unerwartete Nebenwirkungen auch eine Fluchtbewegung hin zu freiheitsberaubenden Patentantworten wahr. Weder Pädagogik noch Schule können sich aufgrund ihres Erziehungsauftrags ihrer Pflicht entziehen, hier Gegenakzente zu setzen. Erziehungsrecht und -pflicht der Eltern zu beschwören, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Unverbind lichkeit und Beliebigkeit als Folge eigener Wertunsicherheiten die Erziehung zunehmend bestimmen. Manche W'erte, die für Staat wie Gesellschaft lebensnotwendig sind, sind bereits Mangelware. So hofft man also, durch die Promovierung des Unterrichtsprinzips „ethische Erziehung" zu einem eigenen Gegenstand in dieser unerwünschten Situation gegenzusteuern.'

„En iisciii-: Erziehung" neuen den wei.tanschailich net iralen Staat?

Was allen bis jetzt vorgelegten Lehrplanentwürfen mit ihrer unterschiedlich detaillierten Ausführung der Kern- und Erweiterungsstoffe gemeinsam ist, ist das Fehlen einer klaren Formulierung dessen, was dieser Gegenstand auf welcher Wertebasis leisten soll. Vielfach hört man, dß diese ethische Erziehung auf den allgemein anerkannten Werten der österreichischen Verfassung basieren solle. Nun fehlt aber sowohl der österreichischen Bundesverfassung wie auch dem überwiegenden Teil der Landesverfassungen - im Unterschied etwa zum Deutschen Grundgesetz und den meisten deutschen Landesverfassungen ein Bekenntnis zu bestimmten Grundwerten.

Die Menschenrechtskonvention mit allen Zusatzprotokollen steht zwar im Verfassungsrang, aber auch hier stellt sich die Frage, ob dieser Minimalkonsens als Grundlage ethischer Erziehung gerade jene Defizite auszugleichen imstande ist, die wir alle orten. Werte wie Askese und Solidarität sind dort nicht explizit verankert. Ob das Wesen gelungener ethischer Erziehung allein in Informationen über die Summe aller ethischen Grundsatzfragen wie Kenntnisnahme aller ethischen Entwürfe von Plato bis zur Gegenwart besteht, darf überdies angefragt werden. Gelingt sie nicht vielmehr dort, wo Lehrer in klarer Definition ihres weltanschaulichen Standortes auch als Beibebaum zur Verfügung stehen? Wo Verbindlichkeiten nicht nur behauptet werden, sondern die Überprüfbarkeit der J,ebensentwür-fe in einer konkreten Gemeinschaft gegeben ist? Ist jene alte Tradition, nach der sich die Lehre eines Meisters im Leben mit ihm zu bewähren hatte, wirklich vergessen?

Alles in allem wird der unverzichtbare Part, den der Beligionsunterricht im Ganzen der Schule beibringt, in fast all diesen Fragen einmal mehr deutlich. Wenn die Kirchen sich trotzdem als Gesprächspartner anbieten und bereit sind, ihre jahrhundertelange Erfahrung bei der Planung eines solchen Ersatzgegenstandes zur Verfügung zu stellen, so tun sie dies im Wissen, daß es dabei um die Suche nach einer nur zweitbesten Lösung geht.

Die Autorin ist

Leiterin des Schulamts der Erzdiözese Wien.

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