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Lehrer oder Computer?

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Im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach wurde kürzlich die Frage aufgeworfen, ob nicht das übliche Lehrer-Schüler-Verhältnis durch die Einführung von Automaten ersetzt werden könnte. Die vielleicht im ersten Augenblick schockierende Fragestellung kann eigentlich nicht überraschen. Denn vielfach sieht man heute schon Automaten an der Stelle des Menschen stehen. Der Zigarettenautomat ersetzt den Trafikanten, der Strumpfautomat die Strumpfverkäuferin, der Speiseautomat die Serviererin, und in fortschrittlichen österreichischen Stiften kann man an einem funkelnagelneuen Automaten gegen Einwurf eines Fünfschillingstückes per Kopfhörer auch schon über die Geschichte des Klosters informiert werden. Es lag daher nahe, den technischen Fortschritt auch für die Wissensvermittlung heranzuziehen. Heute gibt es bereits eine weltweit ausgedehnte Industrie, die sich mit dem „programmierten Unterricht“ befaßt, und die großartigen Erfolge, die bei der Erlernung von Fremdsprachen in den Sprachlabors erzielt werden, scheinen ein schlagender Beweis dafür zu sein, daß ein Automat ein besserer Wissensvermdttler ist als ein mittelmäßiger Lehrer (wie in Alpbach festgestellt wurde).

Der Vorschlag, Lehrer durch Computer zu ersetzen, hat etwas Faszinierendes. Isaac Asimow läßt in seiner Erzählung „Logik“ den Roboter QT 1 zu den Menschen sagen: „Das Material, aus dem ihr gemacht seid, ist weich und schlapp. Ihr besitzt weder genügend Ausdauer noch Kraft und hängt in eurer Energiezufuhr von der völlig unzureichenden Oxydation organischer Materie ab ... Ich dagegen bin ein vollendetes Produkt. Ich absorbiere direkt elektrische Energie und wandle sie mit einem Nutzungsgrad von fast hundert Prozent um. Ich bin aus starkem Metall, bin ständig bei Bewußtsein und kann extreme Existenzbedingungen leicht überstehen." Das ist Science Fiction; es ist die Sprache eines fiktiven Roboters in einem fiktiven Raumschiff. Aber auch bei einer nüchternen Betrachtung des Schulbereiches muß man feststellen, daß ein wissensvermittelnder Automat viele Vorzüge hat. Er ist auf seinem Fachgebiet geradezu allwissend, kann nie irren, und sein Gedächtnis ist unbegrenzt erweiterungsfähig. Was die Vermittlungsmethoden betrifft, so besteht die Möglichkeit, immer die schlechthin besten und erfolgreichsten anzu- wenden. Und dann steht ein Automat jederzeit zur Verfügung. Das Nachholen des Lehrstoffes nach Krankheiten bereitet keine Schwierigkeit mehr, und bei Verstandesschwierigkeiten kann der Automat jederzeit noch einmal befragt werden, ohne daß deswegen im Schüler berechtigt oder unberechtigt Minderwertigkeitsgefühle aufkommen müssen. Auch das Problem des Lehrermangels könnten die Automaten mit einem Schlag lösen, und den Lehrern, die sich zu schlecht bezahlt fühlen, böten sich als Programmierer ungeahnte finanzielle Chancen.

Automatenunterricht?

Trotz alledem muß aber eindeutig festgehalten werden, daß kein noch so großartig entwickelter Automat Lehrer ersetzen kann. An Stelle der Lehrerpersönlichkeiten weitgehend Automaten einsetzen m wollen hieße, den Tod der Schule proklamieren. Und ganz richtig ist im Zusammenhang mit der Wissensvermittlung durch Automaten auch immer nur von Unterricht die Rede.

Der vollständige Autamatenunter- richt ist nicht deswegen abzulehnen, weil es immer wieder auch lem- unwiUige Schüler gibt, die durch die Autorität des Lehrers zum Studium angehalten werden müssen. Schüler dieser Art werden vermutlich bei der in den nächsten Jahrzehnten zu erwartenden weiteren Steigerung der Anforderungen im gehobenen Berufsleben ohnedies nicht weiterkommen können. Um die anderen aber geht es: Um die Schüler, denen es gelingen wird, in die Eliten der Zukunft vorzustoßen, um jene jungen Menschen, die genügend Intelligenz und Energie haben, um sich in den Führungsschichten durchzusetzen. Und da tritt nun die entscheidende Frage auf: Sollen diese künftigen Angehörigen der Eliten nur noch Spezialisten des Wissens und des Könnens sein?

Bildung ist mehr als Wissen

Die allgemeinbildenden höheren Schulen haben die Aufgabe, den jungen Menschen Allgemeinbildung zu vermitteln. Bildung ist aber mehr als Wissen und Können. Sie ist eine Eigenschaft, die den ganzen Menschen erfaßt, und an der Formung des ganzen Menschen mitzuairbeiten, ist die vornehmste Aufgabe der höheren Schulen. In der Zukunft brauchen' wir auf allen Gebieten tüchtige Spezialisten, und alle Mittel und Wege, die mithelfen, solche Spezialisten hieranzubilden, sind gut und sind zu begrüßen. Trotzdem darf aber bei allen Überlegungen im Zusammenhang mit einer Modernisierung des Unterrichts nicht übersehen werden, daß die Schule nicht nur unterrichtliche, sondern auch verantwortungsvolle erzieherische Aufgaben zu erfüllen hat.

Erziehung: unzeitgemäß?

Erziehung aber erfordert Menschen, die erziehen. Das kann der beste Automat nicht machen, denn er ist immer in jeder Hinsicht unmenschlich. „Da es dem Computer nichts bedeutet, könnte er die zweckmäßigste und rationellste Methode zur Ausrottung einer Menschenrasse errechnen, ein Problem, das er ebenso hervorragend lösen würde wie die Verarbeitung von Daten zur Geschichte der Wirbeltiere. Der Computer kann, weil es ihm nichts bedeutet, weder nein sagen noch protestieren; der Computer tut alles, was man ihm eingibt. Er ist ohne Gewissen“ (Rainer Fabian). Besteht nicht die Gefahr, daß die von den Computern unterrichteten Schüler auch zu Menschen ohne Gewissen werden? Ist nicht zu befürchten, daß sie einmal Wissenschaftler werden, die sich auf den Pilatus-Standpunkt stellen und sich die Hände „in Unschuld“ waschen werden mit der Begründung: Was die Menschen aus meiner Erfindung machen, geht mich nichts an. Ein Einstein und ein Oppenheimer haben anders gedacht!

Es scheint heute Menschen zu geben, die das Erziehen der Jugendlichen durch ein bedenkenloses Gewährenlassen ersetzen wollen. Sie scheinen das Wort Erziehung für unzeitgemäß zu halten und übersehen dabei, daß die Manager, die das „moderne Leben“ regeln, sich sehr wohl bewußt sind, welche Bedeutung die Erziehung der heranwachsenden Generation für den Geschäftsgang der kommenden Jahre und Jahrzehnte hat. Für diese Erziehung der Konsumenten ist kein Mittel zu teuer, und sie ist auch im wahrsten Sinn des Wortes die modernste Pädagogik. Denn wo ist der Vater, dessen Erziehung sich mit der unterschwelligen Beeinflussung der Reklametechnik messen könnte, und wo ist der Lehrer, dessen Image dem eines Werbeidols gleichkommt? Und in dieser Situation soll die Schule auf ihre Erziehungsaufgaben verzichten? Das Gegenteil müßte eintre- ten: Die Erziehung müßte intensiviert und modernisiert werden. Daß die beste Erziehung die gute Familienerziehung ist, steht außer Zweifel. Die Eltern, denen es gelingt, ihren Kindern Lebensmaximen mit auf den Weg zu geben, die es befähigen, allen normalen und unterschwelligen Anfechtungen unserer Zeit standzuhailten, habein damit eine der wichtigsten Aufgaben des Familienlebens erfüllt. Leider ist dies aber heute nicht in allen Fällen möglich. Besonders schwierig ist das in den in unserer Zeit so zahlreich gestörten Ehen. Da müssen nun Internat und Schule einsetzen. Hier muß der Teil der Erziehungsarbeit geleistet werden, der mithelfen soll, aus den Zöglingen und Schülern wahrhafte, aufrechte und verantwortungsbewußte Menschen zu machen. Weder in der Familie noch in der Schule aber kann diese Aufgabe von Computern erfüllt werden; dort wie da sind dazu Menschen erforderlich: Menschen, die nicht nur Wissen und Lebenserfahrung haben, sondern in erster Linie von einer echten Liebe zu den Kindern und jungen Menschen erfüllt sind, die sie nicht nur ausbilden, sondern denen sie vor allem helfen wollen.

Um nicht mißverstanden zu werden: Jede Modernisierung des Schulwesens ist zu begrüßen. Vermutlich werden auch auf diesem Gebiet in den kommenden Jahrzehnten revolutionäre Umwälzungen stattflnden. Jede technische Einrichtung, die mithilft, den Schülern mehr Wissen, und das womöglich auf leichtere Art und Weise, zu vermitteln, soll in den modernen Schulunterricht eingebaut werden. Eine Modernisierung des Unterrichtswesens ist gut, sie darf aber die Schule nicht umbringen. Eine mögliche Vorstellung einer „Automatenschule“ mit einem oder mehreren Direktoren und keinen Lehrern ist ein Unding.

Ganze Menschen

Teilhard de Chardin hat gesagt: „Ich sehe noch immer nur den einen Ausweg: Immer weiter voranschreiten (in der wissenschaftlichen Erforschung der Welt und des Menschen) und immer mehr glauben. Der Herr erhalte mir meine Leidenschaft für die Welt und eine große Sanftmut und helfe mir, bis zuletzt ein ganzer Mensch zu sein.“ Es ist schön, daß der Lehrer mithelfen darf bei der Auseinandersetzung der jungen Menschen mit der modernen Wissenschaft und bei der Verwirklichung des Strebens der Jugendlichen, ganze Meschen zu werden. Wenn ihm die Möglichkeit geboten ist, wird er gerne auch den Computer in sein schulisches Wirken einbauen. Eines aber muß festgehalten werden: Die Automaten können den Lehrer entlasten, ersetzen können sie ihn nicht!

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