Motivation! - Das Bild vom „geborenen Lehrer“, der von vornherein weiß, wie guter Unterricht funktioniert, ist überholt. Es geht auch um Kompetenzen wie Classroom-Management, die man lernen kann. - © iStock/seb_ra

Lehrer sein: Kann ich das?

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Michael Schratz, Innsbrucker Lehrerbildner und Jury-Sprecher beim soeben verliehenen „Deutschen Schulpreis“, über das Geheimnis guter Schulen und die Lehrerpersönlichkeit als zentralen Faktor.

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Michael Schratz, Innsbrucker Lehrerbildner und Jury-Sprecher beim soeben verliehenen „Deutschen Schulpreis“, über das Geheimnis guter Schulen und die Lehrerpersönlichkeit als zentralen Faktor.

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Die Gebrüder-Grimm-Schule im nordrhein-westfälischen Hamm galt als klassische „Brennpunktschule“: Viele Kinder aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien, viele Kinder mit Migrationshintergrund und zwei Privatschulen, die Schüler aus bildungsaffinen Elternhäusern abzogen. Heute, zehn Jahre später, gilt die Einrichtung als exemplarisch dafür, wie der „Turn-around“ gelingen kann. Vor wenigen Tagen wurde die Volksschule von der deutschen Robert-Bosch-Stiftung zur „Schule des Jahres 2019“ gekürt – und mit 100.000 Euro für weitere Projekte bedacht.

Jury-Sprecher des seit 14 Jahren bestehenden „Deutschen Schulpreises“ ist der österreichische Erziehungswissenschafter Michael Schratz, Gründungsdekan der School of Education an der Universität Innsbruck und Leiter der Leadership-Academy für Schulleiter (vgl. www.michaelschratz.com). Im FURCHE-Interview spricht er darüber, was gute Schulen auszeichnet, was zu Eskalationen wie jener an einer Ottakringer HTL führen kann – und was das alles für die Lehrerausbildung bedeutet.

DIE FURCHE: Herr Professor Schratz, was hat die einst vor der Schließung stehende Gebrüder-Grimm-Schule im deutschen Ruhrgebiet richtig gemacht?
Michael Schratz: Ich habe die Schule selbst besucht – und mir hat die wertschätzende Haltung den Schülerinnen und Schülern gegenüber sehr imponiert! Zunächst hat man begonnen, die Schule so zu gestalten, dass sich alle wohlfühlen: Es gibt keine Klassenräume, sondern „Kaleidoskope“, in denen mit Selbstaktivierung gearbeitet wird. Dazu gibt es Epochenunterricht und eine Eltern-Lounge, in denen sich Mütter und Väter austauschen können. Auch viele Einzelelemente gehören dazu: Der Morgentanz, durch den die Schüler frischer an die Arbeit gehen; Lobbriefe oder Rückmeldekarten, auf denen steht „Es ist gut, dass du da bist“; und Aufarbeitungsgespräche, wenn es zu Konflikten kommt. Dadurch lernen schon Sechsjährige, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen können.

DIE FURCHE: Wie kann ein solches Klima an einer Schule entstehen? Hängt das nur am Leiter – der in diesem Fall Frank Wagner heißt?
Schratz: Wir machen im Rahmen des Deutschen Schulpreises gerade eine Studie über die Rolle der Leiter. Es zeigt sich, dass die Schulleiter – bei all ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten – eine ganz zentrale Rolle spielen. Aber eine Person schafft das natürlich auch nicht allein. Es braucht einen positiven Geist an der gesamten Schule, ein Zutrauen an die Schülerinnen und Schüler, dass sie etwas leisten können. Und dann muss man das wirklich gemeinsam durchplanen.

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DIE FURCHE: In Österreich wird derweil über die dunkelsten Seiten von Schule diskutiert: physische und psychische Gewalt. Anlass waren Videos aus einer Ottakringer HTL. Wie kann man sich das Entstehen solch toxischer Dynamiken erklären?
Schratz: Ein wesentlicher Punkt ist wohl, dass es sich bei diesem Lehrer um einen Quereinsteiger handelt. Es ist eben nicht möglich, binnen drei Monaten Classroom-Management zu lernen, etwas, wofür andere ein ganzes Studium brauchen. Hier scheint die Vorstellung des „geborenen Pädagogen“ durch, der von außen kommt und alles meistert, doch der Lehrberuf ist eine Profession! Wenn ich einen Medizinstudenten gleich operieren lassen würde, gäbe es einen Aufschrei! Aber generell gibt es in der Forschung immer auch bestimmte Gründe, warum es zur Gewalttätigkeit von Lehrenden kommt.

DIE FURCHE: Welche wären das?
Schratz: Das eine ist eine schwach ausgeprägte, instabile Persönlichkeit. Diesen Aspekt müsste man eigentlich schon am Beginn des Lehramtsstudiums feststellen. Wir konfrontieren deshalb in Innsbruck die Studierenden schon im ersten Jahr mit der Praxis – und zwar tatsächlich konfrontativ –, sodass sie im Rahmen eines 360-Grad-Feedbacks und einer Reflexion ihre persönliche Eignung ausloten und sich notfalls neu orientieren können. Das scheint uns wirksamer als Eignungstests, zumal es bislang weltweit kein valides Instrument gibt, mit dem ich herausfinden kann, ob ich später zum Lehrer geeignet bin oder nicht. Bis zu 20 Prozent stellen dabei fest, dass das Lehrersein nichts für sie ist.

Wir konfrontieren in Innsbruck die Studierenden schon im ersten Jahr mit der Praxis. Bis zu 20 Prozent stellen fest, dass das nichts für sie ist.

DIE FURCHE: Welche Aspekte sind noch ausschlaggebend, ob die Situation in der Klasse eskaliert?
Schratz: Natürlich die Bedingungen, unter denen die Lehrperson arbeitet. Dazu gehört neben den konkreten Klassenbedingungen auch der Stoffdruck durch den Lehrplan oder die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit bzw. der Eltern. Diese haben ja unterschiedliche Prämissen: Die einen wollen eine pflegliche Behandlung ihrer Kinder, die anderen sagen, eine Watschen verträgt der schon. Ein weiterer Aspekt sind die individuellen Enttäuschungen und Kränkungen, die Lehrer im Lauf ihrer Arbeit erlebt haben. Gerade bei Junglehrern ist es oft so, dass sie mit vollem Engagement in den Beruf gehen – und bald merken, dass das nicht funktioniert. Oft gibt es auch zu wenig professionelle Distanz, Lehrer bekommen Mitleid mit der Situation der Schüler und werden emotional hineingezogen. Nicht zuletzt weist Gewalt immer auch auf verfehlte Haltungen hin. Hier gibt es aber Modelle, die helfen können, etwa die „Neue Autorität“.

DIE FURCHE: Das Modell des israelischen Psychologen Haim Omer, bei dem es zentral um Beziehung, Wertschätzung und Transparenz geht, klingt vielversprechend. Aber unter welchen Bedingungen greift es auch?
Schratz: Solche Konzepte greifen niemals als Schnellschuss, sondern nur dann, wenn sie tatsächlich der inneren Haltung entsprechen. Wenn man nur etwas vorspielt, funktioniert es nicht.

Michael Schratz - Michael Schratz - © Wikipedia/Bernhard Aichner

Michael Schratz

Michael Schratz ist Erziehungswissenschafter, Jury-Sprecher des seit 14 Jahren bestehenden „Deutschen Schulpreises“, Gründungsdekan der School of Education an der Universität Innsbruck und Leiter der Leadership-Academy für Schulleiter (vgl. www.michaelschratz.com).

Michael Schratz ist Erziehungswissenschafter, Jury-Sprecher des seit 14 Jahren bestehenden „Deutschen Schulpreises“, Gründungsdekan der School of Education an der Universität Innsbruck und Leiter der Leadership-Academy für Schulleiter (vgl. www.michaelschratz.com).

DIE FURCHE: Wiens Bildungsdirektor Heinrich Himmer hat als Konsequenz auf den Vorfall an der Ottakringer HTL eine Drei-Monate-Probephase für Junglehrer sowie schnellere Kündigungsmöglichkeiten für befristete Dienstverträge vorgeschlagen. Die Lehrergewerkschaft protestiert. Was halten Sie davon?
Schratz: In der Politik gibt es meist solche Schnellschüsse, und im Extremfall muss man sich natürlich von Lehrkräften trennen können, weil man die Verantwortung für die Schülerschaft übernehmen muss. Ungeeignete Lehrkräfte als „Wanderpokale“ zu versetzen, kann ja keine Lösung sein. Aber auch in der Wirtschaft ist es nicht so, dass man jemanden gleich entlässt, wenn es Probleme gibt. Sondern man muss Unterstützungsmaßnahmen setzen. Das gilt generell: An den erfolgreichen Schulen, die ich besucht habe, gab es immer eine enge Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitern, Schulärzten, Psychologen und Lehrpersonen. Wenn eine Schule diese Bedingungen nicht hat oder die Lehrkräfte, wie an einer HTL, direkt aus der Berufspraxis kommen und keinerlei pädagogisches Know-how haben, sind sie rasch überfordert. Schule muss sich als agile, präventive und lernende Organisation verstehen. Das Motto darf nicht lauten: „Ich und mein Problem“, sondern „Wir und unsere Lösung“.

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