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Lehrgegenstand Automatisierung

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Die Lehrer dier kommerziellen Lehranstalten (Handelsakademien und Handelsschulen) müssen die Entwicklung in der Praxis stets genau verfolgen, um die Schüler derart auszubilden, daß sie nach Beendigung ihrer Schulzeit unmittelbar in der Wirtschaft verwendet werden können. Nun ist aber das wesentlichste Merkmal — auch der österreichischen Wirtschaft — der Zug zur Mechanisierung bis zur Automation. Dieser Zug ist nicht nur im Gewerbe und in der Industrie merkbar, sondern auch in der Verwaltung. Die Maschine ist heute aus der Verwaltungsarbeit nicht mehr wegzudenken. Es ist daher begreiflich, daß sich die Praxis gerade jetzt wieder der Schule erinnert. So hat zum Beispiel der Vorstand des Landesgremiums Wien des Büromaschinenhandels, Kommerzialrat Katzinger, anläßlich der letzten Wiener Messe erklärt: „Das Hauptproblem für die Organisation wie auch für die reine Technik in der Datenverarbeitung ist der Mangel an speziell geschultem Personal”, weshalb der Redner ausdrücklich forderte, daß die Handelsakademien und Handelsschulen junge Kräfte für den neuen Berufszweig der Datenverarbeitung heranbilden sollen.

Noch mehr Büropersonal

Nach den Statistischen Nachrichten des österreichischen Statistischen Zentralamtes gab es im Juni 1965 in Österreich 1,453.800 Arbeiter und 638.700 Angestellte. Interessant ist hierbei, daß es gegenüber 1955 um 7900 weniger Arbeiter, aber um 20.800 mehr Angestellte gibt, wobei die Beamten nicht berücksichtigt sind. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts lag dagegen der Anteil der Büroarbeiter an der Gesamtzahl der Beschäftigten unter 10 Prozent. Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung stellt fest, daß sich in Österreich die Verhältnisse ähnlich wie in den Vereinigten Staaten entwickeln werden: Das Büropersonal wird weiter zunehmen. Erst die Automatisierung des Büros wird dieser Entwicklung entgegenwirken.

In Österreich haben wir noch relativ wenige elektronische Rechenanlagen. Derzeit entfallen auf eine Million Einwohner elf Anlagen, gegenüber 18 Anlagen im europäischen Durchschnitt und 80 Anlagen in den USA. Das Österreichische Institut für Wirtsehaftsfor- schung schätzt jedoch, daß auch in Österreich in zehn Jahren mehr als 1Q0O Elektronenrechner stehen werden; aller Wahrscheinlichkeit sogar 2000 bis 3000. Dadurch wird die ganze Berufsstruktur beeinflußt und ein großer Bedarf an Spezialisten für Elektronenanlagen entstehen.

Die Schule wird nun der angedeuteten berufsstrukturellen Entwicklung Rechnung tragen müssen. Der vom Bundesministerium für Unterricht herausgegebene Bildungsbericht 1965 stellt übrigens fest, daß die neuen österreichischen Lehrpläne auf dem Gebiete der Mathematik und der Physik bereits eine brauchbare Grundlage für eine weiterführende Ausbildung bieten. Im Bereich der Buchhaltung, des kaufmännischen Rechnens und der kaufmännischen Betriebskunde — vor allem hinsichtlich der Fragen einer höheren Betriebsorganisation —, ebenso auf dem Gebiete der Bürotechnik selbst werden aber Lehrplanänderungen unvermeidlich sein.

Die Lehrmittel fehlen noch

Das zweite Internationale Seminar über praktische Fragen des Handelsunterrichtes, veranstaltet von der Internationalen Gesellschaft für das kaufmännische Bildungswesen (Oktober 1965, Zürich), hat gezeigt, daß man sich in allen Ländern bewußt ist, welche enorme Bedeutung der Entwicklung dem kaufmännischen Schulwesen für die Ausbildung in der automatischen Datenverarbeitung zukommt. Anderseits ist man sich noch nicht darüber klar, wie diese Ausbildung am besten durchgeführt werden soll. Auf dem erwähnten Seminar, an dem Vertreter aus Belgien, Dänemark, der deutschen Bundesrepublik, aus Österreich und der Schweiz teilnahmen, konnte festgestellt werden, daß an eigentlichen kaufmännischen Schulen noch keine für den Unterricht im Gegenstand „Datenverarbeitung” zur Verfügung stehenden Anlagen vorhanden sind.

Nachfolgend will ich nun — als Praktiker des Unterrichts — auf einige Probleme hin- weisen, die mit den Fragen Unterweisung im Gegenstand „Datenverarbeitung” entstehen:

• Die Anschaffungskosten einer größeren Datenverarbeitungsanlage sind absolut sehr hoch. Sicherlich wäre es möglich, einige Millionen Schilling aus dem Budget des Unterrichtsministeriums für den Kauf einer derartigen Anlage abzuzweigen, unmöglich wäre es aber, mehrere Anlagen anzuschaffen, um etwa jedem österreichischen Handelsakademiker eine Ausbildung zu ermöglichen. Auch die Miete einer großen Anlage ginge in die Zehntausende.

• Welche Anlage sollte angeschafft werden? Leider gehen die Hersteller sehr verschiedene Wege. Derzeit ist es daher noch so, daß für jede Anlage eine eigene Ausbildung erforderlich ist. Wer einen Programmierkurs für die Maschine X mitgemacht hat, kann die Maschine Y noch nicht programmieren. In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, daß es beispielsweise der Schule erst dann möglich wurde, der Praxis ausgebildete Maschinenschreibkräfte zur Verfügung zu stellen, als das Tastenfeld einheitlich geregelt wurde. Könnten die Hersteller von Rechenanlagen nicht auch auf diesem Gebiet der Ausbildung entgegenkommen und ihre Herstellung im Sinn tendenzieller Vereinheitlichung der Anlagen reformieren?

• Wie sollte die Anlage eingesetzt werden? In einer Schule liegen keine zu verarbeitenden Massenbelege vor, die in kürzester Zeit zu verarbeiten sind. Daher ist es sehr schwierig, ein Übungsprogramm zu konstruieren, aus dem der Schüler den Wert einer integrierten Datenverarbeitungsanlage erkennen kann. Soll die Maschine nur Demonstrationsmittel sein oder könnte sie auch für praktische Arbeiten eingesetzt werden, wie etwa für Lehrer- und Schülerstatistiken, für die Erstellung optimaler Stundenpläne und ähnliches? Eine Amortisation der Anlage (im kaufmännischen Sinne) könnte freilich nicht erreicht werden. Vorläufig lassen jedenfalls die Lehrpläne noch keine Unterrichtszeit für eine Ausbildung an Datenverarbeitungsmaschinen zu. Außerdem steht audh keine genügend große Anzahl ausgebildeter Lehrer zur Verfügung. Anderseits muß aber der Beginn des spezifischen Unterrichts bei der Lehrerausbildung liegen.

Beim Ankauf von Datenverarbeitungsanlagen durch die Schulverwaltung ist auch noch zu erwägen, daß man jene Maschinen kaufen muß, die in der Praxis jeweils am meisten verwendet werden. Österreich hat keine eigene Büromaschinenindustrie. In der Prxis findet man daher die verschiedensten Fabrikate der erzeugenden Länder. Außerdem haben die letzten Büromaschinenmessen deutlich bestätigt, daß sich eine neue Entwicklung anbahnt: Der Magnetkontencomputer scheint eine Lücke, die noch zwischen konventionellen Buchungsmaschinen und Großrechenanlagen besteht, zu schließen. Im Mittelpunkt der Entwicklung steht die Magnetkontenkarte, welche die direkte Dateneingabe mit sofortiger Datenverarbeitung und Datenausgabe ermöglicht. Die bisher unabdingbare vorherige Erstellung von Datenträgern (zum Beispiel Lochkarte oder Lochstreifen) entfällt. Darüber hinaus bildet die Klarschriftinformation in der gebräuchlichen Kontenform einen großen Vorteil. Die genannte Maschine ist wesentlich billiger: die oft teuren Installationskosten (wie etwa eine Klimaanlage) entfallen. Man braucht kein Prophet zu sein, um den erwähnten Maschinen gerade in Österreich — wo es abgesehen von den wenigen ganz großen Betrieben sehr viele Mittel- und Kleinbetriebe gibt — eine große Zukunft Voraussagen zu können. Einige Büromaschinen- erzeuger bieten Kleinanlagen der geschilderten Art bereits an oder arbeiten an ihrer Entwicklung. Wollte man die in Österreich bestehenden 16 Lehrbüros — an denen die Schüler der Handelsakademien und Handelsschulen ihren praktischen Bürotechnikunterricht erhalten — mit derartigen Kleinanlagen ausstatten, wären aber immerhin auch etliche Millionen für den Kauf der Anlagen erforderlich.

Wer kann das bezahlen?

Wenn wir heute lesen, daß in New York bereits wieder eine ganz neuartige Buchungsmaschine vorgeführt wurde, die weder mechanische noch elektronische Schaltkreise aufweist, eine Maschine, bei der vielmehr Zahnradgetriebe, Antriebe, Hebel, Übertragungsteile und Schaltkreise durch Fluidströmungen ersetzt werden, die in sehr kleinen Kanälen zirkulieren und auf Ventile einwirken, und wenn stolz behauptet wird, daß auf diese Weise bedeutende Veränderungen für künftige Herstellungsverfahren entstehen werden, muß man verstehen, daß die Unterrichtsverwaltungen aller Länder beim Ankauf der teuren Büromaschinen sehr vorsichtig sind. Kein Staat hat so viel Geld, um schon nach ganz wenigen Jahren die veralteten und kommerziell nicht einsetzbaren Maschinen auszutauschen. Allerdings können wir es uns auch nicht leisten, auf ein „endgültiges” Stadium in der Entwicklung der Rechenanlagen zu warten, das nie kommen wird.

Um allen Handelsakademikem und Handelsschülern Österreichs eine Ausbildung in automatischer und integrierter Datenverarbeitung zukommen zu lassen, wird wohl nur die Datenverarbeitung auf Buchungsmaschinenbasis realisierbar sein. Im Schüler muß an einem Maschinentyp, der in der Praxis vertreten ist, Verständnis für das Wesentliche des praktischen Vorganges geweckt werden. Zudem muß die Maschine preislich so liegen, daß sie für alle Lehrbüros angeschafft werden kann. Jedenfalls scheint unvermeidbar zu sein, daß die Budgetverantwortlichen der Büroautomation Rechnung tragen und allenfalls über mehrere Jahre zumindestens eine Budgetumschichtung vornehmen.

Gleichzeitig müssen die Lehrpläne derart neugestaltet werden, daß Veraltetes abgebaut und Neues aufgenommen wird. Der Lehrer des kaufmännischen Unterrichtes soll gleichzeitig erkennen lernen, daß seine Ausbildung mit der Lehramtsprüfung nicht beendet ist, sondern daß er sich dauernd an neue Wirklichkeiten anpassen und diese in seine Unterrichtsdarbietung einbauen muß. Das gilt auch für die maschinelle Technik im Rechnungswesen.

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