6591870-1952_31_10.jpg
Digital In Arbeit

Leistungsschulen mit lebensnahen Lehrplänen

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt eine Schulerneuerung, die sich zum Ziel setzt, neue Methoden und neue Arbeitsweisen in unser Schulwesen einzubauen, und es gibt eine Schulerneue- rung, die versucht, die Diskrepanz zwischen Schule und weitergehendem Leben zu überwinden. Die vom österreichischen Unterrichtsministerium seit 1945 im Pflichtschulsektor eigeleitete Bewegung zur inneren Schulerneuerung verbindet beide Tendenzen; sie mißt den Erfolg von Reformen an den Leistungen der Schule, also um einen von Josef L e h r 1 glücklich geprägten Ausdruck zu verwenden, an der Weiterenwicklung zur Leistungsschule, und sie strebt zugleich eine lebensnahe Gestaltung unseres Schulbetriebes an.

Zu letzterem, zur Angleichung unserer Schule an das seit der Zeit nach dem ersten Weltkrieg sich ständig verändernde außerschulische Leben, in seinem bedeutenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel, berechtigt Jm Schulorganisatorischen der starke Ausbau der berufspraktiscn ausgerichteten Schulen, der fachlichen und gewerblichen Berufsschulen gegenüber den früher allein vorherrschenden allgemein- bildenden Schulen zu großen Hoffnungen. Im Bereich der überkommenen Formen des Mittelschulwesens gab die letzte Landesschulinspektorentagung einen bedeutenden Auftakt. Im Pflichtschulsektor hat die seit 1945 eingeleitete österreichische Landschulerneuerung — noch immer besuchen mehr als die Hälfte aller Pflichtschüler ausgesprochen ländliche Schulen — ihre Erneuerungsziele mit den Marken leistungsgesteigerter Heimat- und Lebensschule bezeichnet und mit letzterem Ausdruck die Lebensnahe und die Lebensverbundenheit der ländlichen Schule unterstreichen wollen. Immer wieder aber weisen die Aktivisten dieser Bewegung, die echten Praktiker, auf die Erneuerung unserer Lehrpläne hin. Die Erörterung dieses umfangreichen Fragenkomplexes, die Revision des Volksschullehrplanes, hat das Unterrichtsministerium mit einem grundlegenden- Erlaß in behutsamer, aber doch umfassender Weise eingeleitet.

Unsere Volksschullehrpläne gehen auf die definitiven Lehrpläne aus dem Jahre1930 find diese wieder auf die im Zuge der Schulreform nach 1918 geschaffenen provisorischen Lehrpläne zurück. 30 Jahre sind im Hinblick au£ die darin enthaltenen geschichtlichen Ereignisse immerhin eine so große Zeitepoche, daß auch der weniger reformbegeisterte Pädagoge die Pflicht hat, Grundlagen und Inhalt solcher Schulpläne mit dem Blick auf das weiterflutende Leben zu überprüfen. Dies gilt sowohl für die allgemeinen Bildungsziele und didaktischen Grundsätze als auch für stoffliche Einzelaufgaben.

Den Überlegungen zu einer Revision der allgemeinen Grundlagen des Lehrplanes gesellen sich schulorganisatorische Einzelfragen, wie die Auflockerung der erstarrten Örganisationsformen der Landschule, die Revision des Stundenausmaßes für die einzelnen Lehrfächer und ähnliches. Immer wieder aber wird durch die Praktiker der Schule und noch mehr durch außerschulische Kreise, wie der Menschen der Wirtschaft, auf notwendige stoffliche Änderungen im Lehrplan hingewiesen. Eine elastischere Gestaltung des Lehrplanes als Rahmenlehrplan, vielleicht mit verpflichtenden Mindestzielen und variablen zusätzlichen Aufgaben, mit verpflichtenden Kernstoffen und freier gedachten peripheren Stoffgebieten, dies steht hier ebenso zur Debatte wie Anregungen zu wirklichen Stoffabstrichen auf der einen Seite und neuen Stoffzusätzen auf der anderen. Könnten nicht verschiedene Dinge, so fragen manche, des theoretisierenden Sprachlehre- und Rechenunterrichtes, die weitab von einem für das Leben wichtigem Wissen und Können liegen, ohne Schaden für das spätere Leben und zugunsten verstärkter Schulung im Rechtschreiben und praktischen Rechnen wegbleiben? Könnte der Geschichtsunterricht zugunsten der Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart und ihrer staatsbürgerlichen Erziehungsaufgaben nicht stofflich weiter entlastet werden? Ähnliche Fragen ergeben sich für die naturwissenschaftlichen Fächer im Hinblick auf neuere technische Entwicklungen und ähnliches. Glücklich sind einige praktisch bedeutungslose Teile der Elektrizitätslehre aus dem Physikunterricht entfernt worden, aber wie viel geistert noch immer hier und in anderen Gebieten herum, ohne daß neue, den wirtschaftlichen Entwicklungen entsprechende Stoffgebiete hereingenommen wurden.

Amtliche und nichtamtliche Stellen fordern oft die versuchsweise Einführung neuer Unterrichtsgegenstände. Nichts wurde mehr von der Bevölkerung begrüßt als die Neueinführung unmittelbar auf das Lebenspraktische abgestellter Gegenstände, Unsere Landschulen haben bedeutende Summen für die Einrichtung von Schulküchen zur Führung des Hauswirtschaftsunterrichtes aufgewendet. Es gibt Landes- schulbejhörden, die die pflichtige Führung des Hauswirtschaftsunterrichtes verlangen. LJnsere ländlichen Versuchschulen aktivieren wieder die Schulgartenarbeit und beleben damit ein Gebiet, auf dem Österreich um die Jahrhundertwende im Schulwesen Europas führend war. Mit der Ausgestaltung der Schulgärten, Schulversuchsfelder und Schuläcker und mit einem den ländlichen Bedürfnissen entsprechenden Handarbeitsunterricht versucht man einen Beitrag zu einer landnahen Gestaltung unserer Volksschule zu geben. Da und dort wird die Einführung einer in den westlichen Kulturländern längst erprobten Sozialkunde in den Unterricht gefordert, um eine wesentliche Lücke unserer blässeren Unterrichtsgestaltung auf manchen Gebieten auszufüllen.

So steht eine Fülle von Problemen mit der Erneuerung des Volksschullehrplanes im Zusammenhang. Soferne die nun angebahnten Gespräche der führenden Schulleute, der Schulaufsicht und der Lehrerbildner und der Lehrerschaft überhaupt im sachlichen Rahmen bleiben und sich von allen effekthaschenden Neuerungen freihalten, ist hier eine echte Neubegegnung von Schule und Leben zu erwarten. Allgemeine Gesichtspunkte werden hiebei die objektive Leistungssteigerung und die strenge Linie einer lebens- und zeitnahen Sch Umgestaltung bleiben müssen. Dann werden im Geiste eines gesunden pädagogischen Realismus, der bei aller Achtung letzter und allgemeingültiger Erziehungsgrundsätze die Welt so sieht, wie sie nun einmal ist, und erkennt, was diese Welt braucht: neue lebensnahe Lehrpläne ent- stehen für die grundlegenden Leistungsschulen unseres Volkes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung