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Die Schulgesetzverhandlungen, seit eineinhalb Jahrzehnten eine empfindliche Belastung der österreichischen Koalitionspolitik, sind in ein entscheidendes Stadium getreten. Eine Kompromißlösung, in der allerdings noch einige wichtige Streitfragen offengeblieben sind, hat den seit Ende 1960 unter dem Vorsitz des Unterrichtsministers Dr. Drimmel damit beschäftigten sechsgliedrigen Unterausschuß des Koalitionsausschusses (ÖVP: Nationalrat Dr. Weiß, Nationalrat Har- walik, Minister Dr. Bock; SPÖ: Nationalrat Dr. Neugebauer, Nationalrat Mark, Minister Dipl.-Ing. Waldbrunner) verlassen und den ortsüblichen Weg zu den Parteigremien angetreten. Von der sozialistischen Parteivertretung liegt nach neuesten Pressenachrichten bereits die Zustimmung dazu vor, die der ÖVP-Bundesparteileitung (nach Befragung der Bünde und Landesparteileitungen) steht noch aus. Damit würden diese Grundsätze für ein österreichisches Schul- und Erziehungsgesetz reif für die gesetzliche Ausarbeitung und die Vorlage des Gesetze an di Regierung.

Unser Blatt, allen Schul- und Er- slehungsfragen seit eh und je mit wohlinformiertem Interesse zugewandt, hat sich in der Endphase der Verhandlungen des Ausschusses bewußt in der Berichterstattung zurückgehalten. Da aber Nationalrat Harwalik und andere am 29. November in der Budget- Spezialdebatte des Nationalrates ausführlich über die vorläufigen Übereinkommen berichtet haben, ist es Zeit zu reden — nicht zum letzten Mal, denn der endgültige Abschluß der Verhandlungen steht, wie gesagt, noch aus und wird zu gegebener Zeit ein Schlußwort erfordern.

Den Mitgliedern des Ausschusses sei vorweg bescheinigt, daß sie mit ihrer Sisyphusarbeit, die die ganzen elf lebten Monate beansprucht hat, wahrscheinlich das unpopulärste und unbedankteste politische Geschäft besorgt haben, das die ganze österreichische Innenpolitik der Ersten und der Zweiten Republik kennt. Denn es gibt hier wohl ein politisches Kompromiß, aber es ist schlechtweg kein einziges fachliches denkbar, das alle Teile auch nur halbwegs befriedigen könnte. Hierin haben die Verhandlungspartner, zu einem Drittel Schulmänner, von Anfang an klar gesehen, ihr Amt aber trotzdem im vollen Bewußtsein der

Schwierigkeiten übernommen und fortgeführt.

Alle Kritik, die nunmehr hier und anderswo geübt wird, wird denn auch mit einer gewissen Reverenz vor der geleisteten Arbeit und vor dem redlichen Maklerwillen der Beteiligten beginnen müssen.

An Anlässen zu Kritik fehlt es vor allem in christlichen Lehrer- und Elternkreisen nicht.

Gleich der erste Komplex, die Einführung des neunten Pflichtschuljahres, ist über die grundsätzliche Bejahung, über die von vornherein Meinungsgleichheit herrschte, nicht weit hinausgekommen. Über die Stelle nämlich, wo dieses neunte Schuljahr einzubauen wäre, ist „Parteieneinigung noch zu erzielen“, hieß es im Nationalrat lakonisch. Gegen die aus bittersten Erfahrungen datierende beste Lösung, die altbewährte 5. Volksschulklasse wieder einzuführen und damit das mit Händen zu greifende Wissensdefizit der Volksschulabgänger aus der Welt zu schaffen, zugleich aber auch den Zehnjährigen durch Zc sjewinn den Übergang zum Fachlehrersystem zu erleichtern, haben sich nicht nur die Sozialisten mit ihrem Vorschlag: 5. Hauptschulklasse, sondern auch bäuerliche Kreise mit Berufung auf die Landflucht und das Militärjahr entgegengestemmt. Die angekündigte Annahme eines späteren sozialistischen Vorschlages, die Nichtmittelschüler das neunte Pflichtschuljahr im Rahmen der Berufsschule absolvieren zu lassen, befriedigt nicht.

Angeblich offen sind auch noch die beiden wichtigsten Fragen des zweiten Komplexes, der Hauptschule. Hier scheint sich der Kraftaufwand der ÖVP darin erschöpft zu haben, die Hauptschule überhaupt zu retten und nicht den alten Glöcklschen Traum von der Einheitsmittelschule einsickern zu lassen. Was wäre es denn aber anderes, wenn die Sozialisten ihre Forderung nach weitgehender Angleichung des Hauptschullehrplanes an den der Untermittelschule doch noch durchdrückten, als jene Einebnung des Unterrichtes zwischen dem 10. und 14. (15.) Lebensjahr, wie sie der Einheitsmittelschule vorgeschwebt hat? Auch das hartnäckige Festhalten der Sozialisten an den „beiden Zügen“ der Hauptschule weist in diese Richtung. Die Lösung dieser beiden noch ausstehenden Fragen wiegt schwerer als die bisher erreichten, auch nicht voll befriedigenden Einigungen auf dem Gebiete der Geschlechtertrennung und der Erleichterung des Übertrittes von der Hauptschule in jene Mittelschultypen, die Latein erst ab der Oberstufe führen.

Keine nennenswerten Differenzen gibt es in der Frage der nunmehr neunklassigen Mittelschulen, deren Einzelreformen man den Mittelschullehrern selbst überlassen will; überhaupt gab und gibt es keii e Differenzen in den Grundsätzen des Berufsschulwesens.

„Das Herzstück der Schulerneuerung ist die Lehrerbildung. Mit ihr qualifiziert sich das ganze Gesetzgebungswerk“, sagte Nationalrat Harwalik in der Nationalratsdebatte. Diesem fundamentalen Satz werden im Hinblick auf die unabsehbare Breiten- und Tiefenwirkung. die die Lehrerbildung auf i das ganze Gesellschaftsgefüge unseres

Volkes ausübt, auch jene uneingeschränkt zustimmen, die das erzielte Übereinkommen für bedenklich halten.

Das Kompromiß vermeidet ängstlich den Begriff der Akademisierung der Lehrerbildung. In der Tat ist es nur der erste Schritt zur vollen Hochschulausbildung, der nächste, der „Anschluß an Bayern", steht uns morgen oder übermorgen noch bevor. Für diese vier Semester „Pädagogische Akademie“, in die nunmehr alle Maturanten hineingeschleust und über Nacht zu vollendeten Pädagogen geschliffen werden sollen, ist im Nationalrat von mehreren Seiten eine wortreiche Begründung gegeben worden, die in der Notwendigkeit modernerer und ausgedehnterer Allgemeinbildung gipfelt. Mit keinem einzigen Wort wurde dabei die Frage gestreift, ob diesem gleichen Ziele nicht der Urvorschlag der Katholischen Lehrerschaft, die bestehenden Lehrerbildungsanstalten auf sechs- klassige Lehrerbildungsakademien aufzustocken, weniger kompliziert, weniger kostspielig und zielstrebiger gedient hätte. Über diesen wunden Punkt der neuen Schulgesetzgebung haben sich erfahrene katholische Schulleute, Akademiker und Nichtakademiker, hier und anderswo die Finger wundgeschrieben — bisher ohne Erfolg. Sie erheben in letzter Stunde noch ein mal ihre warnende Stimme vor den Folgen: dem mit Sicherheit zu erwartenden verstärkten Lehrermangel (besonders auf dem Dorf) und zugleich einem Abbau der weltanschaulichen Profilierung der Gesellschaft von der Wurzel her.

Wieviel auf der anderen Waagschale liegt: die dafür eingehandelte Stützung der konfessionellen Schulen durch „lebende Subventionen“, ist noch völlig unklar. Ergreifend klar ist nur, wie tief die eine sinkt.

Die letzte der noch ungelösten Fragen, die des Religionsunterrichts, hat Abgeordneter Harwalik im Nationalrat mit dem diplomatischen Satz umschrieben: „In allen Fragen der schulrecht- lichen Materie, die gleichzeitig auch kultusrechtliche Materie ist, wird das Kultusamt des Bundesministeriums für Unterricht das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten befassen." Er verwies dabei auf die §§ 1 bis 4 des Artikels VI des Konkordats vom 5. Juni 1933 und damit auf die Rechte der Kirche auf den Religionsunterricht in allen Schulformen, eindeutig also auch den Pädagogischen Akademien, und schloß dieses Kapitel in wünschenswerter Nachdrücklichkeit mit den Worten:

„Ich möchte mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß ohne diese Einigung ein Schulgesetz in Österreich nicht denkbar ist. Ohne mir auch nur den Anschein eines Vorgriffes auf das Ergebnis dieser Verhandlungen zu gestatten, halte ich mich nach dem Geiste der nunmehr elf Monate geführten Very handlungen für berechtigt, zu sagen, daß die SPÖ, deren Meinungsgebung durch ihre an den Verhandlungen kompetent beteiligten Regierungs- mitglieder vertreten wird, alles tun wird, das Schulgesetz auch über , diese schwierigste Hürde zu bringen.“

Diesen Worten des Abgeordneten Harwalik ist unserseits anzufügen:

Diese Haltung der Sozialisten wäre um so eher zu erwarten, als die katholische Bevölkerung Österreichs nach dem oben aufgezeigten Stand bei den bisherigen Schulgesetzverhandlungen mehr „geblutet“ hat als der Kombattant und in demokratischer Disziplin durch ihre Vertreter an die Grenze dessen gegangen ist, was von ihrem Standpunkt aus gerade noch verantwortet werden konnte — da und dort vielleicht schon darüber hinaus. Das Gesetz der Fairneß würde jetzt verlangen, daß der sozialistische Verhandlungspartner in allen noch ausstehenden Fragen, besonders der letztgenannten, gleiche Loyalität bekundet.

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