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„Magna charta“ der Erziehung

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Der letzte Tag des Jahres 1954 bringt eine Erinnerung, an der die christliche Welt nicht achtlos vorübergehen darf: am 31. Dezember 1929 erließ Papst Pius XI. seine große Enzyklika über die christliche Jugenderziehung.

Gottgeoffenbartes Wissen um den Sinn des menschlichen Daseins und die fast zweitausendjährige Erfahrung in der Menschenführung rechtfertigen den Anspruch der katholischen Kirche, in der Erziehungsfrage gehört zu werden. Darum hat sie nach langer Beobachtung des Wirrsals pädagogischer Strömungen zu rechter Zeit ihre Stimme erhoben und in diesem Rundschreiben die grundlegende Auseinandersetzung mit den neueren Erziehungstheorien und den Fragen der Schulpolitik geboten. Das Wesentliche einer guten Jugenderziehung ist dabei in lichtvoller Art dargestellt, den pädagogischen Zeitirrtümern mit maßvollem Ernst entgegengetreten. In ganz besonderer Weise aber wurde der Familienerziehung gedacht.

Als die Enzyklika „Divini illius magistri“ erschien, wurde zunächst nicht alles an dem neuen Rundschreiben völlig verstanden. Heute aber, 25 Jahre später, erkennen wir, wie richtig schon damals gewisse Gefahren gesehen wurden. Doch die Enzyklika ist nicht etwa nur ein Dokument der Sorgen und Mahnungen, sondern vielmehr eine großartige L e h r s c h r i f t, die den Katholizismus in die Lage versetzt, aktivst in der Gegenwartspädagogik mitzusprechen. Sie stellt gegenüber aller Kompliziertheit und Problematik ein klares und gesundes System dar und ist in die Hauptabschnitte über die E r-ziehungsberechtigten, über den Gegenstand der Erziehung, über ihre Umwelt und über Ziel und Form der christlichen Erziehung gegliedert.

In ihrer Einleitung heißt es: ,

„Kein Wort offenbart uns Größe, Schönheit und übernatürliche Erhabenheit des christlichen Erziehungswerkes so treffend wie das hehre Wort der Liebe, mit dem unser Herr Jesus Christus, sich den Kindern gleichstellend, erklärte: Wer eines von diesen Kleinen in Meinem Namen aufnimmt, nimmt Mich auf.“

Und nun folgen die Darlegungen, wem nach der Lehre der Kirche die Erziehungsaufgabe zukommt, was Gegenstand der Erziehung ist und wie das Ziel und die Form der christlichen Erziehung beschaffen sind. Es wird der Gemeinschaftscharakter des Erziehungswerkes umschrieben, wobei Familie, Staat und Kirche in ihren Rechten und Möglichkeiten einander gegenübergestellt und zur Harmonisierung ihrer Arbeit an der Jugend aufgerufen werden. In weiteren Kapiteln finden wir dann aktuelle Fragen behandelt, wie etwa die sexuelle und die Leibeserziehung, die Koedukation u. a.

Nichts aber wird mit solch liebevoller Bemühung besprochen, wie die Familien-erziehung. Ueber sie sagt das Rundschreiben mit höchster Eindringlichkeit, daß ihr „beklagenswerter Verfall in unserer Zeit“ mit allen Mitteln, besonders aber durch die Ermunterung und Unterweisung der Elternschaft, zu überwinden ist.

Klassisch heißt es dann Über die Schule, sie sei nicht so sehr durch Gesetze und Unterrichtspläne, als vielmehr durch gute Lehrer zur Erfüllung ihrer Aufgaben fähig.

Mit ungewöhnlicher Wärme würdigt die Enzyklika sodann den pädagogischen Wert und die religiöse Bedeutung der katholischen Lehrerschaft, wobei die Vereinigungen dieses Standes ganz besonders hervorgehoben werden:

„Unser Inneres ist voll von Trost und Dank gegen die Güte Gottes, wenn wir sehen, wie zusammen mit den dem Lehrberuf lebenden Ordensmännern und Ordensfrauen eine so große Zahl guter Lehrer und Lehre rinnen — zur Pflege ihrer Seelenkultur auch zusammengeschlossen in Standeskongregationen und Standesvereinen, die deshalb als hochwertige und machtvolle Hilfstruppen der Katholischen Aktion zu loben und zu fördern sind — selbstlos, mit Hingabe und Ausdauer sich in der Kunst betätigen, die der heilige Gregor von Nazianz die Kunst der Künste und die Wissenschaft der Wissenschaften nennt, in der Kunst, die Jugend zu führen und zu bilden.“

Ausdrücklich wird die Notwendigkeit der Schule als Ergänzung dessen, was Familie und Kirche zur Erziehung leisten, anerkannt, aber es wird auch unter Hinweis auf das kirchliche Gesetz die Forderung nach der katholischen Schule für die katholischen Kinder als die einzige Form der Jugendbildung bezeichnet, die geeignet ist, die innere Einheit der christlichen Erziehung zu sichern.

In ihrem letzten Teil spricht die Enzyklika vom Ziel der christlichen Erziehung. Das ist der wahre Christ, die charaktervolle Persönlichkeit nach dem Vorbilde des Herrn und der Heiligen. Aber die Bildung des wahren Christen ist auch zugleich die des besten Staatsbürgers, sagt das Rundschreiben und weist darauf hin, daß die ganze abendländische Kulturgeschichte den Satz bestätige.

Diese bedeutsame Kundgebung stellt ein erhabenes Dokument des Fortwirkens Christi in Seiner Kirche dar. Bei ihrem Studium wird dem pädaeopisch interessierten Leser wieder einmal das Wort vom Felsen Petri bewußt. In einer Zeit, die so viel, aber auch so widerspruchsvoll von Erziehung redet, wird hier das dauernd Gesicherte zusammengefaßt und auf Tapes-probkme von heute angewendet, wobei allen modernen Erziehungsfraeen iener Raum gegeben ist, der ihnen eebührt. Unbedingter A n-spruch der christlichen Erziehung ist nach der Lehre der Enzyklika rener Bereich, der das Heil der E i n z e I s e e 1 e betrifft. Dieses Heil wird nur gewährleistet durch eine Erziehung, die von früher Kindheit an die Erkenntnis des Guten wie des Bösen pflegt, die sich keinen Illusionen über die menschliche Natur hingibt, zum Wissen um die göttlichen Gebote und zum Gebrauch der Gnadenmittel hinführt und sich an großen Vorbildern zum Leben in der Kindschaft Gottes entzündet.

Das ist der Wesenskern jenes päpstlichen Rundschreibens, dessen Erscheinen sich in diesen Tagen zum fünfundzwanzigsten Male jährt und auf das die christliche Welt mit Stolz blicken darf. Es ist in der Tat die „Magna charta“, der große Verfassungsbrief der christlichen Erziehung geworden — diese aber ist eine Menschheitsangeleg.nheit in einer Zeit, von der man gesagt hat, sie sei im Grunde des Wesens nur noch ein Wettlauf zwischen Erziehung und Lintergang!

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