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Mainzer Appell

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Zuerst kam Köln und sein Domfest. Es wurde ein großer Feiertag voll Beschwingtheit und rheinischer Frohheit, man könnte sagen, ein Volksfest. Mainz war bei seiner 72. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands ein großer Werktag und blieb sich jede Stunde der gewaltigen Verantwortung bewußt, die es vor der Welt und der Geschichte auf sich genommen hatte.

Mit der Distanz wächst nicht nur der Gesamteindruck, sondern auch das Gewicht gewisser Einzelheiten, die zunächst von der schnellen Aufeinanderfolge anspruchsvoller Beratungen verdrängt!1'schienen.

Es türmen sich die Aufgaben; Deutschland ist Missionsland geworden. Ivo Zeiger S. J., den Pius XII. dem Apostolischen Visitator beigab, sprach in den „Stimmen der Zeit" schon einmal aus, was deutsche Katholiken als geheime Sorge mit sich schleppen, und jetzt in Mainz ein zweitesmal: den Trugschluß, der aus Wahlergebnissen gern gezogen wird, es stünde glut um Christenheit und Kirche; den Einbruch der Vermassung bis hinein in den sakralen Bereich, in den Bannkreis des Priesters. Die Häufung von Gemeinschaftsmessen, von Großwallfahrten, von kirchlichem Großbetrieb droht in Deutschland tatsächlich alles Individuelle zu ersticken. Wort und Sprache haben wirklich nicht mehr ihren Wert, die Begriffe nicht mehr ihre Ursprünglichkeit. Der Mensch sucht die Sensationen in der religiösen Kundgebung, im Schau-Spiel heiliger Handlung. Eine Sucht nach Wundern, nach Offenbarungen zeugt ebenfalls dafür. Riesige Missionsarbeit ist zu tun, aber in Armut und Bescheidenheit. P. Zeiger forderte es mit unerbittlicher Schärfe. Und es geht wahrlich nicht an, daß etwa Priester kleiner Gemeinden einen Kraft-

wagen oder ein Kraftrad besitzen, während andere, die zwanzig, dreißig oder noch mehr Gemeinden zu betreuen haben, im wahrsten Wortsinne „per pedes apostolorum“ der Seelsorge nachgehen müssen. Welch eine Wandlung der Christen ist nötig, damit hier Wandel geschieht! Der Dom zu Mainz hatte wohl nie zuvor in seinem 1000jährigen Gemäuer Beifall aufrauschen gehört. Doch nun konnte selbst die Erhabenheit der Stätte den Dank der aufgewühlten Zuhörer nicht dämmen.

„Nicht klagen — handeln!“ Drang und Wort gewannen denn auch Leben — in den Referaten, weit mehr noch in den Entschließungen, mit denen die Arbeitsgemeinschaften am Ende ihrer oft auch kämpferischer Auseinandersetzung an die Öffentlichkeit traten.

Die Vertretertagung, der an die 1000 Delegierte beiwohnteh, teilte sich in 12 Arbeitsgemeinschaften auf, suchte eich der religiös-sittlichen Situation zu vergewissern und Wege der Überwindung drückender Notstände aufzuspüren. Die besten Kräfte des deutschen Katholizismus waren zugegen. Sie nahmen gerne den wesentlichen Beitrag der ausländischen, besonders der französischen Katholiken an, deren Elan sich von deutscher Konservativität beträchtlich abhob. Das Schwergewicht fiel naturgemäß in den Arbeitskreis „Verantwortung für Glauben und Kirche", der drei Brennpunkte der Zeitnot zeigte: die Not der Hei m a t- vertriebenen, die Notdes Dorfes, die Not der Industriestadt. Er beschwor in seiner Entschließung die Völker, das an den Vertriebenen begangene Unrecht wiedergutzumachen. Das Problem der deutschen Ostvertriebenen wurde als Schicksalsfrage des christlichen Europa erkannt und ein nahezu flehentlicher Hilferuf an „unsere christlichen Brüder und

Schwestern im Ausland" gerichtet, doch „mit allen verfügbaren Kräften namentlich auch denen zu helfen, für die wir selbst nur unzureichend sorgen können: den Millionen Heimatvertriebenen!"

Ein schwieriges Werk hatte die Arbeitsgemeinschaft „Soziale Frage“ zu bewältigen. Ob es gelang? Ein „sozialer Katechismus" soll, so beschloß dieser Kreis, das Verständnis für die christliche Sozialethik fördern, den Menschen zu Voraussetzung, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft machen und eine neue soziale Betriebsverfassung verwirklichen helfen, die dem Arbeiter und Angestellten ein größeres Maß an Selbständigkeit und Mitgestaltung in der Wirtschaft gewährt, Abhängigkeit und Existenzunsicherheit der Werktätigen aufhebt. Der Arbeitskreis „Not und Nothilfe" verwandte sich für verstärkte Maßnahmen des Jugendsdiutzes und der Jugendpflege. An den Papst richtete er die Bitte, sich einzusetzen für die Heimkehr aller Gefangenen, für Erleichterung in den Militärgefängnissen und beschleunigte Abwicklung der gegen Kriegsgefangene noch schwebenden Prozesse.

Vor weitgespannte Anliegen sahen sich die Arbeitsgemeinschaften „Jugendfrage n", „Schule und Erziehung" und „F r a u e n f r a g e n" gestellt. Obligatorische Einführung des Religionsunterrichtes in den Berufsschulen, Errichtung einer katholischen Studentenschaft und besondere Pflege der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ), beziehungsweise der Vorkämpferschulung innerhalb der CAJ wurden als vordringlich herausgearbeitet. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) befand man als „kommunistisch inspiriert“ und „totalitär". Sie stieß auf völlige Ablehnung. Selbst in der Diaspora, so lautete eine weitere Forderung, müsse die katholische Bekenntnisschule eingerichtet werden, vor allem aber sollten die Militärregierungen das Recht des deutschen Volkes auf freie, selbständige Regelung der Schulfrage anerkennen, öffentliche Mittel seien einzusetzen, um allen Kindern sozial gerechte Bildungsmöglichkeiten zu sichern. Auch den privaten Schulen sei Anerkennung und Unterstützung zu gewährleisten. In der Arbeitsgemeinschaft „Bildung und Kultur" erhob sich die Bitte an den Episkopat, Bau und Ausstattung von Kirchen nur in wirklich sachverständige, künstlerische Hände zu legen, damit dem wuchernden Dilettantismus Einhalt geboten wird. Die Arbeitsgemeinschaft „Publizistik, Film, Rundfunk“ gründete eine die Angehörigen aller drei Sparten umfassende „Gesellschaft katholischer Publizisten“. Die Arbeitsgemeinschaft „Übernationale katholische Zusammenarbeit" schloß den eindringlichen Appell an die Christen an, dem , erneut aufflammenden Antisemitismus zu begegnen, dem modernen Krieg durch die weltumspannende Gesamtorganisation der katholischen Kirche zu wehren, der Weltmission und der Aufrechterhaltung engen persönlichen und literarischen Kontakts mit dem katholischen Ausland zu dienen. Gleich den Christen d.er Welt wurden indes auch die Christen im Lande selbst angerufen: „Wir stehen gemeinsam gegen die Mächte, die das Bild Gottes im Menschen auszulöschen suchen, und wissen uns verbunden durch das Band der Liebe. Das Zusammenwirken aller verantwortlichen Christen in der Arbeit an der sozialen Neuordnung unseres Volkes und in der Caritas stärkt unseren Willen und unsere Hoffnung.“

Die Entschließungen enthalten viel Wegweisung und Ansporn. Dennoch ist ihr und der Tagung Echo nicht ungeteilt; in Lob und Zustimmung mischen sich Klänge der Kritik und Skepsis, der Besorgnis.

Unter anderem fallen zwei französische Stimmen ins Gewicht: Graf Robert d’H a r c o u r t sprach von „mangelnder Wirklichkeitsnähe“, Philippe Jarraud de V e r a c, ein anderes Mitglied der französischen Delegation, sagte, die ungebrochene Kraft der katholischen Kirche sei bewundernswert, ihre Haltung gegenüber den sozialen Fragen jedoch noch zu konservativ. Die Ansichten junger deutscher Katholiken bewegen sich in ähnlicher Richtung. Dankbar würdigen sie und nicht wenige ältere Laien die Aufgeschlossenheit, mit der alles das aufgenommen wurde, was die Jugend, auch der junge Klerus vorbrachte. Aber sie wollen nicht vollends verstehen, warum die Laien, die doch zur Katholischen Aktion aufgerufen sind, nicht die Führung der Arbeitsgemeinschaften innehatten; mehr als die Hälfte wurden von Geistlichen geleitet. Sicherlich kamen die Laien allenthalben zu Wort, die Zusammenarbeit war durchweg eine gute, obgleich noch am Vorabend vor der „Gefahr des Laienregiments in der Kirche" gewarnt worden war. (In dieser kritischen Situation zeigte sich Ivo Zeiger S. J. nicht minder souverän als in der Aufdeckung der erschütternden Wirklichkeit der Kirche.) Überall dort, wo es nicht um das auf deutschen Kongressen so beheimatete Theoretisieren, sondern um das Praktische ging, stach in der Tat die energische Initiative der Laien hervor. Dennoch verwies ein angesehener Redner mit Recht auf „die Angst vor dem Konkreten“, die oft Gedanken und Entschlüsse lähme. Die Wochen zeitung „Rheinischer Merkur", die bedeutsamste katholische Stimme am Rhein, erklärt denn auch: „Man kann wohl nicht sagen, daß der Mainzer Katholikentag eine Wende in der Geschichte des deutschen Katholizismus darstellte. Vor allem mag er die enttäuscht haben, die von ihm den Auftakt einer auf breiter Grundlage strafforganisierten Katholischen Aktion erwarteten. Er hat aber im großen und ganzen denen Recht gegeben, die sich von der hierarchischen Kirche ein wohlwollendes Gewährenlassen, ja eine Gutheißung und Anerkennung jeder erfolgreichen Initiative, gerade von der Seite der Laien, versprachen. In diesem Sinne kann Mainz als Stufe, als Markstein verstanden werden.“

Der Katholikentag 1949 wird in B o- c h u m sein. Bochum, im Herzen des Ruhrindustriegebiets, des Kohlenbergbaus, im Herzen heutiger Not und modernen Proletariats, liegt den Brennpunkten unausweichlicher Spannungen und Entscheidungen näher als Mainz…

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