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Marxismus als „eiserne Ration“?

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Die entscheidende Frage im Gespräch zwischen Katholiken und Nur-Sozialisten in Oesterreich ist die, ob und wie weit die SPOe noch eine marxistische Partei ist und sein will. Heute etwa schon zu verlangen, daß die SPOe eine a n t i marxistische Partei wird oder sich von allen marxistischen Denkelementen säubert, ist unrealistisch. Gegenstand der Diskussion heute kann nur die Frage sein, wie weit die SPOe noch marxistisch ist und ob der Marxismus in der Partei p r a x i s stärker ist als die Kräfte des „linken Humanismus“, zu dem sich der größte Teil der Reformer bekennt. Daß es daneben noch eine Gruppe von Sozialisten gibt, die bewußt und gleichsam noch als Einsame christliche Denkelemente in das Programm der SPOe einbauen wollen, steht fest, hat aber derzeit für das Gesamtverhalten der Partei noch wenig Bedeutung. Freilich wäre es an der Zeit, wenn auch auf nichtsozialistischer katholischer Seite das Wirken dieser Katholiken in der SPOe (jener, die auch den Mut haben, gegen die Meinung der Führung ihre christliche Haltung zu betonen) respektiert würde.

Wenn nun in den letzten Monaten und vor allem seit dem Mai-Parteitag 1958 da und dort wieder das Trennende herausgestellt wird, nicht das, was Sozialismus und Christentum in ihrer Sorge um den Menschen gemeinsam haben, so deshalb, weil die Formulierungen des Kapitels „Sozialismus und Religion“ im Parteiprogramm eigentlich niemanden so recht zufriedenstellen konnten. Nicht den marxistisch denkenden Sozialisten und schon gar nicht den Katholiken, der freilich den Mut haben sollte, zuzugeben, daß etwa zwischen dem Linzer Programm und der neuen Fassung erhebliche und durchaus positiv zu wertende Unterschiede bestehen.

Dazu kommen noch die Klagen, daß vor allem gegen die Katholiken in manchen Betrieben ein verstärkter Kampf geführt wird, der so gar nichts mit Toleranz zu tun hat und alles, nur kein Beweis dafür ist, daß man sich „unten“ nach dem Absatz 21 des neuen Parteiprogramms verhalten will, der den Sozialisten gebietet, das Bekenntnis zu einem „religiösen Glauben“ als innerste persönliche Entscheidung zu achten. Man müßte annehmen, daß diese Achtung auch dann vorhanden sein muß, wenn der „religiös Glaubende“ nicht Mitglied der SPOe ist und wenn sich diese in der Mehrheit befindet. Was von einer Partei zu halten ist, zeigt sich nicht so sehr; wenn sie sich in Opposition oder in der Minderheit befindet. Das gilt vor allem für das Verhältnis von SPOe und Kirche.

Bedenklich stimmt auch, daß am Parteitag und vorher, bei der Programmdiskussion, in der „Zukunft“ marxistische Urlaute hörbar wurden, daß etwa die Kirche mit einer klassischmarxistischen Vehemenz angegriffen werden konnte, ohne daß jemandem auf sozialistischer Seite Gelegenheit gegeben wurde, die Angriffe in der gleichen Weise zurückzuweisen. Ein Beispiel:

Zur Vorbereitung des Diskussionsforums der Wiener Volkshochschulen wurde der Verfasser gebeten, seine private Meinung zum Fragenkreis „Kirche und Sozialismus“ schriftlich niederzulegen. Dabei wurde u. a. ausgeführt: „Worum kann es bei der Herausbildung eines neuen Verhältnisses von Kirche und Sozialismus (SPOe) vom Standpunkt der Kirche aus gehen?

1. Um die Bereitschaft der SPOe, das Recht der Kirche, die Elemente der christlichen Moral vor aller Welt zu verkünden, anzuerkennen.

2. Um die Sicherung der Bedingungen, die es der Kirche leichter als bisher möglich machen, ihrem Lehrauftrag nachzukommen. In diesem Zusammenhang geht es um die Sicherung der Lehrverkündung und Existenz des dazu notwendigen Apparats.

Einzelfragen: ,

1. geht es darum, daß die SPOe einer Reihe von Gesetzen zustimmt (oder gar entsprechende Initiativanträge stellt):

a) Konkordat, das heißt einem dem Interesse der Kirche in Oesterreich Rechnung tragenden Konkordat;

b) angemessene Subventionierung der katholischen Schulen, Beseitigung des numerus clausus, der den Staatsgrundsätzen widerspricht; j c) Ordnung der Ehegesetzgebung bei Berücksichtigung des für die Christen sakramentalen Charakters der;Ehe;

d) Reform der Steuergesetzgebung (Kirchen-Steuer, nicht Privatausgabe, sondern Absetzpost), Rückgabe des seinerzeit entzogenen kirchlichen Vermögens;

e) gesetzliche Regelung des Mitspracherechtes der Kirche in allen mit Kultur- und Erziehungsfragen befaßten Gremien.

2. Schaffung einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens durch eine über die formale Höflichkeit hinausgehende Kontaktpflege zwischen den Führein der Kirche und der SPOe. Gleichzeitig sollen von der Kirche genannte Vertreter auch Zugang zu Vorfeldinstitutionen finden, die unter Führung der SPOe stehen (Oesterreichischer Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammer usw.).“

Daraufhin schrieb in der Fühlungszeitschrift der SPOe, in der „Zukunft“ (5/6, 1958), einer der Vertreter des Alt-Marxismus in der Partei, Josef H i n d e 1 s, u. a.:

' „Ich will hier auf die materiellen und rechtlichen Forderungen, deren Verwirklichung zur Klerikalisierung des öffentlichen Lebens führen müßte, nicht näher eingehen,..

Die Kirche hat aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt, daß sie sich durch eine Seipel-sche Haltung gegenüber der Arbeiterschaft die Möglichkeit der ideologischen Beeinflussung dieser Klasse .verrammelt. Sie wünscht nun, daß ihr die Sozialistische Partei die Tore weit öffnet und ist bereit, für diesen Dienst auch den Preis einer freundlicheren Haltung gegenüber dem Sozialismus zu zahlen. Aber das, was sie in diesen Bereichen lehren will, hat sich inhaltlich nicht geändert. Schon aus der Aufzählung der an den Staat gerichteten Anliegen geht hervor, wie weitgehend der Klerus in staatliche Angelegenheiten einzugreifen beabsichtigt.

Die Ideologen des Klerikalismus verstehen es, auf lange Sicht zu planen. Sie sind daher bereit, was alle Opportunisten in unseren eigenen Reihen tief beeindruckt, den Sozialisten gewiss* taktische Vorteile zu gönnen und sogar ein paar begriff-stützige OeVP-Politiker vor den Kopf zu stoßen ... Sie wollen die geistigen Grundlagen des Sozialismus aufweichen, um sie später ganz zu beseitigen. Der Sozialismus, so etwa lautet ihre Berechnung, möge zunächst vom Marxismus abrücken und verkünden, daß er „keine Weltanschauung“ ist. In das ideologische Vakuum, das durch diese Revision entsteht, dringt dann, langsam aber sicher, die klerikale Ideologie ein. Wer die Entwicklung der katholischen Jugend, der weitaus stärksten Jugendorganisation Oesterreichs, aufmerksam verfolgt, wird zugeben, daß es gefährlich wäre, diesen Plan zu unterschätzen. Aber der Programmentwurf tut so, als existiere in Oesterreich kein expansionslüsterner Klerikalismus. Er verzichtet sogar auf die bewährte Formulierung .Religion ist Privatsache' und hütet sich auch sonst, die Trennung von Staat und Kirche konsequent zu verlangen ...“

Vorher hatte der Verfasser des oben zitierten Artikels noch einen wohlsortierten Katalog aller bekannten klassischen Vorwürfe des marxistischen Sozialismus gegenüber den christlichen Kirchen präsentiert und bei seinen Argumenten Formulierungen gewählt, die uns an die Zeit vor 1932 zu erinnern vermochten. So, als ob sich in der Zwischenzeit nichts geändert hätte.

Ich glaube, daß es dem unvermeidbaren und vom nationalen wie vom seelsorglichen Standpunkt aus gebotenen Gespräch zwischen Katholiken und Nur-Sozialisten nicht sehr förderlich ist, wenn man auf die Argumente von Josef Hindels und seine düsteren Prophezeiungen, mit denen er die „SPOe-Opportunisten“ schrecken will, eingeht. Wozu Probleme und Konflikte neuerlich aufrollen, die in Zeiten entstanden sind und von Bedeutung waren, in denen völlig andere Bedingungen vorhanden waren. Die unabdingbaren christlichen Grundwahrheiten und die besonderen Anliegen der Sozialisten müssen in einer, der jeweiligen Zeit und ihren Bedingungen angemessenen Weise miteinander konfrontiert werden. Wer das übersieht, ist „reaktionär“. Ebenso, wer auf sozialistischer Seite noch immer mit einer machtlosen Kirche allein ein Gespräch beginnen will, wer übersieht, daß es nicht nur die Christen sind, mit denen die Sozialisten ein Gespräch zu führen haben, sondern auch die institutionelle Kirche, die es nun einmal neben der charismatischen Kirche gibt.

Man wird, angesichts der Aeußerungen eines radikalen Marxismus im zentralen Führungsorgan der SPOe und auch auf dem Parteitag, auf sozialistischer Seite nun Verständnis dafür haben müssen, wenn manche Katholiken und einzelne katholische Führungsgremien wieder ein gesteigertes Mißtrauen gegenüber dem Sozialismus in Oesterreich an den Tag legen. Gewisse Thesen des Programms werden daher nicht von allen Katholiken als ein Bekenntnis zu einem neuen sozialbezogenen Humanismus gewertet, sondern zuweilen lediglich als Versuch, einen unverdünnten Marxismus durch humanistische Formeln zu überdecken.

Die Kirche ist bemüht, sich gegenüber der sozialen Reaktion zu distanzieren, gegenüber Kreisen, die ihre wahre Interessentengesinnung hinter Vereinfachungen wie „Bürgertum“ und „konservativ“ zu verbergen suchen. Im Interesse der unbehinderten Fortführung des Gespräches zwischen Christen und verständigungs-v, iiiigen Sozialisten wäre es angezeigt, daß die SPOe endlich den Marxismus in ihren Reihen zur Privatmeinung erklärt. Tatsächlich scheint aber nur das Bekenntnis zum Christentum noch immer den Rang des „Privaten“ in der SPOe zu haben. Wäre es anders, hätte ein Verteidiger der Belange des angegriffenen Christentums auch im Führungsorgan der SPOe zu Worte kommen müssen. Das ist nicht geschehen. Auf diese Weise fehlt, der innersozialistischen Diskussion um die Frage der Stellung des Christlichen in der Gesellschaft die Ausgewogenheit.

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