Matura neu: zwischen 540 und 660 Wörter
Der nächste Entwicklungsschritt der Matura muss zu ausdifferenzierteren Systemen gehen, die besser auf unterschiedliche Neigungen und Leistungsstufen der Schüler eingehen.
Der nächste Entwicklungsschritt der Matura muss zu ausdifferenzierteren Systemen gehen, die besser auf unterschiedliche Neigungen und Leistungsstufen der Schüler eingehen.
Während in den Schulen gerade die versiegelten Kuverts mit den Prüfungsangaben geöffnet wurden, informierte uns das Morgenjournal über die schicksalhafte Bedeutung der ersten österreichischen Zentralmatura für das politische Überleben der zuständigen Ministerin. An den folgenden Tagen blieben größere Abwicklungspannen aus, sodass die Premiere dieses Großversuchs noch vor der Bekanntgabe der Ergebnisse als geglückt gelten durfte. Aber ging es nicht eigentlich um etwas anderes, viel Wichtigeres?
Als die Zentralmatura vor einigen Jahren auch hierzulande entdeckt wurde, erschien mir das grundvernünftig. Gleiche Chancen für alle, gleiche Voraussetzungen für den Universitätszugang - das hatte sich ja schon anderswo, etwa in Frankreich, bewährt. Aber das war oberflächlich gedacht. Denn in der bildungspolitischen Realität von heute greift das mit pompöser Begleitmusik in Szene gesetzte Konzept der Zentralisierung des traditionellen Maturamodells zu kurz.
Die Vielfalt der Schulformen nimmt laufend zu. Diese wünschenswerte Auffächerung verlangt nach differenzierteren statt vereinheitlichten Abschlüssen. An so wichtigen Unis wie der Medizin berechtigen im übrigen noch so gute Maturazeugnisse nicht zum Antritt des Studiums. Der Trend zu Eingangsprüfungen nicht nur für Universitäten sondern auch für Fachhochschulen und Akademien hat die traditionelle Funktion der Matura als Eintrittskarte ins höhere Bildungsuniversum längst geschwächt.
Überdies führt der intellektuelle Zentrismus gerade in den Sprachfächern zu einer inhaltlichen Engführung, die uniformiertes anstelle von eigenständigem Denken fördert. So kam das mit der Fragenerstellung befasste Institut BIFIE im Fach Englisch nach monatelangem Nachdenken auf keine bessere Idee, als tausenden Kandidatinnen und Kandidaten die Pastafari-Tollereien eines seinen Kopf mit einem Nudelsieb schmückenden Religionsverächters als Thema zuzumuten.
Wenig Spielraum für Kreativität
Die Fragestellungen in Deutsch erschienen besser überlegt, wenn auch eigenartig uniform. Es galt, zwischen "Themenpaketen" zu wählen und sich für eine der zur Wahl gestellten "Textsorten" zu entscheiden. Die gewünschte Länge war fest umschrieben: "Schreiben Sie zwischen 540 und 660 Wörter" hieß es da zur Interpretation eines Textes von Patrick Süskind - für überraschende Gedanken und kreative Ideen bleibt da wenig Spielraum.
Nach einer Gratulation an alle, die an der Premiere erfolgreich mitgewirkt haben, ist nun konstruktive Manöverkritik angesagt. Der nächste Entwicklungsschritt muss zu ausdifferenzierteren Systemen gehen, die besser auf unterschiedliche Neigungen und Leistungsstufen der Schülerinnen und Schüler eingehen. International anerkannte Abschlüsse nach dem System des International Baccalaureate (IB), wie sie vor unserer Haustür an der Vienna International School angeboten werden, bieten ein spannendes Modell dafür, wie es auch gehen kann. Wie wär's mit einem Blick über den Tellerrand?
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