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Mehmet ist jetzt ein Ottakringer

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Ausländer sind nicht nur in Wahlkampfzeiten ein heißes Thema. Zentraler Streitpunkt: Die „Integration" fremder Kulturen.

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Ausländer sind nicht nur in Wahlkampfzeiten ein heißes Thema. Zentraler Streitpunkt: Die „Integration" fremder Kulturen.

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Ausländer müssen sich unserer Lebensart anpassen, sie müssen sich „integrieren"! Das sind besonders in Wien häufig gehörte Forderungen, und das nicht nur, weil hier die „heiße Phase" des Wahlkampfes für die Gemeinderatswahlen am 13. Oktober begonnen hat, bei der „die Ausländer" ein zentrales Thema sein werden.

Was aber heißt „Integration"? Was macht die „Integrationsfähigkeit" von Ausländern aus?

Immerhin werden auch die abschlägigen Rescheide der Wiener Magistratsabteilung 62 im Zusammenhang mit Aufenthaltsbewilligungen mit folgendem vorgefertigten Text begründet: „ ... da nach Erfahrungen des täglichen Lebens bei den Erwachsenen aus dem gleichen Kulturkreis wie die antragstellende Partei... auch nach mehrjährigem Inlandsaufenthalt eine insbesondere die Rereiche Sprache, Kommunikation mit der eingesessenen Bevölkerung und Anpassung an mitteleuropäische Sitten, Gebräuche und Lebensweisen umfassende Integration kaum stattfindet."

Kann Integration erlernt werden? Und hat Österreich auch etwas dazu beigetragen, um Menschen hier zu „integrieren"?

Tatsache ist: Um die Integration von Ausländern hat sich bis vor zirka vier Jahren kaum jemand gekümmert. Probleme des Zusammenlebens, die zweifelsohne (I**■ längst entstanden sind, wurden . tj bis dahin von keiner Instituti- tu on wahrgenommen oder gar in irgendeiner Weise aufgefansen

Sehr spät- 1992- wurde eine Institution geschaffen, die. Anlauf- und Servicestelle für die auf beiden Seiten bestehen- V den Probleme sein soll und ist. Der Wiener Integrationsfonds H (WIF)" bietet Auskunft und I Hilfe sowohl für Aus- als auch mm für Inländer an. Zum Beispiel Sprachkurse, Umgang mit Äm- IM tern, Orientierungshilfen im büro kratischen I )schungel von Geset- h, zen und Vorschriften.

Max Koch, Integrationsbeauf- R tragter der Stadt Wien: „Interes-santerweise rufen vorwiegend IUI Österreicher bei uns an und holen I sich Hilfe für ihre ausländischen |-Freunde, Mitarbeiter oder Nach- p.' barn. 1 her beobachten wir, daß es gute und verläßliche Freund- tjj ; Schäften zwischen den Kinhei- tili mischen und Ausländern gibt." Zu Ghetto-Bildungen und Angst vor „Überfremdung" kommt es hauptsächlich in jenen Wiener Bezirken, wo der Althausbestand sehr groß ist, wo viele Ausländer in viel zu kleinen Wohnungen zusammengepfercht leben, berichtet

Koch im Gespräch mit der Furche. Sie leben dann sehr stark im „öffentlichen Raum", das heißt, auf der Straße oder in den Parks, nicht nur um ihrer räumlichen Enge zu entfliehen, sondern auch ganz einfach deshalb, weil das ihrer Lebensweise und Kultur entspricht. „Das aber macht vielen Alteingesessenen Angst. Sie erleben sich plötzlich als Minderheit. Diese Ängste sollten auch ernst genommen werden. Ziel jeder Integration sollte eine Balance des Nebeneinander mit dem Fernziel des Miteinander sein."

Bessere Chancen auf Integration hat naturgemäß die junge Generation, die unsere Schulen besucht und dort mit österreichischen Kindern „durchgemischt" wird. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß sie dort nicht auf Ablehnung stoßen.

Natürlich haben Ausländer Anpassungsprobleme. So bedeutet das traditionelle Familienleben zum Reispiel für türkische

Mädchen im Hinblick auf ihre Kleidung eine Doppellast der Anpassung. Manche verlassen die elterliche Wohnung im langen Kleid, ziehen sich aber in der Schule einen kurzen Rock an, um dort nur ja nicht „aus dem Rahmen zu fallen". Jugendliche erleben aber auch den Vorteil, Dinge nicht mehr durchstehen zu müssen, die ihren Eltern Probleme bereitet haben. Das heißt, sie müssen keinen „Zeitsprung" von 40 oder 50 Jahren mehr machen, um sich bei uns zurechtzufinden. Die ältere Generation der Ausländer großteils vom Land und großteils arm - kam und kommt in eine Stadt, in ein Land, in dem es eine Vielzahl von Freiheiten, Konsumgütern und Dingen gibt, die ihnen unbekannt ist. All das muß erst erlernt werden. Viele von ihnen bewältigen diese Aufgabe, andere wieder nicht. Manche bekommen Hilfestellungen, viele auch nicht.

Auch für die Österreicher ist es nicht einfach, sich zum Reispiel an fremde Gerüche, an Lärm oder an gänzlich unvertrautes Verhalten zu gewöhnen beziehungsweise sich damit auseinanderzusetzen.

Die Entstehung von Vorurteilen gegenüber „Fremden", die Positionen der Wiener Spitzenpolitiker zum Thema „Integration" sind Schwerpunkt-Themen dieses Dossiers.

1) 1080 Wien, Friedrich Schmidtplatz Kr. ), Telefon 0222j40)-66-44.

Die Autorin ist f'eie Journalistin.

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