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Mehr Ideologie ist notwendig

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Die „Groß7'parteien SPÖ und ÖVP leiden an Identitätsdefiziten. Mit den neuen Herausforderungen kommen sie nur schwer zurecht. Neue Ideen sind rar.

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Die „Groß7'parteien SPÖ und ÖVP leiden an Identitätsdefiziten. Mit den neuen Herausforderungen kommen sie nur schwer zurecht. Neue Ideen sind rar.

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Die ÖVP konnte sich unter Wolfgang Schüssel konsolidieren. Trotzdem ist sie in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite muß sie auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen, der selbst ein Identitätsdefizit aufweist und etwa bei Sparpaket und erweiterten Fahndungsmethoden den inneren Druck nach außen weitergibt. Auf der anderen Seite angelt das Liberale Forum nach großstädtischen Wählern, und wer auf rechte Ordnung hält oder ökologisch denkt, geht gleich zum Schmied, also zu den Freiheitlichen oder zu den Grünen.

Wolfgang Schüssel wird beweisen müssen, ob er ein Gestalter ist. Die Partei muß jene Grundsätze ausleuchten, die letztlich die Motivation ausmachen, für Menschen Politik zu machen. Immerhin wird heute mehr verwaltet, als politische Orientierung gegeben.

An und für sich finden wir eines der Ziele der Volkspartei in der Formulierung der ökosozialen Marktwirtschaft. Nur wird dieses Konzept nicht kommuniziert. Ist es zu sperrig? Oder glaubt man, die Mühe würde sich nicht lohnen, es mit Inhalten zu füllen? Der Gedanke an eine Energiesteuer ist jedenfalls zu wenig. Dabei würde zum Ökologischen nicht nur Umwelt, sondern auch das Ziel, Arbeitsplätze durch Ökologie zu schaffen, gehören. Und zum Sozialen zählen Arbeitsplätze, an denen sich der Mensch wohlfühlt und gerne arbeitet - ohne Arbeitsleid, demotivierendem Druck von welcher Seite immer.

Machtansprüche kontra Dienst am Menschen

Gerade eine Volkspartei hätte die Aufgabe, umfassende ideelle Werte zu definieren. Besonders in einer Zeit, in der der Wohlfahrtsstaat an Glaubwürdigkeit verliert und seine materiellen Leistungen zurückschrauben muß. Diese Ansätze sind bei der ÖVP wenig entwickelt. Innere Grabenkämpfe und Selbstbeschau waren in den letzten Jahren an der Tagesordnung.

Dabei könnte die ÖVP als Partei, die dem Individuum dienen will, gerade in Zeiten des allgemeinen Kollektivdrucks dazu beitragen, die Würde des einzelnen zu fördern. Auch über Aufgabe und Verantwortung in Staat und Gesellschaft reden, damit sich der einzelne verantwortlich fühlt, als Sinnempfinden und das Schlagwort „weniger Staat” nicht inhaltsleer bleibt.

Vielleicht sind die Schwierigkeit der Volkspartei darin zu suchen, daß sie, obwohl heute eine Mittelpartei, noch immer alten Zeiten nachtrauert und Mach tan-spräche in den Institutionen stellt, die den Dienst am Menschen verdecken. Fast würde man ihr den Gedanken einer „Bewegung” wünschen, wie ihn die Freiheitlichen „erfunden” haben - aber ohne deren Machtdenken. Auch politische Autorität ist gefragt und nicht das Tauschgeschäft, bei dem sich die Frage stellt, geht es um Kompetenz oder eine Selbstbehauptung, bei der Inhalte Mittel zum Zweck werden.

Die Volkspartei nennt sich christlich. Ein Anspruch, der nach innen und außen wirken sollte. Nach innen hatten aber in der Vergangenheit die Selbstprofilierer das Sagen. Nach außen mangelt es an Inhalten. Die Sorge um die Familien etwa mündet meist in ein Feilschen um die Höhe von Beihilfen. Ein heutiger Lebensanspruch kann jedoch nur in Verbindung mit ethischen Grundsätzen zur Zufriedenheit führen. Dazu zählen etwa Mitgefühl, Verantwortung oder eine gewisse Selbstlosigkeit.

Es herrscht der Eindruck vor, als sollte man der Volkspartei ein Mehr an Ideologie wünschen. Vielleicht leben wir an einer Zeitwende, wo die

Tendenz zur Befreiung von Ideologie zu politischer Ineffizienz geführt hat und ideologische Inhalte wieder gefragt sind. Diesen Zug dürfen beide Begierungsparteien nicht versäumen. Es gibt jemanden, der auf diesem Weg bereits Boden gewonnen hat.

Noch etwas ist der ÖVP zu wünschen: Während die Sozialdemokraten an alten Kollektivideen „leiden” und dem Individuum mehr Augenmerk schenken könnten, täte ihr ein Schuß Kollektivbewußtsein gut.

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