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„Mit 16 kann mari < nicht g'scheit wählen!”

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Nicht wenige setzen sich für die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre ein. Manche plädieren sogar für 14. Was sagen Schüler, Lehrer und Psychologen dazu?

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Nicht wenige setzen sich für die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre ein. Manche plädieren sogar für 14. Was sagen Schüler, Lehrer und Psychologen dazu?

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Ich bin überzeugt, daß von euch noch niemand ein Parteibuch gelesen hat”, bringt sich ein fünfzehnjähriger Gymnasiast in die Diskussion um die Senkung des Wahlalters ein. Allgemeine Empörung. Der Lehrer mahnt zur Ruhe. Den Vorschlag, mit 14 zu wählen, lehnen die Schüler ab. Eifrig sprechen sie jedoch darüber, ob nicht 16 das angemessene Wahlalter sei. „Einige informieren sich mit 16 über Politik, andere plappern das nach, was sie hören - eine heikle Sache”, bedenkt eine Mitschülerin. Ihre Ranknachbarin: „Ich bin für 16. Denn wir müssen in Zukunft in diesem Staat leben. Ich hätte schon gerne bei der Europa wähl gewählt.” Den Trubel um Europawahlen, Gemeinderatswahlen, Fernsehdiskussionen, Wahlveranstaltungen, Plakate hat beispielsweise auch die Schüler einer fünften Klasse Gymnasium in der Grazer Kirchengasse zu Diskussionen veranlaßt. Noch dürfen sie nicht wählen. Doch Politiker, Mitglieder unterschiedlicher Gruppierungen und Vereine setzen sich derzeit massiv für die Senkung des Wahl-alters ein. Einige sind dafür, das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre zu sen -ken, andere plädieren für 14.

Ob Jugendliche leicht zu beeinflussen sind? „Mit diesem Älter wählt man doch, was die Eltern wählen. Man hat noch gar keine eigene Meinung”, bringt sich eine Schülerin in die Diskussion ein. Mit 16 würden die Jugendlichen vielleicht nur aus Spaß wählen und daher leichter als Erwachsene zu gewinnen sein. Darin sieht der Schüler schräg gegenüber eine Gefahr. „Das stimmt doch gar nicht”, unterbricht ihn ein anderer: „Ich war am Hauptplatz bei einer Wahlveranstaltung vom Haider, und es waren gerade die Jugendlichen, die hineingepfiffen haben.” Viele Erwachsene würden ja auch nicht wissen, was sie wählen sollen. Einige Jugendliche behaupten, sich mehr Gedanken zu machen als manche der Erwachsenen. Und ihre Großeltern würden schon 50 Jahre immer die-gleiche Partei wählen.

Nun meldet sich eine Schülerin der letzten Reihe zu Wort: „Ich bin für 16. Denn dann würde sich der Wahlkampf viel eher auf die Interessen der Jugendlichen ausrichten.” Doch der Großteil der Klasse ist dagegen. „Mit 16 kann man doch gar nicht g'scheit wählen.” Ein anderer: „Mit 16 kann man noch gar nicht abschätzen, was Politik ist.” Die Klassensprecherin ist schon 18. Sie hat erst heuer angefangen, sich für Politik zu interessieren. Es käme auf den einzelnen an, sagt sie, ob er sich mit 16 umfassend informiert und schon fähig ist, zu wählen. Dem stimmen auch einige ihrer Mitschüler zu: Sie hätten gerne mehr Information, wie alles so abläuft, wie man wählt und was die einzelnen Parteien eigentlich wollen.

„Herr Professor, was ist denn eigentlich ihre Meinung?”, fragt ein Schüler ungeduldig. „Ich halte die Senkung des Wahlalters auf 16 nicht für sehr sinnvoll.” Als Geschichtslehrer weiß er natürlich, daß das Wahlalter während der Monarchie noch 23

Jahre war. Nun werde es immer weiter nach unten verschoben werden. „ ... und”, fügt der Klassenvorstand ironisch hinzu, „dann wählen wir schon in der Krabbelstube”. Erst mit 18 wählen zu dürfen, sei in Ordnung: „Mit 18 schließt man die Lehre ab, beginnt mit dem Zivildienst und schließt die Schulbildung mit der Matura ab.”

Die Glocke läutet, die Stunde ist zu Ende. Es ist schwierig, das richtige Wahlalter zu bestimmen. Darin sind sich Politiker, Pädagogen, Psychologen und selbst die Jugendlichen einig. „Eines ist ziemlich War”, meint Psychologe Alfred Endl, „den Jugendlichen fehlt im Vergleich zu Erwachsenen noch der Erfahrungshorizont”. Das sei einerseits eine Gefahr für die Jugendlichen, da sie leichter jemanden „auf den Leim gehen”.

„Andererseits haben Jugendliche ein absolut gesundes Mißtrauen und merken rasch, wenn jemand ihnen etwas unterschieben will.” Er könnte sich deshalb vorstellen, daß die Jugendlichen bei Kommunalwahlen ab 16 wählen. „Da wissen sie, was gespielt wird.”

Ob mehr Information zu mehr politischer Reife führt, wie viele behaupten? „Der Informationsstand hat primär nichts mit Reife zu tun. Aber: gute Informationen befähigt die Jugendlichen dazu, bessere Entscheidungen zu treffen”, unterstreicht Endl. „In den Pflichtschulen gibt es politische Rildung' nur als Unterrichtsprinzip”, ergänzt Reinhard Meier von der Pädagogischen Akademie in Graz. Das heißt, über Politik kann je nach Anfrage der Schüler in jedem Fach gesprochen werden. Politik soll nicht nur mit Parteipolitik gleichgesetzt werden: „Politik betreibt jeder Mensch”, unterstreicht Meier. Dabei stellt sich unter anderem die Frage, wie gehe ich mit unterschiedlichen Informationen und Sichtweisen um. An Berufsschulen und berufsbildenden höheren Schulen wie Handelsakademien gibt es „Politische Bildung” als Unterrichtsgegenstand.

Ob der Großteil der Jugendlichen an politischen Themen überhaupt interessiert ist? Schüler eines Gymnasiums, einer HBLA und einer Berufsschule erzählen, daß sie in den Zeitungen ihrer Eltern mehr auf das Horoskop, das Kinoprogramm und „Sportevents” aus sind und nicht auf politische Schlagzeilen. „Ich finde es absurd, mit 16 zu wählen, ich kenne mich ja gar nicht aus”, meint eine Schülerin aus der Zweiten Klasse der HBLA in der Schrödingerstraße in Graz. „Außerdem ist es fad”, erzählen 16jährige des Grazer Berufsschulzen-trums St. Peter.

Dennoch „grünes Licht” für Jugendliche, die sich engagieren wollen: denen es nicht egal ist, was in ihrer Gemeinde passiert, die sich für Ausländer, Sporthallen, Kinderspielplätze, Wohnstraßen, Grünflächen oder in ihrer Schule für politische Anliegen einsetzen wollen.

Das ist auch der Grund, warum nach einer Senkung des Wahlrechts auf 16 und sogar 14 Jahre bei Kommunalwahlen oder auch Volksabstimmungen gerufen wird. „Die Politiker würden sich dann endlich wesentlich mehr für die Interessen der Jugendlichen einsetzen”, vertritt Christian Theiss von der steirischen „Plattform für eine kinderfreundliche Gesellschaft” seinen Standpunkt.

Auch der Grazer Kinder- und Jugendanwalt AVolfgang Sellitsch meint, daß die Jugendlichen eine interessante Gruppe für Politiker sind: „Häufig sind auch 80jährige überfordert, wenn es um Politik geht. Warum sollten dann nicht auch Jugendliche wählen können?”

Noch ist das Wahlalter in Österreich 18. Der Vorschlag der Kärntner SPÖ, schon mit 16 den Gemeinderat wählen zu dürfen, fiel durch. Bundeskanzler Franz Vranitzky lehnte ab, und dabei wird es wahrscheinlich bleiben, wie Juristen vermuten. „Es ist durchaus möglich, daß die Länder im Alleingang das Wahlrecht auf 16 senken”, erklärt der Grazer Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Armin Stolz.

Ausschlaggebend ist aber der Artikel 95 des Bundesverfassungsgesetzes: „Die Landtagswahlordnungen dürfen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen als die Bundesverfassung für Wahlen zum Nationalrat.”

Stolz stellt deshalb zur Diskussion, ob mit einer Senkung des Wahlalters auf Landes- und damit auch auf Gemeindebene die Bedingungen des Wahlrechts nicht enger gezogen werden würden als in der Bundesverfassung. Und das bedeute Systembruch. Stolz glaube deshalb nicht, daß der Verfassungsgerichtshof der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zustimmen würde.

Erstmals können in diesem Jahr deutsche Jugendliche ab 16 bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen wählen. Der Beschluß kam durch die Mehrheit von SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen zustande. Bei den Kommunalwahlen im Herbst beteiligen sich rund 150.000 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren.

„Wer mit 16 wählen gehen will, sollte das auch tun dürfen”, vertreten nicht wenige Jugendliche im Gespräch über das Wahlalter im Gymnasium in der Grazer Kirchengasse. Freiwillig. Bei Kommunalwahlen. Warum eigentlich nicht?

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