"Mittelmäßigkeit siegt"

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Ein neues Buch deckt Missstände an deutschen Universitäten auf. Thomas Rothschild sieht die Dinge treffend dargestellt. Eine Polemik.

Noch vor gar nicht so langer Zeit konnte sich "der Professor" höchsten Respekts erfreuen. Er kam im öffentlichen Ansehen gleich hinter dem Pfarrer. Mittlerweile hat sich das Sozialprestige von Hochschullehrern deutlich verringert. Und zwar zu Recht. Wenn auch aus den falschen Gründen. Hochschullehrer rangieren, wenn man dem täglichen Eindruck und dem Stellenwert in der Berichterstattung der Tageszeitungen mehr glaubt als Umfrageergebnissen, hinter den Erfolgreichen aus der Wirtschaft, weil sich auch in Europa die amerikanische Auffassung durchgesetzt hat, dass der Mensch so viel wert ist wie er verdient. Die Ökonomie hat die Werte verdrängt, die das aufstrebende Bürgertum noch verteidigt hat. So abartig jedoch die Geringschätzung von Forschung und Lehre im Vergleich zum Geschäftemachen ist, so begründet wäre ein realistischer Blick auf die Idealisierung universitärer Arbeit, auf die Privilegien und die Vorteilsannahme von Professoren, kurz: auf den großen Schwindel, der an Hochschulen betrieben wird.

Zu viele faule Professoren

Wann immer man auf gravierende Sünden von Hochschulangehörigen hinweist, wird abgelenkt mit dem Argument, es gebe ja auch ganz andere Fälle, Hochschullehrer, die ihren Verpflichtungen gewissenhaft nachkämen und sich nichts vorzuwerfen hätten. Wer wollte das leugnen. Doch dieses immunisierende Scheinargument gleicht dem Bemühen, die Klage über Verspätungen im Bahnverkehr mit dem Hinweis abzuwehren, dass es ja auch Züge gebe, die pünktlich ankämen. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Hochschullehrer, die gute Arbeit leisten und sich nichts vorzuwerfen haben. Aber was selbstverständlich sein sollte, kann, wenn es denn eingehalten wird, nicht als Entschuldigung für Verfehlungen gelten. Die Faulheit vieler Hochschullehrer wird nicht dadurch verzeihlicher, dass es auch fleißige Hochschullehrer gibt. Zumal diese, verärgert über ihre Kolleginnen und Kollegen, die Öffentlichkeit oder gar die Möglichkeit eines Disziplinarverfahrens meiden: Schließlich will niemand der Denunziant sein. Dass die Duldsamkeit gegenüber den schwarzen Schafen in den eigenen Reihen zuvörderst auf Kosten der Studierenden und der Steuerzahler geht, bleibt dabei unberücksichtigt. Und auch die auf ganz anderen Überlegungen basierenden politischen Maßnahmen von Ministerien, die zu bekämpfen sind, reichen nicht als Vorwand aus, um tatsächliche Missstände und Skandale zu vertuschen.

Der Professor, der sich - nur während der Vorlesungszeit, also 29 Wochen im Jahr - gerade zwei Tage in der Woche am Ort seiner Tätigkeit aufhält, der zwei Wochen vor Beginn der Lehrveranstaltungen noch keine Lektüreangaben gemacht hat, die eine Vorbereitung ermöglichen, der seine Seminare auf die Tage legt, an denen vorschriftsmäßig Gremiensitzungen stattfinden, um sich dann von diesen mit dem Verweis auf das Seminar vorzeitig zu verabschieden, der auch sonst seine Dienstaufgaben als Gremienmitglied vernachlässigt, der Hausarbeiten offensichtlich benotet, ohne sie gelesen zu haben, der seine Vorlesungen mit Vorträgen von Gästen bestreitet und immer wieder die gleichen Themen anbietet, ist keine Ausnahme. Wer die Universität zwischen Graz und Kiel von innen kennt, kann solche Fälle beim Namen nennen. Man achte einmal darauf, wie sich die Zahl der Prüfungskandidaten auf die frei wählbaren Prüfer verteilt, und man wird erkennen, wem die Studierenden vertrauen. Nur in Einzelfällen beruht die Beliebtheit eines Prüfers auf dem Gerücht, dass er "leichter" prüfe. In der Regel suchen die Studenten schon jene Hochschullehrer auf, von denen sie sich bei ihrer Diplom-, Magister oder Doktorarbeit am besten betreut fühlen, die also ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen.

Uni à la Wirtschaft?

Jetzt haben Uwe Kamenz, Professor für Betriebwirtschaftslehre in Dortmund, und Martin Wehrle, Journalist und Industrieberater, das korporative Stillschweigen durchbrochen. Die Berufe der Autoren könnten skeptisch machen: Geht es wieder nur um Produktivität und Profit? Sollen Professoren abgemahnt werden, die sich für eine freie Forschung und Lehre einsetzen, sich wehren gegen die Instrumentalisierung der Hochschulen und gegen ein Effizienzdenken, das sich nur an den Interessen der Wirtschaft orientiert, die von den Wissenschaftsministern jeder Couleur seit Jahren untertänig hofiert werden? Auch der kalauernde Titel des Buchs verstimmt, denn "Untat" klingt zwar an Heinrich Manns "Unrat" an, hat aber weniger mit Untätigkeit als mit einer üblen Tat zu tun. Die Professoren aber, von denen in dem Buch die Rede ist, sind in der Regel nicht einmal für eine Untat zu aktivieren. So müssen denn die Argumente der Ankläger im Einzelnen überprüft werden.

Die Berufungsverfahren folgten Mechanismen, die dafür sorgen, dass die "Mittelmäßigkeit siegt - nicht immer, aber immer öfter". Stimmt. Die Ministerien folgen zwar in der Regel der von der Hochschule vorgeschlagenen Reihung auf einem Dreiervorschlag, aber es gibt zahlreiche Tricks, diese zu manipulieren. Das Stichwort "Hausberufung" trifft die österreichischen Zustände sogar noch genauer als die deutschen. Schlechte Professoren, heißt es danach, versuchen, Kritik von Seiten ihrer Studenten zu unterbinden. Stimmt. Den Hochschullehrern mangelt es an didaktischer Ausbildung, ihre Vorlesungen sind oft langweilig, ihre Lehre ist praxisfern. Stimmt. Wenngleich die Forderung nach Praxisnähe auch ihre Tücken hat. Ein Studium, das auf Verwertbarkeit angelegt ist, gerät schnell in die Gefahr, den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit preiszugeben. Das wäre gewiss nicht wünschenswert. Aber das jahrelange Wiederkäuen der einmal ausgearbeiteten Vorlesungen hat auch mit lebendiger Wissenschaft herzlich wenig zu tun. Nicht alles, was praxisfern daherkommt, ist deshalb schon theorienahe. Im Universitätsalltag ist die Routinevorlesung längst verstaubter und überholter Erkenntnisse eine bekannte Erscheinung.

Ausgebeuteter Nachwuchs

Weiter in der Argumentation: Zahlreiche Professoren, sagen die Autoren, betreiben keine Forschung und verstoßen damit gegen ihre Dienstpflicht. Stimmt. Einige Professoren machen aus dem Forschungsfreisemester, das sie alle acht Semester beantragen können, eine Urlaubsfreizeit. Stimmt. Und nicht zu selten. Viele Professoren vernachlässigen ihre Doktoranden und beuten sie in manchen Fächern regelrecht aus. Stimmt. Es gibt Professoren, die sich ausgiebig in "Nebenjobs" bereichern - unter Vernachlässigung ihrer eigentlichen Verpflichtungen an der Hochschule. Stimmt, wenn auch in den wirtschaftsnahen Fächern naturgemäß eher als in Fächern, für die es keine lukrativen Einnahmequellen gibt. Professoren lassen sich als Lobbyisten missbrauchen oder, genauer formuliert, kaufen. Stimmt.

Kamenz und Wehrle weisen zu Recht darauf hin, dass die Einführung des Bachelors zu einer weitgehenden Eliminierung des forschenden Lehrens führen wird. Das war voraussehbar. Warum aber ging diese Reform dennoch so widerstandslos über die Bühne? Deshalb: "Unser Professor Untat nimmt diese Entwicklung freudig, ja sogar schadenfreudig zur Kenntnis." Stimmt, stimmt, stimmt!

Die Hochschulkritiker haben es sich nicht leicht gemacht. Sie nennen Namen und machen sich damit angreifbar. Sie werden wohl überprüft haben, ob ihre Angaben juristisch haltbar sind. Allerdings: nicht alles, was die Autoren den Professoren anlasten, haben diese tatsächlich (allein) zu verantworten, etwa die große Zahl der Studienabbrecher, die geringe Beteiligung bei Gremienwahlen. Da fehlt die gesamtpolitische Analyse, die für diese Missstände Erklärungen anböte. Auch die erheblichen Defizite in den Hochschulverwaltungen, ja selbst beim Rechnungshof verdienten in diesem Zusammenhang eine genauere Inspektion. Dennoch: ein Läuterungsprozess täte den Hochschulen gut. Der muss, das ist unvermeidlich, für manche Privilegienschmarotzer schmerzlich sein. Zum Wohle der Allgemeinheit. Lange genug war's umgekehrt.

Der Autor ist Literaturwissenschafter der Universität Stuttgart.

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