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Mittelstand - eine Gesinnung?

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Wer von einem Mittelstand spricht, geht davon aus, daß die Zweiklassentheorie von Marx den Tatsachen nicht angemessen ist und eine unzutreffende Vereinfachung darstellt. Es gibt kaum einen Beweis dafür, daß sich die Gesellschaft lediglich in zwei notwendig einander entgegengesetzten Interessentenschichten darstellt. Die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt eine Vielschichtigkeit, zeigt Gegensätze und Kooperationen. Das Wort „Mittel“ soll nun andeuten, daß es eine Gruppe in der Gesellschaft gibt, die ihren Standort zwischen einer proletarischen und dementsprechend denkenden Arbeiterschichte (von den „Armen“ ganz zu schweigen) und den „Reichen“ hat.

Der Versuch einer perfekten Gruppierung der Gesellschaft ist aber nicht nur Marx mißlungen, sondern auch jenen, die durch die Konstitution einer Mittelstandsgruppe von einer d r e i- geschichteten Gesellschaft ausgehen.

Jedenfalls hat man bis jetzt noch keinen allgemein anerkannten Begriff für „Mittelstand" zu gewinnen vermocht. Auch der internationale Madrider Mittelstandskongreß 1958 hatte, so umfangreiche Analysen er sonst auch zu bieten vermochte („Der Mittelstand in der Wirtschaftsordnung heute“, F. H. Kerle, Heidelberg, 552 Seiten), bei seinem Bemühen, einen Mittelstandsbegriff zu finden, keinen eindeutigen Erfolg.

Die einen sprechen von einer „mittelständischen Gesellschaft“ (Österreichische Monatshefte, 101958), deklarieren also die Gesellschaft als Privileg einer Gruppe, andere („Der Junge Unternehmer", 21961) gehen in einer anerkennenswerten Freimütigkeit von einem „willkürlichen“ Mittelstandsbegriff aus, und wieder andere setzen einfach den Mittelstand mit Eigentümern von Produktionsmitteln gleich, mit den Gewerbetreibenden. In diesem Zusammenhang wird auch von „mittelständischen Betrieben“ gesprochen („Neue Österreichische Tageszeitung“ vom 17. September 1959).

Beim Versuch, eine Herabsetzung der Steuersätze zu erreichen, wird von einem „Mittelstandsbauch“ gesprochen, wobei man sogar Einkommen von 200.000 Schilling je Jahr noch als mittelständisch bezeichnet („Neue Österreichische Tageszeitung“ vom 19. März 1961).

Im allgemeinen bezeichnet man nun als Mittelstand:

• politisch das sogenannte Bürgertum, einen Gegen-Stand, wenn nicht eine Gegen-Klasse zur Arbeiterschaft;

• ökonomisch rechnet man dem Mittelstand Bevölkerungs-, besser Berufsgruppen zu. die sich durch bestimmte Verhaltensweisen auszeichnen; diese wieder hängen mit Eigentum oder mit einem Einkommen in einer überdurchschnittlichen Höhe zusammen.

Nach dem jeweiligen Berufsstand sind Mittelständler Gewerbetreibende (= produktionsorientierter Mittelstand), unabhängige Unternehmer, die seit der industriellen Revolution als Produktionsfaktor in den Hintergrund getreten sind. Ebenso rechnet man aber mittlere und höhere Angestellte, wenn nicht sogar Facharbeiter zum Mittelstand (= konsumorientierter Mittelstand). Nicht Mittelstand sind dann nach unten u. a. die Hilfsarbeiter und nach oben die „Reichen“, Fabrikanten und Manager von Großbetrieben.

Gegenwärtig ist das Bemühen offenkundig, den Begriff Mittelstand nach oben zu expandieren und auch Bevölkerungsgruppen einzubeziehen und der Förderungsmaßnahmen einer Mittelstandspolitik teilhaftig werden zu lassen, die man bisher oberflächlich und konventionell als „Reiche“ eingestuft hat.

Die Diskussion um den Mittelstandsbegriff und um die Frage, wer dem Mittelstand zuzurechnen ist, hat nun durch eine Arbeit des Instituts für Wirtschaftsforschung neue Nahrung erfahren (siehe Monatsberichte des Instituts 11961, S. 25 ff.). Das Institut stellt in seiner ausgezeichneten Untersuchung fest, daß der Mittelstand keine Klasse sei, sondern ein Stand. Das bedeutet, daß der Mittelstand sowohl eine Berufs- als eine Gesinnungsgemeinschaft ist und nicht lediglich von Einkommens- und Eigentumsgrößen her in seinen Grenzen festgelegt werden kann. Die Kriterien für die Zurechnung zum Mittelstand sieht das Institut in einer formellen oder faktischen Selbständigkeit im beruflichen Handeln, in einer höheren Bildung (zumindest Mittelschule) sowie in einem entsprechenden fundierten oder nicht fundierten (höheren) Einkommen. Ob höhere Bildung eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Mittelstand ist, muß freilich angezwei- felt werden. Das Institut geht denn auch, sobald es die Zahl der Angehörigen des Mittelstandes in Österreich zu ermitteln sucht, von dem Zurechnungsprinzip der Vorbildung weitgehend ab. Bei seinen Ermittlungen, welche durch das Ergebnis der Volkszählung 1961 zum Teil berichtigt werden könnten, kommt das Institut übrigens auf eine überraschend hohe Zahl von Personen, die als Mittelständler zu bezeichnen sind. Bei Einbezug der Kleinstunternehmer und bestimmter Pensionistengruppen sind es — nach Annahme des Instituts — bis zu 930.000 Personen, welche nach ihrem Beruf der Großgruppe des Mittelstandes zuzurechnen sind, der als einzige soziale Gruppe in einem steten relativen Wachsen begriffen ist. Je nachdem, welches Zurechnungsprinzip man jeweils in den Vordergrund stellt, gehören dabei nach der Bildung 12 Prozent. nach der beruflichen Stellung 21 Prozent und nach dem Einkommen (40.000 bis 180.000 Schilling je Jahr) 16 bis 20 Prozent dem Mittelstand an.

Die „Mittelstandsgesinnung"

Wenn vom Mittelstand die Rede ist, handelt es sich also um eine Vereinfachung, um eine durchaus willkürliche Zusammenfassung von sozialen Gruppen und von Berufsschichten, die gewisse Merkmale gemeinsam haben, zu einem gedachten Ganzen, insbesondere aber um eine Distanzierung gegenüber den manuellen Arbeitern der unteren Einkommenskategorien vorzunehmen.

Keinesfalls ist der Mittelstand, wie so oft vorgegeben wird, eine Gesinnungsgemeinschaft. Das Bekenntnis zu mittelständischen Ideen ist kein Ausdruck eines politischen oder gar eines weltanschaulichen Kredos, wie man immer wieder zu behaupten versucht. Bisher sind beispielsweise alle Versuche, Mittelstandsparteien zu errichten, auf lange Sicht gesehen, mißglückt. Zuzeiten sind Führer der ÖVP bemüht, die ÖVP als eine Mittel- standspartei zu deklarieren. Sollte sich die ÖVP diesen Deklarationen anschließen, hieße das, auf die Arbeiter und auch auf die Mehrheit der Bauern, die nun einmal nicht Mittelständler sein wollen, verzichten.

Das soll nun nicht bedeuten, daß der Terminus „Mittelstand“ nicht da und dort ein gutes Unterscheidungsmerkmal darstellt, zumindest eine Arbeitshypothese angesichts der vielfältigen Schichtung der Gesellschaft.

Bedenklich ist es dagegen, wenn eine dem Grunde nach von wirtschaftlichen Interessen bestimmte Gruppierung auch als weltanschauliche Gruppe klassifiziert wird.

Der zweigeteilte Mittelstand

Um sich die Hilfe der relativ wachsenden Gruppe der Angestellten und Beamten zu sichern, wird in Grenzsituationen ein Teil der Dienstnehmer (es sind die „besseren“) für den Mittelstand reklamiert. Das mag richtig sein, wenn nicht gleichzeitig so gut wie alle Forderungen, die im Namen des Mittelstandes erhoben werden, überwiegend den Interessen der größeren Unternehmungen entsprechen, für die man sogar eine Ermäßigung der Körperschaftssteuer verlangt. Diese wird unter anderem auch vom Gewinn der Aktiengesellschaften erhoben, also von anonymen Vermögenskomplexen abgefordert, die an sich mit dem Mittelstand nichts zu tun haben können. Da die Mehrzahl der kleineren Gewerbetreibenden eine außerordentlich geringe Gewinnbesteuerung hat (Gewerbesteuer und Umsatzsteuer sind abwälzbare Betriebssteuern, bei denen freilich die mehrstufigen Betriebe begünstigt werden), geht es praktisch bei den mittelständischen Forderungen weitgehend um Postulate, die auf die Interessenlage der größeren Betriebe abgestimmt sind und etwa kaum etwas mit den Dienstnehmerinteressen zu tun haben. Wenn für eine Interessentengruppe, wie diejenigen Personen, die Eigentum an den Produktionsmitteln haben, eine Entlastung gefordert wird, so ist ein solches Fordern in einer Gesellschaftsordnung, die sich als „freiheitlich“ versteht, legitim. Was jedoch nicht vorweg gebilligt werden dürfte, ist die unangemessene Gleichsetzung von Mittelstand mit einer ausgewählten Gruppe von Unternehmungseigentümern, wenn nicht gar mit der sogenannten „Wirtschaft“. Auch im Rahmen der wirtschaftspolitischen Argumentationen und Auseinandersetzungen muß eine. Begriffsreinheit herrschen.

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