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Mudchenbildung und humanistisches Gymnasium

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Zerstören ist leicht, Aufbauen schwer und langwierig. Diese Feststellung, nein: dieser Stoßseufzer gehört nun sozusagen zu unserem täglichen Brot. Nicht das Schimpfen auf diejenigen, die so viel verwüstet und vernichtet haben, kann uns helfen, nicht der wehmütige Rück blick, wohl aber der ruhige U m blick über das Trümmerfeld, das Bewahren des Verschont-gebliebenen und der feste Entschluß, von nun an nichts mehr verlorengehen zu lassen, von dessen Wert man überzeugt ist.

Zu den uns erhaltenen, aber schwer beschädigten und noch stets umkämpften Gütern gehört das humanistische Gymnasium. Hier soll es einmal vom Standpunkt der Frau, insbesondere in seiner Bedeutung für die Erziehung der jungen weiblichen Generation, betrachtet werden.

Welche Zielsetzung ergab und ergibt sich infolge der schwierigen Lebensumstände für die Ausbildung der Frau? Die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart zeigen et deutlich: eine „Vielseitigkeit“, die man schon „Universalität“ nennen könnte. In erster Linie war und ist es in der Notzeit gewiß ein Bereit- und Wehrhaftsein, ein Eintreten-, Einspringenkönnen überall dort, wo die männliche Arbeitskraft fehlt; beim Luftschutz, bei der Sanität, oft .unmittelbar an der Front taten Frauen Dienst; vom weiblichen Polizisten, Lokomotivführer, Schaffner, Briefträger usw. nicht zu reden. Dazu kommt selbstverständlich die Verpflichtung, das eigentlich weibliche Gebiet, das Pflegerische, mit Sachkenntnis und Liebe zu betreuen, ob dies nun auf Straßen und Schlachtfeldern oder in Spitälern oder — in mehr geistigem Sinne — in allerlei Schulen und Ämtern zu geschehen hat. Vor allem aber geht es immer und immer wieder um die vielseitigste aller weiblichen Betätigungen: die der Hausfrau, Gattin und Mutter. Hier kommt zur pflegerisdien und erzieherischen noch eine Fülle von Aufgaben, wie si dieser, noch immer nicht nach Gebühr geschätzte Beruf mit sich bringt: ökonomische, organisatorische, kulturelle Arbeit. Wir sehen also: einseitig darf die weibliche Bildung nicht sein!

Gerade dieser Vorwurf aber, der einer einseitigen, nur uf das Geistige, ja Wissenschaftliche gerichteten Bildung, wird gegen das humanistische Gymnasium erhoben. Die Beschäftigung mit „toten“ Sprachen erscheint dabei weiten Kreisen als besonders schädlich im Hinblick auf die eben skizzierten umfassenden Verpflichtungen der im Leben stehenden Frau. Sehen wir aber genau und unbefangen hin, dann merken wir: das Gymnasium von heute weist den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern einen weiten Spielraum zu, es pflegt die Muttersprache mit größter Sorgfalt, nicht minder eine oder zwei moderne Sprachen, selbstverständlich auch Religion, Psychologie, Logik, Gesdiichte und Erdkunde, Musik und Zeichnen, dabei auch Sport und Spiel. Von allen möglichen Erweiterungen, Ergänzungen und erfreulichen Umrahmungen des Lehrplans, wie Übungen und Kursen (zum Beispiel in Handfertigkeit und Handarbeit), Führungen, Ausflügen und festlichen Veranstaltungen sei ganz abgesehen.

Nun aber die von vielen Mädcheneltern mit so viel Besorgnis oder — Vorurteil gestellte Frage: Kann denn der Unterricht in den „toten“ Sprachen, Latein und Griechisch, der gebotenen „Lebensnähe“ der Mädcherziehung gerecht werden? Werden die Mädchen durch die überflüssige Gelehrsamkeit nicht von ihrem eigentlichen Beruf abgezogen?

Gewiß, ein Mädchen, das sich etwa ausschließlich für häusliche Arbeit eignet, das keinerlei sprachliche Begabung oder keinerlei Interesse für Fremdsprachen und für Geschichte hat — ein solches Mädchen sollte nicht ins humanistische Gymnasium gehen. Doch ein solches wird verhältnismäßig selten zu finden sein. Im allgemeinen interessiert es jeden normalbegabten jungen Menschen, wie die Sprache, die er spricht, entstanden ist. Es freut ihn, di Lehnworte, die man als solche gar nicht erkennt und die man den Griechen und Römern verdankt, auch verstehen zu lernen. Man denke an ganz gewöhnliche Worte, die aus dem Griechischen oder aus dem Lateinischen stammen — gar nicht zu reden von der Fülle unentbehrlicher griechischer und lateinischer Fremdwörter. Das humanistische Gymnasium bringt Jen vertiefte Kenntnis der deutschen Sprache und aller modernen Fremd-iprachen, wie keine andere Schultype si zu bieten vermag, deren Vorzug auf anderen Gebieten liegen. Es vermittelt jene Verstindnis der heimatlichen Kultur, das zu einer auf gründlicher Erkenntnis ruhenden, echten Heimatliebe führt. Denn Österreichs Werden und Schicksal ist ohne das Imperium Ro-manum nicht denkbar und viele, sehr viele geschichtlich bedingte Begriffe, wie Militärwesen, Provinzialsystem, Verwaltungsprinzipien, Rechtsordnung, kirchliche Organisation, werden erst durch die Kenntnis der Antike wirklich verstanden.

Soll der reifende Mensch nicht erfahren,was „Politik“ oder „Partei“ eigentlich“ Bedeutet, worauf twa der r#ichste historisch Stil der Heimt, d*s Barock, nach Form und Inhalt beruht? Sollen die „lapidaren“ lateinischen Inschriften, die sich in unserem Vaterlande so reichlich finden, stumm bleiben? Saxa loq\untur — die Steine reden, so kündet jene bekannte Salzburger Felseninschrift. Sollen sie unserer Jugend gegenüber schweigen?

Doch vergessen wir nicht, daß unsere arme Zeit nüchtern ist und auch wir wollen nüchtern bleiben, indem wir unsere Blicke dem Notwendigsten zuwenden. Das Gymnasium bietet die unerläßliche Vorbildung für gewisse Wissenschaften, wie Theologie, Philosophie, Geschichte, Philologie, Rechtswissenschaft. Dem Mediziner und Apotheker ist die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen sehr wichtig und nützlich. Aber, so sagen die nur praktisch denkenden Eltern, führen nicht auch andere Schultypen zur Hochschulreife? Kann man nicht auch im Realgymnasium, in der Realschule, in der Frauenoberschule ein Maturitätszeugnis erlangen — wenn auch allerdings die beiden letztgenannten Typen für manche Studienfächer eine Ergänzungsprüfung aus Latein notwendig machen? Und — was die Mädchen im besonderen betrifft — so wird das schon angedeutete Haupt-Gegenargument ins Treffen geführt: das humanistische Gymnasium mache die Mädchen „lebensfremd“ ...

Allerdings, die Auswahl des griechischen und lateinischen Lesestoffes müßte noch sorgfältiger auf die Eigenart der Mädchen abgestimmt werden. Das Frauenleben der Antike sollte eindringlicher hervortreten. Dieses im allgemeinen so unscheinbare, zurückgezogene und umgrenzte Frauendasein brachte trotzdem die nicht behinderten hervorragenden Leistungen einzelner begabter, bedeutender Frauen hervor. Da gilt es Dichterinnen kennen zu lernen, wie Sappho, Anyte, Sulpicia, Politikerinnen (gut und weniger nachahmenswerte) und gelehrte Frauen. Vor allem bringt das von Dichtem und Geschichts-

Schreibern für Immer festgehalten Leben der römischen und griechischen Frau in der Familie Beispiele und Gegenbeispiele, die ich den jungen Herzen unauslöschlich einprägen, wenn in gemeinsamer SchullektUre die von antikem Künstlergeist geformten Gestalten lebendig werden. Wieviel Vaterlandsliebe und Opferfreude lebt doch in den Frauen der antiken Poesie. Noch ergreifender sind die Grabschriften, die über den Tod hinaus das segensreiche, einem stillen Licht verglichene Wirken der Frau preisen. „Sie wahrten das Haus und spannen“ — wie jene Claudia, die den Schweizer Conrad Ferdinand Meyer zu einem sehr schönen Gedicht begeistert hat.

Richtig verstandene und vermittelte humanistische Geistesbildung ist ein Gewinn für die Frau, die Hüterin tiefer Bildung, wertvoller Tradition und eines edlen Geschmackes sein soll. • Heim und Familie können nur Vorteil davon haben. Der Zugang zum akademischen Studium aber verlangt strengste Auslese, denn ein weibliches akademisches Proletariat ist noch verhängnisvoller als ein männliches. Darum ist ein gründlicher Ergänzungslehrgang vor allem im Lateinischen für die Absolventinnen der Frauenoberschule und der Realsdiule, falls sie zur Hochschule streben. Das einzige' humanistisch Mädchengymnasium Österreichs ist derzeit in mühsamem Wiederaufbau begriffen. Vielleicht wird an dem einen oder anderen Mädchenrealgymnasium ein besdieidener Griechischkurs für „Freiwillige“ gehalten werden können. Auf der anderen Seite sollte jede Absolventin des humanistischen Gymnasiums, natürlich auch des Realgymnasiums, verpflichtet sein, einen gründlichen Hauswirtschaftskurs durchzumachen.

So wäre ein antikes Ideal zu erreichen, das die Griechen in der Gestalt ihrer großen Göttin Athene verkörpert sahen. Als Pallas lenkt sie durch ihre Weisheit die Pläne und Kriege der Männar, als Ergane war si Meisterin und Vorbild weiblicher Handarbeit.

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