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Nachzügler Landschule

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Wir hatten nach 1945 eine große und großartige Landschulerneuerung, die für immer mit dem Namen des in den Ruhestand getretenen Sektionschefs Dr. Ludwig Lang verbunden bleiben wird. Während frühere Bestrebungen dieser Art über gewisse Anfangserfolge nicht hinauskamen, wurden von ihm ein Programm formuliert und Arbeitsformen entwickelt, die — weil sie immer die Erneuerung des gesamten österreichischen allgemeinbildenden Pflichtschulwesens in Land und Stadt im Auge hatten — überall starken Widerhall und eine begeisterte Mitarbeit fanden, im besonderen auch das Interesse des Auslandes.

Die Ziele der österreichischen Landschulerneuerung wurden noch 1946 und 1947 formuliert: die Verbesserung der äußeren und inneren Arbeitsverhältnisse der Landschulen, die Akzentuierung der Milieubezo- genheit und des Leistungsgesichtspunktes zur Beseitigung des Bildungsgefälles von Stadt und Land sowie eine allgemeine Selbstbesinnung und ein neues Selbstverständ- nis der ländlichen Welt. In sieben gesamtösterreichischen Landschultagungen wurden die aktuellen Schulfragen aus dem Gesamtprogramm in Referaten, Arbeitskreisen und Gesamtdiskussionen behandelt, in Empfehlungen gefaßt und durch Publikationen und die umfangreich ausgebaute Lehrerfortbildung in die Schulen getragen. Eine wesentliche Bedeutung für die Umsetzung in die Schulwirklichkeit erlangte das in allen Bundesländern aufgebaute ländliche Versuchsschulwesen und die Bestellung von Landschulreferenten bei den einzelnen Landesschulräten.

Sektionschef Dr. Lang selbst gliederte die Bemühungen in drei Hauptabschnitte: in die didaktische Phase, in die schulorganisatorische Phase und in die Integrationsphase ab dem Schulgesetzwerk 1962. Hinter dieser Aufzählung steckt nicht nur eine Unsumme gezielter Arbeit und großer Erfolge, die von Dr. Lang selbst geplante und eingeleitete Integrierung des ländlichen Schulwesens in das Ganze der österreichischen Schulerneuerung unseres Jahrzehnts bewahrte die große Erneuerungsbewegung vor einem selbstgefälligen Ausplätschern, vor Dehnungen und Verwässerungen.

Die Volksschuloberstufe

Also alles erledigt? Manche dünkt es so, aber sie haben die Integrationsphase gründlich mißverstanden. Weder schulorganisatorisch noch didaktisch ist ein Zustand eingetreten, der eine Aufhebung oder auch nur Abschwächung der bisherigen Bestrebungen rechtfertigte. Die besonderen Probleme des ländlichen Schulwesens, die es immer geben wird, sollten nur in den größeren Zusammenhang der gegenwärtigen

Schulreform gestellt werden. Würde man dabei das Landschulwesen nicht im hinreichenden Maße betreuen, müßte es unweigerlich wieder zu einer speziellen Erneuerungsbewegung kommen. Es denkt daher, soweit wir die Dinge kennen, auch niemand daran, etwa die bewährten bisherigen Einrichtungen aufzulassen oder einzuschränken: die Landschulreferenten, das Versuchsschulwesen, die besonderen Vorsorgen der Lehrerbildung und der Lehrerfortbildung, die Publikationen und anderes mehr. Was freilich die Landschultagungen anlangt, erscheint im Hinblick auf die umfassenderen Absichten ein neues Forum zweckentsprechender, wobei freilich die Landschulfachleute von vornherein angemessen einzubeziehen wären.

Das Hauptproblem des ländlichen Schulwesens stellen gegenwärtig wieder einmal die Volksschuloberstufen dar. Die Einrichtung der Zweiten Klassenzüge und die Ausweitung der Pflichtsprengel der Hauptschulen entziehen den Volksschuloberstufen fortschreitend immer mehr Schüler (in der letzten Zeit etwa 8000 bis 10.000 pro Jahr), so daß die bedenklichen Restformen, die zahlenmäßig rasch zunehmen, schulorganisatorisch und pädagogisch große Schwierigkeiten bereiten, vor allem, wenn sie mit Schulstufen der Grundschule (1. bis 4. Schulstufe) klassenmäßig verbunden werden müssen. Dahinter steckt ferner eine gewisse Unsicherheit über die Zukunft der Volksschuloberstufen. Entgegen der Praxis Wiens und der meisten großen Städte neigen mehrere Bundesländer dazu, zwischen Zweiten Klassenzügen und Allgemeinen Sonderschulen zentrale Volks- schuloberstufenklassen einzurichten, sozusagen als „Dritte Klassenzüge” Die gesetzlichen Grundlagen sind dafür gegeben, und die pädagogischen Absichten sind durchaus unverdächtig. Allein die noch wenig leistungsveränderten, sozusagen „echten” Volksschuloberstufen — und solche wird es in den verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gebieten noch lange geben — kommen dadurch in eine wenig vorteilhafte Lage. Auf jeden Fall wird man, wo immer es die schulorganisatorischen Gegebenheiten erlauben, eine klassenmäßige Vereinigung von Restformen der Volksschuloberstufe mit der Grundschule vermeiden, denn diese Grundschule gewinnt für die vermehrten Übertritte in Hauptschulen und allgemeinbildende höhere Schulen eine erhöhte Bedeutung; ihre Erziehungsund Unterrichtsarbeit wird durch die erwähnten Restformen meist stark beeinträchtigt.

Immer wieder: Lehrerbildung

Begreiflicherweise wenden daher die Landschulvertreter ihre besondere Aufmerksamkeit der Neugestaltung der Lehrerbildung und der Lehrerfortbildung zu. Mehr als 6000 Volksschulklassen haben noch Abteilungsunterricht, und ihre Zahl wird nur langsam zurückgehen. Unter diesen zwei- und mehrstufigen Klassen sind Grundschulklassen, Oberstufenklassen und gemischte Oberstufenklassen (Oberstufen mit Schulstufen der Grundschule). In absehbarer Zeit kann sich also die Lehrerbildung nicht darauf beschränken, die Lehrer vorwiegend für die Grundschule und für einstufige Klassen auszubilden. Mit Ausnahme in größeren Städten muß vielmehr jeder Lehrer damit rechnen, in anderen, den schwierigeren Klassenformen eingesetzt zu werden. Darauf muß die theoretische und die praktische Ausbildung in den Pädagogischen Akademien gebührend Rücksicht nehmen. Der „Einführung in die Landschularbeit kommt deshalb in der Lehrerbildung unverändert große Bedeutung zu.

Nicht minderes Gewicht ist aber auch auf die Lehrerfortbildung zu legen. Beim Aufbau der Pädagogischen Institute sind jedenfalls eigene Abteilungen für die Landschule einzurichten, wobei auch der entsprechenden Tatsachenforschung erhöhtes Augenmerk zuzuwenden ist. Alles, was die Landschulemeuerung in Schulversuchen und Tagungen erarbeitet und in Publikationen dargelegt hat, muß in der Lehrerfortbildung entsprechend den tatsächlichen Erfordernissen und einem immer wieder überprüften zeitgemäßen Stand weitergegeben und eingeübt werden. Wie immer und wie rasch auch die schulorganisatorische Situation sich ändert, die grundlegenden unterrichtsorganisatorischen und didaktischen Maßnahmen beziehungsweise die Arbeitsformen und Arbeitsweisen des Unterrichts in der Landschule werden dadurch nicht überflüssig. Die Landschule ist seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ditese besondere Betreuung gewöhnt und kann ihrer gerade jetzt noch nicht entraten.

Echte Integration der Landschule

Aber über die Oberstufen und die mehrstufigen Klassen hinaus sieht die Landschulbetreuung weitere Aufgaben im ländlichen Haupt- und Sonderschulwesen sowie in den ländlichen Formen der Polytechnischen Lehrgänge. Abgesehen von milieuspezifischen Gegebenheiten und Erfordernissen, gewinnen Arbeitsformen der ländlichen Volksschule auch für die sonstigen Schularten des allgemeinbildenden Pflichtschulwesens an Interesse, wozu nur auf die Probleme der inneren Differenzierung und der ganzheitlicheren Unterrichtsgestaltung zu verweisen ist.

In der Landschulerneuerung und besonderen Landschulbetreuung ist also noch lange nicht, wenn überhaupt jemals alles erledigt. Im Gegenteil, gerade jetzt in der Integrierungsphase müssen alle Mitarbeiter aufgerufen und ermuntert werden, ihre bisherige Arbeit fortzusetzen, Schulversuche und Publikationen wieder zu beleben sowie Lehrerbildung und Lehrerfortbildung den jeweiligen Erfordernissen anzupassen. Nur eine pädagogisch, materiell und personell wohl versehene Landschule vermag die Aufgaben, die ihr in der so weitreichenden Umgestaltung unserer Zeit für den völligen Abbau des Bildungsgefälles gestellt sind, zu bewältigen. Wer eine echte Integration der Landschule in die Schulreform unserer sechziger Jahre will, darf sie nicht mit billiger Gleichmacherei in die überwundenen Schwierigkeiten früherer Jahrzehnte zurückdrängen.

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