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Negativer Einflu der Industrialisierung?

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Wenn eben die Feststellung gemacht wurde, daß durch den hohen Anteil an städtischer Bevölkerung der Meßbesuch in der Regel niedriger ist, so kann dennoch nicht von einem durchgängigen Zusammenhang gesprochen werden, So haben Krems, Wien und Ternitz, also größenmäßig extrem verschiedene Gemeinden eine ähnliche, wenn auch niedrige Gottesdienstziffer, Auch hilft hier nicht der Hinweis auf den hohen Grad der Industrialisierung dieser Gemeinden, weil andere, freilich meist jüngere Industriegemeinden, einen wesentlich höhereh Meßbesuch habeh (Wattens in Tirol mit 48 Prozent). Es verdient überhaupt festgehalten zu werden, daß sich zwar „Faustregeln“ aufstellen lassen, daß man dabei aber immer offen bleiben muß für Ausnahmen und für den Einfluß vieler anderer Faktoren, vor allem den Einfluß einer situationsgemäßen Seelsorgearbeit.

Haben die industriellen Gemeinden niedrigen Meßbesuch, so ist die Anzahl der Meßbesucher in den Landwirtschaftsgemeinden durchschnittlich höher und liegt zum Beispiel in 74 solchen Gemeinden in der Diözese Salzburg über 46 Prozent. Das bestätigt die bekannte Erkenntnis, daß der regelmäßige Meßbesuch durch die Industrialisierung negativ beeinflußt wird. Diese Aussage muß aber im Zusammenhang mit anderen Formen religiösen Handelns gesehen werden, bevor eine endgültige Aussage über die religiöse Situation unserer Industriegesellschaft versucht wird.

Neben dieser regionalen und sozialökologischen Differenzierung der Meßbesuchsziffern springen noch andere Unterschiede ins Auge. Hier ginge es aber im wesentlichen darum, alte Dinge zu wiederholen: daß der regelmäßige Meßbesuch vor allem in den mittleren Lebensjahren unterdurchschnittlich ist und daß die Männer weniger praktizieren als die Frauen. Die Gottesdienstbeteiligung der einzelnen Be-rufigruppen verdient aber eine eingehendere Bemerkung. Daß die verschiedenen Berufsgruppen unterschiedlich beim Gottesdienst vertreten Älhd, ist nicht neu. Viel wichtiger scheint jedoch die Tatsache zU sein, daß grundsätzlich die Nichtberufstätigen (Hausfrauen, Schüler, Rentner und Pensionisten) höhere Werte aufweisen als die Berufstätigen, Das spezifische Seelsorgeproblem scheint somit nicht bloß In einer kategorielien oder funktionalen Seelsorge zu liegen, die sich also den einzelnen Berufskategorlen widmet, sondern überhaupt In einer intensiveren Seelsorge für die Berufstätigen und damit für die Erwachsenen überhaupt, damit zugleich für die mittleren Lebensjahre und die Männer, Daß hier neue Formen entdeckt werden müssen, steht außer Zweifel.

Neue Formen der Seelsorge sind notwendig

Im Laufe der Aufarbeitung der empirischen Daten haben sich einige fundamentale Aussagen zur Situation der katholischen Kirche in Österreich abgezeichnet, Sie haben zum ersten gezeigt, daß es nahe! keinen getauften Katholiken gibt, der nicht irgendeine Zustimmungshandlung zur Kirche setzt. Man hat hier an Beerdigung, Trauung oder religiöses Interesse an der Erziehung der Kinder zu denken. Bedientet man anderseits, daß eine nicht lu übersehende Zahl die eine oder andere Handlung üu setzen unterläßt, so ist vom Tatbestand einer verschieden intensiven oder partiellen Zustimmung zur Institution Kirche zu reden.

Eine weitere grundlegende Aussage ist von ähnlicher Tragweite. Es hat sich nämlich ergeben, daß die verschiedenen sozialen, so/ialökolo-gischen, regionalen und individuellen Merkmale ihren Einfluß darauf ausüben, wie intensiv diese Gesamtzustimmung zur Kirche ist, mit anderen Worten, welches Ausmaß von Zustlmmungshandlungen von den Trägern dieser Merkmale im Normalfall gesetzt wird. Wir entdecken da etwa, daß das „industrielle Milieu“, konkret also die großstädtischen Verhältnisse oder auch die spezifische Berufssituatloh der Arbeiter, den Meßbesueh — wenn auch nur in seine* Regelmäßigkeit — beeinträchtigen, daß aber anderseits dieselben Menschen unter denselben Einflüssen nichtsdestoweniger eine Vielzahl echter Zustimmungshandlungen und damit (was hier vorausgesetzt wird) echter religiöser Vollzüge setzt, untere Arbeiter zum Beispiel sind zweifellos weniger regelmäßig oder gar nur an höchsten Feiertagen in der Kirche zu seheh, aber sie schicken doch fast alle ihre Kinder zum Religionsunterricht, lassen ihre Kinder taufen und sind für sich selber an einer kirchlichen Trauung und Beerdigung interessiert. Daß sich In diesem Punkt in den letzten Jahrzehnten einiges geändert hat, läßt sich nicht übersehen. Bei diesen Feststellungen geht ei um soslelo-gisehe und nicht um pastoraltheolo-gtsche Urteile.

Ähnliche Ergebnisse erbringt eine Analyse der Glaubenssituation unserer Kathollken, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Es sei diesbezüglich auf den Bericht 78 des IKS über eine Umfrage in Salzburg und auf eine für den kommenden Herbst geplante Veröffentlichung des Materials der Umfrage von Prof, Schaschlng über das religiöse Verhalten des Industriearbeiters verwiesen.

Wenn der knappe Überblick über die Ergebnisse der Arbeit des IKS wenigstens den Eindruck vermittelt hat, daß ein sachgerechtes Urteil über die religiöse Situation der Katholiken in Österreich nur dann glaubwürdig und damit für die Praktiker fruchtbar ist, wenn es auf einer umfangreichen Detailkenntnis fußt, dann hat er seine Aufgabe erfüllt. Daß dieser Satz vor allem für die gesellschaftlichen Strategen geschrieben ist, sei es des staatlichen oder kirchlichen Lebens, soll nicht unaesaet bleiben.

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