7107637-1995_38_08.jpg
Digital In Arbeit

Nehmen wir Abschied von Wasserköpfen?

19451960198020002020

Um persönliche Freiheit und Unterstützung durch die Gemeinschaft gleichzeitig zu gewährleisten, sollte man Gesellschaften nach dem Subsidiaritätsprinzips gestalten. Überlegungen im Anschluß an die „Seckauer Gespräche”.

19451960198020002020

Um persönliche Freiheit und Unterstützung durch die Gemeinschaft gleichzeitig zu gewährleisten, sollte man Gesellschaften nach dem Subsidiaritätsprinzips gestalten. Überlegungen im Anschluß an die „Seckauer Gespräche”.

Werbung
Werbung
Werbung

Das lateinische Wort „subsidi-um” heißt Schutz, „subsidiär” bedeutet helfend. „Subsidiarität” als Prinzip wurde in der Enzyklika „Rerum novarum” 1891 in Zusammenhang mit der Arbeiterfrage eingeführt und in der Katholischen Soziallehre zu einem Kernbegriff ausgebaut. Dennoch kommt er in den Sachregistern einiger Katechismen nicht vor.

Im Lexikon „Gesellschaft und Staat” (Ausgabe 1989) wird er für den gesellschaftlich-politischen Bereich entfaltet. Der Vertrag von Maastricht verwendet „Subsidiarität” als Regel für das Vorgehen bei geteilter Zuständigkeit.

Der Weltkatechismus definiert das Subsidiaritätsprinzip im Artikel-„Per-son und Gesellschaft” so, daß eine übergeordnete Gesellschaft eine untergeordnete Gesellschaft nicht ihrer Kompetenzen berauben darf, sondern ihr im Notfall dazu helfen muß, „ihr eigenes Handeln mit dem der anderen gesellschaftlichen Kräfte im Hinblick auf das Gemeinwohl abzustimmen”.

Begründet wird das damit, daß Gott den Menschen die Erfüllung jener Aufgaben überläßt, die sie nach den Fähigkeiten ihrer Natur auszuüben vermögen, und daß sich dieses göttliche Weltregierungsprinzip in den menschlichen Ordnungen abbilden soll; eine biblische Begründung wird nicht gegeben.

Zur menschlichen Natur gehört es, Gemeinschaften zu bilden, in die der einzelne hineinwächst. Damit ist sowohl die individuelle Freiheit und Verantwortung wie die Formung des Zusammenlebens angesprochen, bis hin zur Zielsetzung, „auf internationaler Ebene eine wahre Ordnung zu schaffen”.

Wolfgang Schmitz (ich beziehe mich auf die „Seckauer Gespräche 1995” der Pater-Laurentius-Hora-Stiftung zum Thema „Adieu Wasserköpfe, willkommen ihr Kleinen”) stützt sich auf die geschichtsbezogene Formulierang der Enzyklika „Qua-dragesimo anno” (1931), „... daß unter geänderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können”.

Daß dem Einzelmenschen das, was er aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, nicht entzogen werden darf, wurde auf philosophisch-politischer Ebene schon seit der Antike gesehen und wird auch in der liberalen Staatslehre so verwendet, daß der Staat Zuständigkeit nachweisen muß, wenn er Aufgaben an sich zieht, aber auch in Richtung auf föderalistische Vorstellungen, daß jeweils die dem einzelnen Menschen und der Sache nähere Gebietskörperschaft zu entscheiden und zu handeln hat.

Jeder Mensch verfügt über verschiedene Fähigkeiten und Kenntnisse und verfolgt verschiedene Ziele. Die Lebenswelt, auf die sich der Mensch einstellen muß, und die Probleme, denen er sich zu stellen hat, sind komplex. Es bilden sich Gesin-nungs- und Arbeitsgemeinschaften mit begrenzter Zwecksetzung und Solidarität nebeneinander.

Die einzelnen vertikalen subsidiären Strukturen, etwa in Bildungswesen, Kultur, Wirtschaft, müssen daher horizontal verknüpft werden. Reinhard Rack, Verfassungsrechtler und Abgeordneter zum Europaparlament, zeigte bei den „Seckauer Gesprächen” die Möglichkeiten einer Kombination von Subsidiarität und Koordination am Beispiel der Regionalförderung in der EU auf: Die einzelstaatliche Ebene wird in die Festlegung von globalen Zielsetzungen eingebunden, in deren Rahmen dann die regionalen Institutionen in Abstimmung untereinander über die konkrete Mittelverwendung entscheiden.

Beachtung der Subsidiarität garantiert auf keiner Ebene, daß das sachlich Richtige oder moralisch Beste beschlossen und durchgeführt wird. Ausreichender Sachverstand ist bei heutigen Differenzen zwischen Experten unter Umständen auch nicht verläßlicher als gesunder Menschenverstand, aber auch das gesunde Volksempfmden kann falsch sein. Man überfordert eine instrumentale Handlungsanleitung jedenfalls, wenn man sie als Ersatz für Inhalte gebrauchen will.Subsidiäre Struktur ist eine solche des Entscheidens und des normativen Handelns. Die Durchführung obliegt meist niedrigeren Ebenen. Entscheidungen bedürfen eines gewissen Konsenses, um durchführbar zu sein. Untere Ebenen können durchaus entscheidungsfähig sein, dabei aber nicht über die Mittel verfügen, um eine Entscheidung umzusetzen.

Die Verfügbarkeit über Mittel kann von oberer Ebene mißbraucht werden, um ein Handeln auf unterer Ebene zu erzwingen. Wenn der Staat die Lösung von Problemen verspricht, die der Bürger selbst bewältigen kann, wenn der Bürger Forderangen an den Staat stellt, die dieser nicht erfüllen kann, dann muß die obere Ebene vor der unteren geschützt werden (worauf Herbert Kohlmaier hinwies).

Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips können dort verhindert oder wiedergutgemacht werden, wo einklagbare Rechte bestehen, wo Organe oberer Ebenen abwählbar sind, wo Kontrollmechanismen zur Verfügung stehen. Um den einzelnen Menschen handlungsfähig zu erhalten, sind Information von oben nach unten, Initiative von unten nach oben und Erziehung zu Verantwortung und Engagement nötig.

Unbeschadet der Tatsache, daß die Katholische Kirche mit der Subsidiarität in ihrem ursprünglichen Bereich, der Arbeiterfrage, nicht konsequent und nur teilweise erfolgreich war, hat sich das Prinzip allgemeingesellschaftlich in unterschiedlicher Bedeutung durchgesetzt und bewährt. Nichts spricht gegen seinen Einsatz in der Kirche selbst, soweit sie soziale Institution ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung