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Neue Studentenpartei

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Mit der Distanzierung des Gesamtverbandes aus der Tagespolitik an den Hochschulen wird aber eine Aktivierung der einzelnen Mitglieder Hand in Hand gehen — ein Vorgang, vergleichbar der Stellung der Laien in der Kirche, die ja umsomehr Verantwortung zu tragen haben, je weniger das Lehramt verbindliche Aussagen machen. Ehrlichkeit und Risikofreude sind die Kennzeichen dieser neuen Haltung. Der ÖCV hat die Herausforderung der studentischen Bewegung angenommen — im Gegensatz zum deutschen CV, dessen einzige Reaktion auf die Neue Linke im Rückzug von den Hochschulen bestand, und der nun in seinen Verbindungsheimen ein unbedeutendes Dasein fristet.

CV und Ökumene

Die Debatte um das Verhältnis zu den nichtkatholischen Christen und insbesondere um die Aufnahme nichtkatholischer Christen in den CV bewegt seit längerem die Gemüter. Ein konkreter Einzelfall — die Aufnahme eines Protestanten durch eine Verbindung — wurde der Anlaß zu einer intensiven Diskussion auf der Carteilversammlung. Diese auf hohem Niveau stehende Diskussion, die ja überhaupt die praktische ökumenische Haltung des CV zum Gegenstand hatte, zeugte vom wirklich ernsthaften Bemühen, die grundsätzliche Bedeutung der Öffnung katholischer Verbände für Nicht-

katholiken in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Überwiegend neigte man zur Auffassung, die Zeit hiezu wäre noch nicht reif, nicht nur, weil man glaubte, die aus der religiösen Einheitlichkeit resultierende weltanschauliche Stärke nicht aufs Spiel setzen zu dürfen, nicht nur, weil die Satzungen den Verband als einen katholischen bezeichnen (man bemühte sich überhaupt, formalistische Erwägungen nicht in den Vordergrund dringen zu lassen), nicht nur, weil nur allzuoft die Forderung nach der Öffnung Bequemlichkeit und Lauheit verbirgt und einer Relativierung der Standpunkte Tür und Tor öffnet, die für jede echte ökumenische Begegnung tödlich ist, sondern auch (und hier spielt echte Sorge um den nichtkatholischen Bruder mit) deshalb, weil man Gewissenskonflikte und Majorisierungen religiöser Minderheiten in den Verbindungen fürchtet und weil hier unter Umständen ein „CVer zweiter Klasse“ kreiert werden könnte.

Dennoch wird das Thema im Gespräch bleiben, es wurde zur Behandlung des ganzen Problemkreises eine eigene Kommission eingesetzt, die grundsätzlich und allgemein spürbare Bereitschaft zum ökumenischen Experiment wird nicht "hr erschlaffen. Die Tatsache, daß die Teilnahme eines Nichtkatholiken am Leben einer katholischen Gemeinschaft für deren religiöses Leben äußerst fruchtbringend sein kann,

wird man wohl in Hinkunft (noch abseits von den rechtlichen Erwägungen) nicht außer acht lassen können.

Der CV bleibt weiterhin ein Verband von Katholiken, der allerdings von seinen Mitgliedern „… eina gewissenhafte religiöse Bildung, eine ökumenische Geisteshaltung und ein Leben nach christlichen Grundsätzen im privaten und öffentlichen Bereich“ fordert. (Satzungen des ÖCV, 1968.)

CV und Öffentlichkeit

Von gegnerischen Kreisen als Gehieimbund angesehen (immer im gleichen Atemzug mit Freimaurern und Jesuiten), versteht sich der Carteilverband dennoch als Organisation, die in der Öffentlichkeit wirken will und deshalb in der Öffentlichkeit für ihre Zielsetzungen werben muß. Der Mut zu einer breiteren Öffentlichkeitsarbeit bedeutet einen Bruch mit der Vergangenheit. Das Verbandsorgan „Academia“, bislang nur unter den Mitgliedern zur Verteilung gelangt, soll in Hinkunft einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Die Anschauung, die „Academia“ könne als Repräsentation geistigen Lebens im CV das Bild des Verbandes in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen, bestätigt, trotz mancher kritischen Stimme („… Der Ton ist so salopp, so gewollt, so betont supermodern, nicht selten einfach frech und unverschämt …“) die neue Linie der „Academia“-Redaktion, der (neben vielen anderen) Fritz Csoklich konzediert, daß ihm „… die .Academia in ihrer jetzigen Offenheit viel mehr zusagt als so manche einfalls- und farblose Publikation, die von Nicht- CVern hergestellt wird.“

Trotz dieser Aufgeschlossenheit in der „Academia“-Frage bleibt bezüglich des Verhältnisses CV—Öffentlichkeit ein zwiespältiges Gefühl zurück. Noch hielt man es nicht für notwendig, durch eine wissenschaftlich fundierte Meinungsumfrage sich selbst den Spiegel vorzuhalten. Und gerade das ist ja die Grundlage einer jeden bewußt betriebenen Öffentlichkeitsarbeit.

Es ist nicht nur Geschmackssache, ob man der Meinung ist, die durch gewisse Geheimbundmomente hervorgerufenen Aversionen gegen den CV seien gerade recht, und Ablehnung sei da nur ein Teil der Angst, oder ob man glaubt, offen im offenen Spiel der konkurrenzierenden Meinungen stehen zu müssen. Zumindest im katholischen Bereich dürfte es keine Frage sein.

Der neue Stil

Angesagte Revolutionen pflegen nicht stattzufinden. Die von der Tagespresse vor der Cartellversammlung in antizipierter Sensationsfreude vorausgesagten Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten und Reformern, zwischen ökume- nisten und Integralisten, zwischen „Entfernern“ und „Annäherern“ (was das Verhältnis zur ÖVP betrifft) blieben aus. Es fehlte der Skandal. Kein Aufstand der Neuen Linken im CV, keine Auszüge majorisierter Progressiver, kein grollendes Zurückziehen von um die letzten Reste verblichener Studentenromantik geprellten alten Herren.

Was noch zu vermerken bleibt: Die für einen Verband, dessen Formengut und Ideale aus dem vorigen Jahrhundert stammen, geradezu faszinierende Progressivität, das Fehlen des durch die Tradition geprägten Geheimbundrotwelschs, damit Sachlichkeit und Zielstrebigkeit der Argumentation, der auch durchwegs verstimmte und verstimmende Emotionen fremd waren, das weitgehende Fehlen eines Generationenproblems — die Grenzen zwischen Fortschritt und Reaktion liegen nicht direkt zwischen alten Herren und Studierenden, sondern verlaufen quer durch alle Verbandsteile.

Es fehlt allerdings (aber das muß gar nicht negativ sein), der in der nachkonziliaren Kirche sonst oft spürbare visionäre, idealistische Schwung, der Sprung in die Zukunft mit beiden Beinen.

Indizien für Leben und Fruchtbarkeit einer Organisation sind nicht nur deren Arbeitsergebnisse. Resolutionen, Beschlüsse, Aktionen, sondern auch ihre Arbeitsweise, ihr Stil. Beide zeigen einen gemeinsamen Zug. Es könnte neue Aufgabe des CV werden, die progressive, pragmatische Mitte im katholischen Aufbruch zu sein.

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