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Neue Wege in der Volksbildung

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Die Jahre seit 1945 haben auch auf dem Gebiet der Volksbildung in Oesterreich von verschiedensten Seiten eine Fülle von Bemühungen gebracht. Die Zentralstelle für Volksbildung im Bundesministerium für Unterricht, die bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten, die Kulturreferenten der Länder und Gemeinden, der Kirche und Parteien, verschiedene Bildungswerke, Heim- und AbendvollgJiochschulen, die Volksbüchereien und Kursff und Tagungen jahraus, jahrein, haben sich neben den speziellen Aufgaben, die sie sich stellten, immer wieder auch um eine theoretische Fundierung der Erwachsenenbildung bemüht und damit eine Arbeit geleistet, die, wie jede geistige Arbeit, erst in späterer Folge immer mehr ihre Früchte zeitigen wird. Leider ist es bisher zu keinem Volksbildungsgesetz gekommen, das vor allem bessere personelle und materielle Voraussetzungen schaffen würde. Es ist überhaupt in Oesterreich nech lange nicht jenes Verständnis und jene Förderung für die Anliegen der Volksbildung erreicht, deren sich die Volksbildungseinrichtungen etwa in den skandinavischen Ländern oder in England erfreuen. Ja, man kann ruhig sagen, daß man sich des Gefühls einer bedenklichen Bagatellisierung der Volksbildungsarbeit bei uns nicht erwehren kann. Es müßte uns zu denken geben, wenn wir hören, daß in Finnland vor wenigen Jahren in Stadt und Land ein Plakat aushing mit den bemerkenswerten Sätzen: Volkshochschulen statt Kasernen! Bildung statt Propaganda! Glaube statt Weltanschauung!

Und leider mangelt es noch immer an einer gemeinsamen großen Zielsetzung der Volksbildung. Wohl ist auch hier manches im Umbruch. So scheint zumindest der im Zeitalter der Aufklärung wurzelnde Bildungsbegriff „Wissen ist Macht“ heute weitgehend überwunden und — mitbewirkt durch das Leben selbst in Kriegs- und Nachkriegszeit — immer mehr einer zeitgemäßeren Deutung Platz zu machen, die vom Gebildeten berufliche Tüchtigkeit, soziale Haltung und eine dem natürlichen Sittengesetz entsprechende Lebensführung verlangt. Ueber solche Ansätze wäre es nun an der Zeit, zu einer gemeinsamen Definition der Volksbildung zu kommen, ohne damit die Bestrebungen der sonst verschiedenen Bildungsträger einzuengen. Vielleicht kann die nachfolgende Definition ein Ansatzpunkt sein. Aufgaben der Volksbildung von heute müßte es sein, dem Menschen zu helfen, seinen (das heißt den für ihn gangbarsten) Weg durch diese Zeit zu finden, einmal dadurch, daß sie ihm diese Zeit, die eine Endzeit ist, durchleuchtet, daß sie in ihm die Erkenntnis der Mitverantwortung jedes einzelnen für die Zukunft weckt und ihm schließlich die für den einzelnen möglichen Wege einer aktiven Um-und Neugestaltung der Welt aufzeigt.

Wenn wir uns nüchtern die Frage nach Wirkung und Erfolg der bisherigen Arbeit vorlegen, so fällt zunächst auf, daß es sich bei den Besuchern vieler Kurse und Tagungen in den letzten Jahren fast immer wieder um dieselben Leute gehandelt hat. Es hat sich eine Art „Kursgarde“ herausgebildet, die da bei den verschiedensten Veranstaltungen an verschiedenen Tagungsorten immer wieder aufkreuzte und von einem meist nur geringen Zuzug neuer Kräfte ergänzt wurde. Wo bleibt die große Masse, vor allem der Jugend? Warum stehen soviel mehr immer noch abseits und machen sich sogar über die volksbildnerisch Interessierten lustig? Es taucht da die ehrliche Frage auf, ob wir uns nicht in den Methoden der Bildungsarbeit etwas übernommen und dadurch uns (ja auch uns!) und die anderen ermüdet, schokiert haben. Ob wir nicht zu viele Fragen aufgeworfen haben, Fragen aus Sorge und Gewissenhaftigkeit gestellt, auf die wir selbst auch keine Antwort wußten? Ja, ob wir nicht überhaupt zuviel nach „Methoden“ arbeiten, statt den Menschen nach bestem Vermögen zu helfen, ihr persönliches Leben zu leben, in Ernst, Ebenbürtigkeit und Wahrheit?

Und eine andere Frage: Ist es uns wirklich gelungen, in der sogenannten Bildungsschicht auch nur einen annähernd tragbaren Prozentsatz von Menschen zu mobilisieren für andere als nur „einträgliche“ NebcrnDcschäftigungen? Ist nicht ein Großteil in der geistigen Facharbeit (Sprachkurse usw.) steckengeblieben, die sicherlich nicht unwichtig, vor allem aber weniger riskant ist? Zweifellos ist die materielle Not des Akademikers von heute ein großes Hindernis, aber daß es doch auch Akademiker gibt, die ihre Zeit für Fragen der wesentlichen Erwachsenenbildung opfern, Seelsorger, Aerzte, Lehrer, beweist doch, daß dies nicht der letzte und entscheidende Grund ist.

Was soll nun geschehen?

Zunächst scheint mir eine Vereinfachung und V e r w e s e n 11 i c h u n g unserer ganzen Bildungsarbeit für wichtig. Die meisten Menschen gehen heute zur Kultur nur auf Besuch, in Museen, Theater, Konzerte, Bibliotheken, Abendvolkshochschulen, genau so wie man ins Kino geht, ins Bad, man hört sich die verschiedenen Vorträge an, die einen vielleicht sogar erschüttern, treffen, man liest Bücher, die ein Anruf sein könnten

— aber man läßt diesen Anruf wieder verhallen, man denkt gar nicht daran, auf diese vielen Rufe zu antworten, zu reagieren, es bleibt alles an der Oberfläche. Das eigene Leben lebt man bequemer, ungefährdeter. Es werden da oft drei, vier Leben nebeneinander gelebt, Schichten und Blätter wie bei Peer Gynts Zwiebel — nur der Kern fehlt. Und das fast in allen Berufsschichten, ohne Unterschied der Bildung und Konfession. Es fehlt das Reifen, das Sichentfalten, Insichhinein-nehmen und das darauf folgende Sichändern.

Wir müssen daher versuchen, um nur ein Beispiel zu nennen, die Menschen m i t der Kultur und i n der Kultur leben zu lassen, ihnen zeigen für ein paar Tage oder Wochen, daß das möglich ist. Hier aber liegen die ganz großen Aufgaben der Heimvolkshochschule. Man richte nicht Bildungsheime im Hotclstil ein. Worauf es ankommt, das ist die geistige Atmosphäre solcher Heime. Entscheidend ist der Geist, der im Hause herrscht, der Stil des Zusammenlebens, entscheidend sind die Bilder an den Wänden, die Buchet in den Regalen. Nun aber einmal keine ermüdenden Programme mit Referaten und Diskussionen, sondern leben wir einmal mit einer Gruppe von Menschen in dieser Atmosphäre. Laden wir uns dazu einen Seelsorger ein, einen Arzt, einen Soziologen, einen wirklichen Volkspädagogen. Geben wir jedem Tag eine Form, bestimmen wir feste Zeiten zu Arbeit und Rast, Feier und Gespräch. Erarbeiten wir uns gemeinsam die Problematik der Zeit und ihre Forderungen an uns. Veranstalten ' wir Vorlesungen, machen wir Musik, Kunstbetrachtung und erwandern wir uns immer wieder die Natur. Kurz: Schaffen wir Erlebnisse, ohne den Werktag zu vergessen. Besuchen wir dazu immer wieder den Werktag des Arbeiters, des Bauern und sprechen wir uns in kleinen, ungezwungenen Kreisen über unsere privaten Sorgen, über Unser Leben aus.

Vielleicht haben wir bisher zuviel auf manchen Kursen diskutiert, immer wieder den Tag mit Referaten und mehr oder weniger doch gelenkten Diskussionen erschlagen. Auch hier, glaube ich, müßte unser Ziel sein: Weniger reden — mehr erleben! Wenn wir heute allenthalben mangelnde Ehrfurcht feststellen müssen — ist hier nicht zum Teil auch das heute so moderne Diskutieren mitschuldig?

Zusammenfassend: Zurück zum einfachen, aber tiefer wirkenden Erlebnis! Die Menschen werden dann spüren, daß nicht Besuche bei der Kultur genügen, daß man mit ihr auch leben kann, daß einem ein Wort, ein Buch, ein Bild, ein Lied, ein Musikstück wirklich helfen kann im Alltag. Ja, daß Kultur schon beginnt bei der richtigen Lebensordnung, beim schöngedeckten Tisch, bei der Schale mit Blumen. Zu solcher Art von Bildungsarbeit ist aber schon der kleinste Kreis befähigt, jeder Verein, die Jugendgruppe, das kleine Bildungswerk. Wenige Menschen um einen Tisch, kleine Zellen, die sich ehrlich bemühen — sie sind die Form der Bildungsarbeit, auf die es in Zukunft ankommen wird!

Neben dieser Vereinfachung scheint mir das wichtigste Anliegen der Volksbildung d i e Aktivierung der noch abseits stehenden Akademiker. Es gibt hier ganze Berufsschichten, die sich dieser sozialen Pflicht noch nicht bewußt geworden sind und auf Inseln leben. Es mag, wie schon oben gesagt wurde, vielfach Verärgerung und Verbitterung'die Ursache sein — es ist aber in vielen Fällen auch Selbstsucht und Ueberheb-lichkeit.

Zuletzt ein paar Worte an die jungen Volksbildner und Jugendführer — an und mit ihnen seit Jahren erfahren: Weniger Diskussion — mehr Konzentration, weniger extemporieren — mehr studieren, weniger Planung auf Jahrzehnte — mehr Planung auf Wochen, weniger über die Krise debattieren

— mehr versuchen, sie zu lösen, weniger Illusion — mehr Wirklichkeit, weniger suchen — mehr versuchen, weniger die anderen — mehr du, weniger tierischer Ernst — mehr menschliche Heiterkeit, weniger Hinterhalt — mehr Front, weniger Lärm — mehr Stille, weniger Essenzen — mehr Essenz, weniger Wahrheiten — mehr Wahrheit!

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