Neues Schuljahr: Ein Ringen um Stunden
Für Religionslehrer(innen) ist der Schulbeginn geprägt von Eigenwerbung, Abmeldungen und Selbstzweifeln. Religion wird dabei zum Pars pro Toto für die Fehler im System.
Für Religionslehrer(innen) ist der Schulbeginn geprägt von Eigenwerbung, Abmeldungen und Selbstzweifeln. Religion wird dabei zum Pars pro Toto für die Fehler im System.
Jede Stunde in einer anderen Klasse, ein neues Zur-Schau-Stellen der eigenen Fähigkeiten und Leistungen, aufs Neue die zweifelnde Frage: „Habe ich mich gut genug verkauft?” Am Ende des Tages sind die Stimmbänder belegt, das Sprechen wird anstrengend, der Kopf rauscht. So schildern Religionslehrer(innen) durchwegs, wie sie die erste Schulwoche erleben. Wie keine anderen Lehrkräfte müssen sie Werbung für sich und ihr Fach machen. Der erste Freitag im Schuljahr ist für sie ein Schlüsseltag. Wie viele Stunden sie am Ende unterrichten, hängt davon ab, wie viele Schüler(innen) von ihrem Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht Gebrauch machen.
Eine Sympathie-Lotterie
An den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) waren das im vergangenen Schuljahr 21 Prozent jener Jugendlichen, die den römisch-katholischen Unterricht besuchen hätten können. An den AHS-Oberstufen waren es 15,8 Prozent und im Pflichtschulbereich wurden 3,1 Prozent der Schüler(innen) vom katholischen Religionsunterricht abgemeldet. Zahlen, die laut Andrea Pinz, Leiterin des Schulamtes der Erzdiözese Wien, in den letzten zehn Jahren „relativ konstant” gewesen sind. Den österreichweit rund 10.000 abgemeldeten Pflichtschülerinnen- und -schülern würden zudem 20.000 Kinder und Jugendliche ohne Bekenntnis gegenüberstehen, die freiwillig am katholischen Religionsunterricht teilnehmen.
Das im vergangenen Schuljahr in den Oberstufen eingeführte verpflichtende Fach Ethik, das im Falle einer Abmeldung von einem Religionsunterricht gewählt werden muss, habe sich nicht negativ ausgewirkt. In der Erzdiözese Wien sei die Zahl der Religionsschüler(innen) sogar um 5,6 Prozent, das sind rund 150 Jugendliche, gestiegen. Pinz folgert: „Niemand muss um Stunden zittern.”
Das Zittern greift im Alltag aber weiter, als genügend Stunden zu haben. „Ich kenne keine Religionskollegen, die zu Schulanfang kein mulmiges Gefühl haben”, erklärt Robert Kamper. Der Theologe hat jahrelang an BHS- und AHS-Oberstufen im südlichen Niederösterreich katholische Religion unterrichtet, ist Experte für Peer-Mediation und in der Lehrer(innen)-Ausbildung an der PH Baden tätig. Die Abmeldung vom Religionsunterricht hat für ihn weniger mit dem Fach als mit den handelnden Personen zu tun. Daran habe auch die verpflichtende Alternative Ethik nichts geändert. Was Ethik von Religion strukturell unterscheide, sei die Herangehensweise. „Mit Ethik kann man sein Stundenkontingent füllen, mit Religion funktioniert das nicht”, sagt Kamper.
Wie viele Abmeldungen es gibt, entscheidet am Ende darüber, an wie vielen Schulen die jeweiligen Religionspädagogen unterrichten müssen, um ihre Lehrverpflichtung zu erfüllen. Dadurch entsteht ein interner Wettbewerb mit Kolleg(inn)en. Lehrkräfte kleinerer Religionsgemeinschaften trifft das besonders. Abgewählt zu werden, sei eng verbunden mit dem Gefühl des persönlichen Scheiterns. Kamper schildert Kollegen, die dazu auffordern „gescheit zu unterrichten” – und Jugendliche, die offen die fehlende Sympathie bekunden.
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