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Nicht Almosen: Gerechtigkeit für die Familie!

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Man spricht seit einiger Zeit in maßgeblichen politischen Kreisen von einem bevorstehenden „Familienlastenausgleich“.

Nicht für alle Familienlastcn ist ein Ausgleich möglich, sondern nur für die wirtschaftlichen Lasten. Unter diesen ist der Ausgleich auch für die finanziellen Lasten geplant. Es handelt sich also um einen Ausgleich, der auf ein kleines Teilgebiet der ' Familienlasten beschränkt bleibt, aber auch in dieser Beschränkung von größter Wichtigkeit, Tragweite und Dringlichkeit ist; ein Ausgleich, der den notleidenden Familien nicht Almosen, sondern nur die seit langem vorenthaltene Gerechtigkeit bringen soll, nach Jahren der Uebersteuerung und Zurücksetzung durch familienfeindliche Gesetze.

Unter einem finanziellen Lastenausgleich kann man vernünftigerweise nur einen Ausgleich zwischen den finanziell überbelasteten Familien und den finanziell weniger belasteten Kinderlosen verstehen. Es muß sich somit um zwei verschiedene Kreise von Einkommensempfängern handeln, welche einerseits die Mittel für den Lastenausgleich a u f-bringen und welche anderseits aus den aufgebrachten Mitteln Beihilfen empfangen sollen. Jede andere Art des Ausgleichs, etwa daß die kinderreichen Familien selbst in ihrem Kreise ihre ohnehin zu geringen wirtschaftlichen Mittel untereinander ausgleichen sollen, wäre sinnlos und wird wohl auch nicht beabsichtigt sein. Es gilt daher nur, darüber zu wachen, daß dieser angedeutete sinnlose und auch nicht beabsichtigte Ausgleich für einen auf die kinderreichen Familien beschränkten Kreis nicht etwa auf dem Wege verpfuschter Gesetzesbestimmungen doch noch Wirklichkeit werde. Mit änderen Worten: Es gilt darüber zu wachen und vorzubeugen, daß die kinderreichen Familien nicht etwa zu Zahlern gemacht werden, sondern daß sie Empfänger und nur Empfänger bleiben. Dieser Zweiteilung des Empfängerund Zahlerkreises entsprechend sollen die nachfolgenden Ausführungen gegliedert werden.

Seit einigen Jahren gibt es „Kinderbeihilfen“. Sie wurden zwar nicht mit der Absicht eines Familienlastenausgleichs eingeführt, sondern nur als Lohnbestandteil im Zuge eines unserer überstandenen Lohn-Preis-Abkommen, aber sie haben in den wenigen Jahren ihres Bestehens in der öffentlichen Meinung die Eigenschaft eines zwar schlechten, aber immerhin bestehenden Familienlastenausgleichs angenommen. Aus den Fehlern der gegenwärtigen Regelung ■ kann man für die bevorstehende Neuregelung vieles lernen.

Der Natur ihrer Entstehung als Lohnbestandteil nach gibt es bis jetzt Kinderbeihilfen nur für Empfänger von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Die bevorstehende Neuregelung wird die Beihilfefähigkeit nicht mehr auf die Art des Einkommens einschränken dürfen, sondern nur nach der Höhe des Einkommens und nach der Anzahl der Familienangehörigen staffeln oder begrenzen. Denn für die Notlage einer Familie ist es gleichgültig, ob der Familienvater seine Einkünfte aus Lohneinkommen oder Gewerbebetrieb oder Landwirtschaft oder als freischaffender Künstler bezieht. Maßgeblich für die mehr oder minder große Notlage ist die Höhe des Einkommens und die Anzahl der Kinder. Die kinderreichen Familien in den Kreisen der kleinen Bauern und der kleinen Gewerbetreibenden haben es schon bisher als Härte und Ungerechtigkeit empfunden, von der Kinderbeihilfe ausgeschlossen zu sein, während die benachbart wohnenden Lohn- und Gehaltsempfänger, die zumeist sogar besser situiert sind, die Beihilfen beziehen. Daher setzte in den letzten Jahren schon eine Flucht der Selbständigen (auch der selbständigen Kleinbauern) in ein unselbständiges Arbeitsverhältnis ein, um für die Kinder die Beihilfen zu bekommen. Auch die Vortäuschung von nichtbestehenden Arbeitsverhältnissen war ein nicht selten begangener Ausweg. Wenn alle Berufsstände zur Aufbringung der Mittel verhalten werden, so sollen auch alle Familien in den Genuß der Beihilfen kommen, die einer Beihilfe bedürftig sind.

* Vgl. von demselben Verfasser „Familienfeind Nr. 1“. ..Furche“ vom 8. August 1953, und ..Besteuert nicht die Not der Familie“ vom 29. August 1953.

Es ist ein mathematisches Gesetz, daß der auf jedes Familienmitglied entfallende Anteil am Familieneinkommen um so kleiner wird, je mehr Familienmitglieder vom gemeinsamen Familieneinkommen versorgt werden müssen. Dieses Gesetz vom sinkenden ProKopf-Einkommen bei steigender Kinderzahl bedingt eine progressive Steigerung der Kinderbeihilfen mit zunehmender Kinderzahl.

Das Ziel des Familienlastenausgleichs soll es sein, das Einkommen der Kinder-Familien wenigstens annähernd auf den Stand des Existenzminimums zu bringen. Sicherlich kann man es wagen, die Höhe der Kinderbeihilfe um je 20 bis 25 S monatlich zu steigern, sooft sich die Anzahl der Kinder um eines vermehrt. Etwa nach folgendem Vorschlag:

Höhe der

Anzahl der Kinder monatlichen Beihilfe

pro Kind

1 Kind S 105.—

2 Kinder je S 125.—

3 Kinder je S 150.—

4 Kinder je S 175 —

5 Kinder je S 200.—

6 Kinder je S 225.—-usw. um je S 25.— mehr, bei steigender Kinderzahl.

Die Sorge, daß dadurch etwa eine Art „Geburtenprämie“ entstehen könnte, wenn eine

Familie eine besonders zahlreiche Kinderzahl aufweist, ist überflüssig. Denn das Existenzminimum beträgt auch für Kinder mehr als 400 S monatlich, so daß auch bei den oben vorgeschlagenen progressiven Sätzen die Kinderbeihilfe noch keineswegs ausreicht, um das Kind ernähren, kleiden und betten zu können. Wenn man noch dazu, wie im folgenden Punkt 3 zu besprechen, eine Obergrenze für den Beihilfenbezug schaffen würde, dann wäre jede Gefahr, daß sich eine Familie auf Kosten der Kinder etwa bereichern könne, völlig ausgeschlossen.

Am allerwenigsten braucht man sich Sorge zu machen, daß eine solche progressive Steigerung der monatlichen Beihilfesätze über Nacht zu große Mittel beanspruchen würde. Es scheint zwar für die einzelne Familie, wenn sie zahlreiche Kinder hat, viel zu sein, was sie monatlich bekommen soll. Aber leider gibt es in Oesterreich gar nicht mehr viele kinderreiche Familien, denn Oesterreich besitzt den traurigen Vorzug, hinsichtlich des Geburtenrückganges an der Spitze sämtlicher Länder der ganzen Erde zu marschieren. Familien mit fünf oder mehr Kindern existieren in Oesterreich nach amtlichen Schätzungen nur mehr rund 16.100. Die Beihilfcn-höhe von monatlich 200 S würde erst bei fünf Kindern erreicht.

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