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… nicht vom Brot allein

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Vorarlberg, seit 1945 durch Heiß, Glück und die Gunst seiner geographischen Lage zu außerordentlichem Wohlstand gekommen, steht heute vor der Aufgabe, die sozialen und kulturellen Aenderungen, die sich aus den neuen Lebensbedingungen, dem Strukturwandel in der Bevölkerung und den Folgeerscheinungen des Fremdenverkehrs ergeben haben, als ein Gefüge zu stabilisieren, das von alten Traditionen weit entfernt ist und doch von ihnen ausgegangen ist.

Die bäuerliche Prägung der Vorarlberger Landeskultur, die auch die aus dem Bauerntum stammende industrielle Bevölkerung bestimmt hat, hat die alte Hegemonie verloren, wenn auch der Bregenzerwald mit seinen lebendigen Erinnerungen an die nahezu souveräne Eigenständigkeit der freien Bauern noch immer ein kräftiges Symbol des Vorarlbergischen ist und in Landesregierung und Landtag die Bauerngerechtsame wesentlich, ja entscheidend ist. Auf der anderen Seite steht der große Textilindustrielle, der stolz darauf ist, noch als Hobby den alten Bauernhof zu bewirtschaften, aus dem seine Familie hervorgegangen ist, und der neben seinen musterhaften Betrieben in Dornbirn auch Tochterwerke in Südafrika oder Südamerika leitet. Diese Kontinuität hat Sich gegenüber der sehr raschen Industrialisierung als besonders wertvoll erwiesen, weil sie einerseits das Land vor den Erschütterungen durch ein akutes Spekulationsfieber bewahrt hat und anderseits in der Idee von der Freiheit im persönlichen Besitztum dem Arbeiter ein Lebensbewußtsein gegeben hat, das ihn nicht quantitativ, sondern qualitativ dem Unternehmer gleichstellt, zumal beide die gleiche Mundart sprechen, wenn auch im gemeinsamen Interesse der Anteil des eigenen Interesses eifersüchtig nach allen Seiten hin gewahrt wird. Das Verdienst des Landeshauptmannes 11 g und des Landesfinanzreferenten Vögel an dieser sozialen Evolution ist unbestritten, weil sie konsequent gegen andere Meinungen durchgesetzt worden ist. Es wäre indes verfehlt, die natürlich entstandenen Widersprüche zu überhören.

Wie gegenüber dem Bauerntum die Industrie und die Vorarlberger Energiewirtschaft den Wohlstand bestimmt haben, so ist auch eine Generation herangewachsen, die in der ererbten Bodenständigkeit eher nur einen Vorrang bei der Eingliederung in den Erwerbsprozeß vor den nicht weniger fleißigen Zugereisten aller Art sieht und in ihren zivilisatorischen — der Ausdruck „kulturell” stimmt hier wohl nicht — Bedürfnissen sich mit dem Durchschnitt des Kino- und Illustriertenstandards begnügt, wie es ja nun leider auch in der Großstadt der Fall ist, so daß es wirklich keinen Unterschied ausmacht, ob ein Wildwestfilm mit alemannischen oder wienerischen Prädikaten bedacht wird.

In Vorarlberg wie anderswo ist der Mangel an schöpferischer Tätigkeit bei der jüngeren Generation unverkennbar; abstrakte Bildungsinteressen finden immer weniger Widerhall. Dagegen vermögen auch die Aktivität des Katholischen Bildungswerkes und der amtlichen Kulturreferate von Stadt und Land lediglich Teilerfolge zu erzielen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Landespressereferent, Dr. Hans Huebmer, als wirklich österreichischer Polyhistor, in die politische und wirtschaftliche Entwicklung Vorarlbergs bestimmend eingreift und damit wesentlich zur Formung der intellektuellen Struktur des Landes beiträgt. Ob die bneite Masse der jungen Vorarlberger Individualisten davon berührt wird, muß leider dahingestellt bleiben. Im übrigen wirkt auf die kulturelle Verflachung eine Wohnungsnot nicht wie anderswo zerstörend; es ist vielmehr die Uebersteigerung des materiellen Gewinnstrebens, das lediglich den wirtschaftlichen Wohlstand, vor allem das eigene Haus, als Grundlage der sozialen Bewertung gelten läßt. Für dieses Ziel arbeiten — auch darben — Mann, Frau und Kinder, so daß kaum Zeit zur Besinnung bleibt. Die Schichte der nicht ausschließlich wirtschaftlich tätigen Intellektuellen ist nicht zu klein, und ihre Angehörigen hüten sich auch zumeist, für ein brotloses Wissen Anerkennung zu verlangen. Die sehr erheblichen Beiträge der Regierung für die Landeskultur, etwa die großzügige Erneuerung der schönen Landesmuseen, teure Restaurierungen, Theatersubventionen usw., werden nur am Rande und als ziemlich uninteressant zur Kenntnis genommen, wie man auch die ausgezeichneten Schul- hausbauten als selbstverständlich hinnimmt. Wichtiger ist in der öffentlichen Meinung der Neubau einer Strumpffabrik im Oberland und dergleichen mehr. Diesem wenig befriedigenden Zustand stehen außer den schöpferischen Leistungen in der Wirtschaftsorganisation sehr gute Arbeiten der einheimischen Architekten gegenüber, so besonders die künstlerisch voll befriedigenden Bauten der Vorarlberger 111- werke, die wenig Vergleichsobjekte haben dürften.

Auch in Vorarlberg besteht die große Gefahr, daß die materielle Kultur überschätzt wird und daß man anderseits das Errungene als zu selbstverständlich anschaut. Aus mißverstandener Erwarbstüchtigkeit wird vielfach der sich daraus ergebenden seelischen und geistigen Verflachung Vorschub geleistet. Ueberschätzung des- Wohlstandes führt-aber zb einer gewissen SelbsrübefheblicMceit. Eine konkrete Haltitng im Geistigen wird dagegen zu etwas Befremdlichen, sofern sie nicht mit ein paar Schlagworten ausgedrückt werden kann und auch für gedankenloseste Gemüter als leicht verdauliche Kost serviert wird. Schuld daran sind aber weniger die Leute, die selbst nicht zur schöpferischeri Arbeit berufen sind, sondern jene verhängnisvollen Halbgebildeten — auch solche mit dem Doktortitel die aus Erwerbsgründen annehmen, das Simpelste sei für das Volk gerade gut genug und trage zu ihrer vermeintlichen Beliebtheit bei. Und wenn „Der blutige Pantoffel auf der Friedhofsmauer” läuft, stauen sich die Halbstarkenmassen vor den Kinos. Wer aber an die Folgen dieser Leichtfertigkeit denkt, scheint vorerst der Dumme zu sein. Ehrlich gemeinte Kritik zieht das Anathema derjenigen nach sich, die für den Fremdenverkehr die Kultur engagieren, Trachten aufmarschieren lassen und die ein stets fröhliches Völkchen harmlos geldgieriger Zimmervermieter markieren. Von der Vergangenheit will man nichts wissen, weil das eine zwecklose Belastung darstellt, und das offizielle Bekenntriis zum Vaterland überläßt man den politischen Mandataren, die dafür ja ein steuerfreies Einkommen beziehen. Selber hat man Wichtigeres zu tun.

Aber das ist nicht allein in Vorarlberg so, und deshalb darf man sagen, daß die Menschen im Ländle auch nur Kinder ihrer Zeit sind, die in der Konjunktur keine ruhige Stunde für eine Gewissenserforschung haben.

Aber dies sind äußere Erscheinungen. So bedrückend sie sein mögen: wer durch das unter dem hellen Sommerhimmel leuchtende Rheintal zum Bodensee fährt, sieht zwischen den fruchtschweren Bäumen immer wieder in den blitzsauberen Siedlungen Kirchenneubauten, und von den alten Türmen der Marienburg Rankweil, der meist karolingischen Dorfgründungen, der Bergkirche Bildstein bis nach Bregenz klingen immer noch die Glocken zum Lobe des Herrn. Es ist schön, daß die Mehrheit das Beten noch nicht verlernt hat.

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