6733355-1966_09_04.jpg
Digital In Arbeit

Nichtzutreffendes ist zu streichen

Werbung
Werbung
Werbung

Ob das denn überhaupt noch möglich, ob das denn nicht schon längst abgeschafft ist? Kann man denn überhaupt noch Reihungen und Streichungen vornehmen, steht man einmal in der Wahlzelle? Man kann sehr wohl. Nur wissen es die wenigsten. Daran zu erinnern, haben sich verschiedene Komitees vorgenommen, spontan zusammengetretene Teams vor allem junger Wähler, die ihrer Unzufriedenheit mit den Kandidatenlisten auf immerhin gesetzlich festgelegte Weise Ausdrück verleihen wollen.

Diese eher unangenehme Erinnerung an die Rechte des Wählers kennzeichnet im Augenblick die politische Situation in der Bundeshauptstadt, während der Wahlkampf keuchend der Zielgeraden zustrebt. Das Unbehagen, das durch mögliches Reihen und Streichen auf der Kandidatenliste entstanden ist, hat vor allem die Wiener Landesparteiorganisation der österreichischen Volks- partei ergriffen, die plötzlich die scheinbar sicheren Sitze bewährter Abgeordneter durch die Reih- und Streichaktion wackeln sieht.

An der Spitze dieser Aktion, die sich anscheinend spontan gebildet hat, stehen Namen, deren Träger schon einmal, in Sachen Hochschulreform, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gestanden sind und diesem steckengebliebenen Karren neuen Schwung zu geben vermochten. Über den Umfang, den diese Aktion bereits erreicht hat, ist natürlich noch nichts bekannt, doch steht immerhin fest, daß sich die Bestrebungen der originellerweise „Jungtürken” genannten Gruppe vor allem gegen den Polizeioberst Hartl und gegen den ehemaligen Fraktionsobmann der christlichen Gewerkschafter im öffentlichen Dienst, Gabriele, richten, dem seine Beamtenkollegen gelegentlich mangelnde Aktivität vorgeworfen haben.

Hoffnungsgebiet Wien

Wien hat bisher als „Hoffnungsgebiet” der ÖVP gegolten, wozu die Ergebnisse der letzten Bundespräsidentenwahl immerhin- einigen Anlaß geböten ’haben. So war auch anzu- nehmen, daß dieses Hoffnungsgebiet durch Nominierung einer Reihe attraktiver junger Kandidaten aufgewertet würde, die dem erträumten Appeal eines Volksparteiabgeordneten nahekommen. Mit Ausnahme von Dr. Felix Hurdes, dessen „Rücktritt” sicherlich in anderer Form hätte erfolgen können, ist das schließlich nominierte Team vo - kommen gleichgeblieben, was freilich anderseits auch wieder nicht verwundert, da in einer demokratischen Partei die Nominierung der Kandidaten eben nicht zuletzt von der unteren Ebene der Parteiarbeit aus erfolgt, einer Ebene, der — ungleich überlieferter Traditionen — eben jene „Jungtürken” durchaus abhold sind: Immer noch wird man heuite Kandidat für einen Abgeordnetensitz über die Sprengel-, die Sektion - zur Bezirksebene …

Eine Studie der KSÖ, die im Informationsdienst der Katholischen Sozialakademie veröffentlicht wurde, durchleuchtet die Chancen der Völkspartei in den Wiener Wahlkreisen und stellt fest, daß die Hoffnungen, in Wien Stimmen zu gewinnen, möglicherweise fraglich sind. „So begrüßenswert es auch ist, daß der Kanzler diese Tatsache durch seine Kandidatur ausgleichen will, bezweifelt man doch, ob mit der Verdrängung von Dr. Hurdes und der Beibehaltung der alten Garnitur eine tiefgreifende und positive Wandlung geschaffen ist”, stellt die Studie abschließend fest.

Wahlschlager Olympia

Wahlschlager lokaler Art gibt es für die Wiener Sozialisten genug: Die Olympischen Spiele etwa, die eine nicht unbeträchtliche Menge Platz in den ausschließlich für Wien bestimmten Werbemitteln einnehmen. Oder die Grundsteuerregelung, die freilich ein gern benütztes Kampfinstrument beider Parteien in diesem Wahlkampf ist.

Im Wahlkreis 1 stehen einander Aug’ in Aug’ Bundeskanzler Doktor Klaus und Diplomingenieur Waldbrunner gegenüber. Auffallend bei der Durchsicht der Kandidatenliste ist die Tatsache, daß für die Sozialisten sehr viel mehr weibliche Kandidaten nominiert wurden als bei der ÖVP: Rosa Weber, Dr. Stella Klein-Löw, Rosa Jochmann, Doktor Hertha Firnberg, Gertrude Wondrack und Hella Hanzlik steht Grete Rehor gegenüber, die als einzige ÖVP-Kandidatin die 56 Prozent weiblicher Wähler zu vertreten sucht, wobei Österreichs Wählerinnen traditionell trotzdem eher zur „bürgerlichen” Partei tendieren. Bemerkenswert ferner die Tatsache, daß die Altersgrenze auch die Wiedernominierung dreier erfahrener Parlamentarier, von denen einer, Karl Holoubek, bereits in der Partei der Ersten Republik eine Funktion ausgeübt hat, nicht mehr möglich gemacht hat. Außer Holoubek scheiden noch aus dem parlamentarischen Leben Karl Mark und der Rentenfachmann Robert Vhlir.

Die Freiheitlichen haben die Führung der Listen im Wahlkreis 1 und im Wahlkreis 2 wiederum Doktor van Tongel und Dr. Broesigke übertragen. Die beiden Wiener Kommunalpolitiker Dr. Schmidt und Dr. Hirnschall treten erstmals als Spitzenkandidaten im Wahlkreis 3 und im Wahlkreis 6 auf, während ein „Mann aus dem Lehrerstand, der beste freiheitliche Schultradition verkörpert” („Neue Front” vom 5. Februar dieses Jahres), der Mittelschullehrer Prof. Dr. Wolfram, im Wahlkreis 7 kandidiert. Gemeinderat Karl Peter und Arbei- terkammerrat Anton Böhm führen in den Wahlkreisen 4 und 5 die Listen an.

Die Kommunisten, die ja nur im Wiener Wahlkreis 4 kandidieren — den Bezirken Leopoldstadt, Brigittenau, Floridsdorf und Donaustadit —, entfalten eine heftige Aktivität. Vor allem in persönlichen Gesprächen sollen die Wähler über die Ziele der KPÖ unterrichtet werden: Darüber, daß Franz Muhri ins Parlament einziehen soll, aber auch zur Erklärung, warum die Wahlempfehlung für die Sozialisten ausgegeben wurde. Anknüpfungspunkt dieser Hausgespräche ist fast immer das kommunistische Parteiorgan, das seit Wochen kostenlos an viele Wähler versendet wird. In einer der vier Broschüren, die im Wahlkreis 4 hauptsächlich an Sozialisten verteilt werden, heißt es trocken: „Ein Kommunist im Parlament wird den Sozialisten den Rücken steifen…”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung