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Nochmals: Um die Lehrerbildung

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Um Weg und Ziel der Reform der Lehrer bildung wogt, wie es bei einer so wichtigen Aufgabe und Berufsausrüstung des österreichischen Volkserziehers nicht anders sein kann, ein lebhafter Meinungsaustausch, der nach allen Seiten hin Klärung verspricht. Gegenüber den Auffassungen, die kürzlich in der „Furche“ durch einen Aufsatz des Herrn Dr. O. V i c e n z i vertreten werden, steuert der Verfasser des nachstehenden Aufsatzes aus anderer Schau wertvolle sachliche Argumente zur Debatte bei. „Die Furche“

In der Meinung, daß die Frage der Lehrerbildung eines der wesentlichen Probleme, wenn nicht das Problem der Schulreform ist, stimmen alle Fachkreise überein, ebenso in der Beurteilung der bedauerlichen „Sericnherstellung von Lehrern in verschiedenen Abschluß- und Umschulungs-kursen“, deren Bedenklichkeit ich aus nunmehr zweijähriger Erfahrung bestätigen kann. Das gilt, so seltsam es erscheinen mag, insbesonderj für die Kandidaten der „Um-schulungskurse“. Sie besitzen im günstigsten Falle ein „Rifezeugnis der Mittelschule“ oder einen „Reifevermerk“, manchmal sogar bloß den Ausweis über einen Lehrgang, den sie während ihrer Luftwaffenhelfer-dienstzeit besucht haben. Wie sehr diese Umstände schon zur Vorsicht zwingen, bedarf keiner ausführlichen Begründung. Folgte aber der achten oder bloß siebenten Klasse der Mittelschule ein mehrjähriger Militärdienst, so kann auch ein dem Lehrfache Fernestehender ermessen, wie wenig Wissen, abgesehen vielleicht vom Lieblingsfach, jjbriggeblieben ist. Immerhin dürfen wir nicht diesen durch die Nachkriegsverhältnisse bedingten, sondern den Dauerzustand als das Entscheidende ansehen, der im gegenwärtigen Lehrerseminar mit seinen an die ersten acht. Schuljahre anschließenden vollständigen fünf Schuljahren sich uns darstellt.

Gegenüber der Kritik, daß die heutige Anstalt, die doch eine b e r u f s bildende Schule ist, die fachliche Vertiefung der künftigen Lehrer um der Ebenbürtigkeit mit der Mittelschule willen vernachlässige, verwe|se ich auf die klaren Ausführungen des Sektionsrates Dr. Heinrich Peter in der „Furche“ und füge die Erinnerung hinzu, daß der amtliche Lehrplan für die Fächer Pädagogik, Psychologie und Praktische Übungen im dritten Jahrgang vier, im folgenden acht und im fünften und letzten Jahrgang zehn Wochenst'unden vorschreibt. Wer, wie ich, die Lehrerbildungsanstalt absolviert und nach langen Jahren des Dienstes als Pflichtschullehrer an der Wiener Universität die Lehramtsprüfung abgelegt hat, konnte sozusagen am eigenen Leibe die an beide Lehrerkategorien gestellten Anforderungen und auch die Ergebnisse beider Ausbildungsarten kennenlernen: der Vergleich fällt nicht zu Ungunsten des Brrufsethos und der Erfolge der Pflichtschullehrer aus!

Nur der Vollständigkeit halber sei festgestellt, daß es an der heutigen Lehrerbildungsanstalt “diultage mit zehn Unterrichtsstunden nicht gibt Wenn zum Beispiel ein Jahrgang im Musikunterricht an einem Tage} vier Stunden Orgel hat, dann ist das so zu verstehen, daß vier Orgelgruppen gebildet werden, deren jede eine Pflichtstunde Unterricht hat. Richtig ist allerdings, daß drei moderne Fremdsprachen gelehrt werden, doch ist nur eine Pflichtgegenstand, die anderen sind Wahlfk'cher.

Wichtiger aber als alle Einzelheiten, mögen sie an sich noch so bedeutsam sein, erscheint, uns das Gesamturteil über die bisherige und gegenwärtige Lehrerbildung, das bei gerediter und sachlicher Wertung ohne Zweifel günstiger ausfallen wird, als die Kritik es vermeint. Ganz gewiß aber kann man diese Bildung nicht als ein Kuri-osum bezeichnen, wenn auch noch lange nicht behauptet werden darf, daß der angestrebte Idealzustand erreicht sei. Maßgebend ist hier, darüber kann es keinen Streit geben, das Format der Lehrerbildner-Persönlichkeiten, deren Hände den Berufsnachwuchs zu formen hatten und haben. Ein Blick auf Wien genügt. Die Wiener Anstalten weisen eine Reihe von Professoren auf, die in der Geschichte unseres Schulwesens Ehrenplätze einnehmen und vielfach aus' dem Stande der Volkssdiullehrer hervorgegangen sind. Ich nenne Dr. Kolar, den Altmeister des Elementarunterrichtes, Bernhard Merth, den Großmeister der Deutschmethodik, Öoktor H. Güttenberger, den bedeutenden Geographen und feinsinnigen Schilderer der österreichischen Heimat, Sektionschef Doktor Battista, dessen „Großstadtheimat“ 1918 einen neuen Abschnitt des heimatkundlichen Unterrichtes einleitete, dann Dr. Rudolf Hornich, der als Lehrerbildner und als geistvoller Mitarbeiter der Leo-Gesellschaft unvergessen ist. Und die Ergebnisse ihrer Erzieher- und Bildnerarbeit? Auf die im politischen Leben hüben und drüben — wie auch im sozialistischen Lager Altbürgermeister Seitz und Präsident Glöckel — zu großer Geltung gekommenen Lehrer, sei an dieser Stelle nur flüchtig verwiesen und mit Nachdruck hervorgehoben, daß nicht leicht einem anderen Stande ein so geradezu unbändiger Drang nach Fort- und Weiterbildung innewohnt, wie der Volksschullehrerschaft. Man sehe einmal die Liste der Bildungsveranstaltungen der Wiener Katholischen Lehrerschaft durch! Man blättere in den Heimatkunden der verschiedenen Bezirke! Immer wieder findet man Lehrer als Vortragende und als sachkundige Autoren. Natürlich schweigen wir in heimlichem Stolze von Genies, wie den beiden „Schulgehilfen“ Franz Schubert und Anton Bruckner oder dem Leopoldstädter Volksschullehrer Ludwig Boltzmann. „Ein Werdender wird niemals fertig“: freuen wir uns, daß unsere Pflichtschullehrerschaft zu diesen Werdenden gehört. Und dankbar sind wir Dr. Vicenzi für den Hinweis auf die Fiktion, als ob es eine „freie“, richtiger religionsfreie und fruchtbringende Erziehung gäbe. Darüber hat Dr. A Ehrmann in der „Furche“ vom 15. Februar 1947 alles Nötige gesagt! —

Um der Einheit, dieser dem Lehrstande so nötigen Tugend willen, sollen wir Lehrer aller Grade bedenken, daß es heute gilt, das Notwendige zu sehen und danach' zu wirken' Unsere mißbrauchte, seelisch, geistig und physisch unterernährte Jugend braucht vor allem Pestalozzi-Naturen, die in und außer der Schule wohl auch mit der Kraft des Geistes, vor allem aber mit der Kraft des opfernden Willens und gedrängt von der Liebe zur Jugend ihr Bestes schenken!

Jede Lehrerausbildung ist immer wieder erneuerungsbedürftig, weil sie — gleich der des Priesters und des Arztes — Schritt halten muß mit ihrer Zeit. Wie sdirieb übrigens Goethe am 31. März 1784 an F. H. Jacobi? „Wir sollten miteinander Mitleid haben!“

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