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Notstand im Hochschulwesen

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Das Wort von der Kulturmission Österreichs ist beinahe schon zu einem Gemeinplatz geworden. Volle Ubereinstimmung besteht darüber, daß Österreich, soviel es auch materiell durch zwei große Kriege ent-gütert worden ist, aus seinem großen geistigen Besitz noch immer die Anwartschaft auf Erholung seiner Lebenskraft, auf Geltung unter den Völkern und Staaten erhoffen kann. Freilich, auch dieser Besitz ist ein Gut, das nicht unerschöpflich ist, das der Pflege bedarf, ein Gut, das vom Blut und Leben abhängt, nicht einer bloßen Nachzahlung bedarf, wie ein Scheckbuch oder eine Versicherungspolizze. Man sollte glauben, es sei überflüssig darüber zu reden. Aber es ist nicht so. Es ist erstaunlich, wie wir mit der Pflege dieses Gutes umgehen und wie wenig wir für sein Fortdauern in die Zukunft sorgen.

Unsere Bildungs- und Forschungsinstitute und wissenschaftlichen Werkstätten sind jene Einrichtungen, von denen die künftige Leistung Österreichs in allen Räumen geistiger Arbeit, die Befruchtung aber auch der materiellen Kultur vornehmlich abhängen wird. In dem wissenschaftlichen Betrieb unserer Hochschulen sind in den letzten zwei Jahren viele Lücken wieder aufgefüllt worden. Aber kein Kenner der Verhältnisse wird leugnen, daß noch viel zu tun ist, wollen wir an unseren Hochschulen in fachlich-wissenschaftlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf Charakter und Geisteshaltung jenes hohe Niveau sicherstellen, das vor allem durch entsprechende Qualität des Lehrkörpers zu erreichen ist. Dazu sind auch materielle organisatorisdie Voraussetzungen notwendig, die zu einem wesentlichen Teil noch nicht erfüllt sind. Hier soll die Problematik der HfcO chschulassistenten und wissenschaftlichenHilfskräfte erörtert werden.

Der Hochschullehrkörper gliedert sich in ordentliche Professoren (Ordinarien), außerordentliche Professoren (Extraordinarien), Assistenten und wissenschaftliche Hilfskräfte. „Dozenten“ sind im allgemeinen in dienstrechtlicher Beziehung Assistenten.

Indessen den Professoren die wissenschaftliche Führung und der Lehrbetrieb obliegt, fällt den Assistenten die Abhaltung der Übungen und die Betreuung der Laboratoriums- und Institutsarbeit mit deren vielfachen Aufgaben zu; auch kommt ihnen ein Anteil an der wissenschaftlichen Forschung oder künstlerischen Entwicklung zu; tüchtige wissenschaftliche Leistung wird für sie die Voraussetzung einer akademischen Laufbahn bilden. Die Wertung der Assistenten findet in der gesetzlichen Bestimmung „Assistenten sind Bundeslehrpersonen Öffentlichen Rechtes“ ihren Ausdruck.

Der Professor ist für den Studierenden als wissenschaftliche Autorität und Persönlichkeit Vorbild und Führer; Sache des Assistenten und der wissenschaftlichen Hilfskraft ist es hingegen, dem Studenten bei der wissensdiaftlichen Kleinarbeit und der praktischen Anwendung des Lehrstoffes, wichtige Voraussetzungen für das geistige Bauwerk des jungen Menschen, entgegenzukommen. Es spricht der noch junge Lehrer zum jungen Studenten. Die pädagogische Bedeutung der fachlichen, aber auch mindestens ebenso der charakterlichcn und allgemein geistigen Qualität dieses Lehrers steht wohl außer Frage.

Neben dem Lehrbetrieb liegen die Aufgaben des Assistenten und der wissenschaftlichen Hilfskraft, in wissenschaftlicher Arbeit. Sei es zum“ Beispiel die Grundlagenforschung, in der gerade Österreich größt Erfolge in Vergangenheit und Gegenwart aufweist, sei es die angewandte wissen schaftliche Forschung, deren Ergebnisse entweder volkswirtschaftlichen Gewinn odei die Vermeidung volkswirtschaftlicher Verluste bedeuten. Zum Beispiel die Aus arbeitung volkswirtschaftlich ertragreiche! chemischer Verfahren oder die Entwicklung i/nllfcwirr!rhaftl!r.h(n Verlust vermeidende;Methoden der Materialprüfung werden nur durch intensive und organisierte wissenschaftliche Arbeit möglich. In unserem Zeitalter der wissenschaftlichen Erforschung und Entwicklung aller Lebensgebiete kommt solcher Arbeit immer größere Bedeutung zu. Es ist beim heutigen Stand der Wissenschaft dem Gelehrten nicht mehr möglich, ohne hochqualifizierte Mitarbeiter wissenschaftliche Arbeit in vollem Maße zu leisten.

Und doch ist es ein Kuriosum, wie tief wir den Hochschulassistenten im Schatten stehen lassen, der unserer studierenden Jugend im praktischen wissenschaftlichen Betrieb, in der Ausbildung als Arzt oder als Chemiker, als Pädagoge oder als Techniker, als Bibliothekar oder Künstler beistehen und der Helfer unserer Forscher sein soll. Ist er selbst daran schuld? Sein Beruf, in dem eine alte Tradition sich forterbt, und auch äußer-lidi die Isolierung seiner Schicksalsgenossen in verschiedenen Instituten, halten ihn davon ab, seine materiellen Sorgen in gleicher Weise wie andere Stände vorzutragen.

Die im Stellenplan vorgesehenen Assistentenstellen sind sehr knapp gehalten, so daß vielfach auch die Assistentendienste versehenden Kräfte dienst- und besoldungsrechtlich die Stelle einer „wissenschaftlichen Hilfskraft“ innehaben. So stehen zum Beispiel am germanistischen Institut der Universität Wien für eine Hörerzahl von 1000 Studenten eine wissenschaftliche Hilfskraft am Assistentenposten und zwei weitere wissenschaftliche Hilfskräfte zur Verfügung. An der Technischen Versuchsanstalt, vereinigt mit dem Institut für Baustoffkunde I an der Technischen Hochschule Wien, sind derzeit im experimentellen Einzelgruppenunterricht für 1670 Hörer fünf Assistentenstellen und fünf Stellen einer wissenschaftlichen Hilfskraft vorhanden, wobei dieses Personal außerdem die laufende Materialprüfung für Industrie und Gewerbe durchzuführen hat. Für den gleichen Aufgabenkreis steht in der Schweiz die Eidgenössische Materialprüfanstalt in Zürich mit mehreren Professorenstellen, etwa 15 Assistentenoder Hilf s kraftstellen und einem ausgebildeten Versuchspersonal zur Verfügung, wobei dort die Anzahl der zu unterrichtenden Studenten die Zahl 200 nicht überschreitet.

Die Besoldung der Assistenten auf Grund des Beamtenüberleitungsgesetzes beträgt derzeit je nach Dienstalter 300 bis 380 Schilling und nur durch Dozentur Höherqualifizierte erreichen schließlich die Höchststufe von 500 Schilling je Monat. Die B e-soldung von 1938 bis 1945 betrug für Ledige 342 bis 695 Reichsmark, für Verheiratete 445 bis 729 Reichsmark. Sie ist heute verschlechtert worden. Derzeit wird eine Familienzulage von 20 Schilling für Frau und je ein Kind gewährt. Ein Vergleich mit dem Gehaltsschema der Mittelschullehrer zeigt eine der Dienstzeit entsprechende B e s o 1 d u n g s s p a n n e von 316 bis 470 Schillingmonatlich, die jedoch weiter bis 870 Schilling ansteigt, wogegen der Hochschulassistent bei 500 Schilling monatlidi stehenbleibt und vielfach trotz entsprechender wissenschaftlicher Qualifikation, mangels freier Profcssorenstellcn oft jahrelang mit dieser Besoldung zufriedengestellt sein soll.

Eine Hauptursache für diese Verhältnisse liegt in dem Anstellungsverhältnis des Assistenten, welches eine Merkwürdigkeit darstellt. Die Bestellung erfolgt für zwei Jahre und muß jeweils nach zwei Jahren erneuert werden, wobei dem Dienstnehmer die Verpflichtung zu wissenschaftlicher Leistung auferlegt ist, und er außerdem einer gewissen Willkür der Institutsverhältnisse ausgesetzt ist. Pensionsanspruch besteht überhaupt nicht. Die dienstrechtliche Grundlage bildet das wieder in Kraft gesetzte Assistentengesetz vom Jahre 1934, in dem zum Beispiel in bezug auf die besonderen Pflichten und Rechte der Hochschulassistenten auf Durchführungsverordnungen verwiesen ist, die jedoch niemals erlassen wurden. Während also in dienstrechtlicher Beziehung kein auch nur annähernd beamtenähnliches Verhältnis vorliegt, erfolgt die Entlohnung nach den niedrigsten Sätzen des Beamtenschemas. Der Grundsatz des gerechten Lohnes kann zweifellos nach heutigen arbeitsrechtlichen Begriffen in dieser Rechtstellung des Hochschulassistenten als nicht erfüllt angesehen werden.

Eine „wissenschaftliche Hilfskraft“ (noch nicht Assistent) erhält derzeit an der Universität Wien ohne Doktorat 150 und m i t Doktorat 200 Schilling je Monat ohne Steigerung und bei gleichem ungünstigen Dienstrecht wie bei den Assistenten. Was diese Ziffern bedeuten, zeigt ein Vergleich: Der Stundenlohn für Schlosser betrug schon vor den letzten Erhöhungen im Baugewerbe S 2.10, für Monteure 2.35,für Hilfsarbeiter 1.73. Der Stundenlohn des Hochschulassistenten für 48 stündige Arbeitszeit je Woche beträgt bei 300 Schilling Monatseinkommen, S 1.50, beim Höchstgehalt des Dozenten S 2.50. Somit arbeitet der junge Hochschulassistent (heutiges Durchschnittsalter 30 Jahre und Familie) unter dem Hilfsarbeiterlohn. Das Lohnniveau des Facharbeiters lag also bisher schon weit über dem des Hochschulassistenten.

In Österreich bestehen derzeit etwa 500 bis 600 Assistcntenstellcn, das Reservoir für unseren akademischen Lehrernadiwuchs. Es ist nicht wünschenswert, daß aus ihnen von der Industrie und dem Ausland gerade die tüchtigsten Kräfte durch das An-gebotvielbessererLebensbedin-gungenherausgeschöpftwerden. Zweifellos pflegen junge Wissenschaftler für ihre Arbeit ein großes Maß von Idealismus und Opferbereitschaft mitzubringen, das so manchen schon abgehalten hat, aus seiner bisherigen fast ärmlichen Stellung hinaus-zufliehen. Aber es ist nicht erlaubt, auf diesen Idealismus des jungen Menschen zu sündigen. Werden die Gesetzgeber nach dem Rechten sehen, bevor schwerer Schaden angerichtet ist?

Hier Gereditigkeit und soziale Einsicht walten zu lassen, gehört auch zum Wiederaufbau der Heimat. Denn hier handelt es sich nicht um eine bloße Lohnfrage dieser oder jener Kategorie, sondern wie wir geistiges Erbgut verwalten.

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