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Nur der Wähler entscheidet!

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Man soll das Fell des Bären nicht verkaufen, ehe man ihn erlegt hat! Der offensichtlich mit aller Gewalt einsetzende Wahlkampf für 1970 wurde in den letzten Tagen in einer eigenartigen Weise eingeleitet. Der Präsident des Gewerkschaftshundes und sozialistische Abgeordnete Benya bekannte sich unter starker Publizitätswirkung zur Wiederherstellung der großen Koalition.

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Man soll das Fell des Bären nicht verkaufen, ehe man ihn erlegt hat! Der offensichtlich mit aller Gewalt einsetzende Wahlkampf für 1970 wurde in den letzten Tagen in einer eigenartigen Weise eingeleitet. Der Präsident des Gewerkschaftshundes und sozialistische Abgeordnete Benya bekannte sich unter starker Publizitätswirkung zur Wiederherstellung der großen Koalition.

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Benya ging dabei offensichtlich von der Annahme aus, daß die Mandatsdifferenz der beiden großen Parteien nach dem 13. März 1970 geringer sein werde als jetzt, weil die ÖVP ihre absolute Mehrheit verlieren und die SPÖ Mandate gewinnen werde. Wenn aber keine Partei über die Mehrheit der Mandate im Nationalrat verfügt, kann es nur eine Koalitionsregierung geben. Benya schließt mit seinem Bekenntnis zur großen Koalition die Möglichkeit einer Linkskoalition SPÖ plus FPÖ ebenso wie die einer Rechtskoalition ÖVP plus FPÖ aus und führt als wichtigstes Argument für seine Auffassung die bevorstehende wirts,chaftspolitische Entwicklung an, insbesondere die Budgetsituation, deren Schwierigkeiten nach seiner Meinung besser im Miteinander als im Gegeneinander der beiden großen politischen Kräfte des Landes gelöst werden könnten. Diese

Überlegung hat sicherlich viel für sich, und wir glauben, daß ihr Echo in der Öffentlichkeit im allgemeinen ein positives sein dürfte. Allerdings hat der sozialistische Gewerkschaftsbundpräsident damit nur einen politischen Grundsatz ausgesprochen, ohne etwas über die Möglichkeit seiner Verwirklichung auszusagen. Wenn man nämlich die wirtschaftlichen Aufgaben gemeinsam lösen soll, dann müssen hiefür auch gemeinsame Grundsätze vorliegen. Hier sieht es aber gegenwärtig nicht gerade sehr freundlich aus. Schon über das Prinzip des Budgetausgleiches herrsdien in den beiden Großparteien grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Hier Einsparung um jeden Preis, dort Bedeckung von Budgetabgängen durch erhöhte Steuern. Hier verstärkten Etat für die notwendige Landesverteidigung, dort zusätzliche Belastun gen für die Wirtschaft Aber auch in anderen wichtigen staatspolitischen Fragen sind die unterschiedlichen Meinungen evident. Das ÖIG- Gesetz, weitgehende Differenzen in der Handelspolitik, gekennzeichnet z. B. durch unbeschränkte Einfuhrliberalisierung auf dem Agrarsektor auf der einen Seite und vorsichtige, die Interessen der österreichischen Bauernschaft berücksichtigende Vorgangsweise auf der anderen Seite, sind nur zwei Beispiele für viele. Man müßte alle diese Schwierigkeiten zuerst bereinigen, bevor man an eine fruchtbringende, gemeinsame Regierungsarbeit mit einiger Zuversicht herangehen könnte.

Auch die ÖVP-Seite hat sich schon vor längerer Zeit zum Koalitionsproblem, allerdings in gegenteiliger Richtung, vernehmen lassen, als Vizekanzler Withalm sagte, daß ihm sogar eine eindeutige sozialistische Mehrheit lieber wäre als eine Wiederbelebung der großen Koalition. Auch ein solcher Standpunkt hat unter Berücksichtigung eines gesun- sen Wechselspieles zwischen Regierungs- und Oppositionstätigkeit manches für sich. Obwohl nicht übersehen werden darf, daß mit einer monokoloren Regierung, gleichgültig welche Partei sie stellt, viele unwiderrufliche Dinge geschehen, die nach Auffassung der jeweiligen Opposition irreparablen Schaden für die Republik und ihre Staatsbürger bringen können.

Was dabei erstaunt, ist aber die vorzeitige Festlegung namhaftester Politiker auf das eine oder andere System. Anscheinend vergißt man, daß niemand anderer als der Wähler zu entscheiden hat, wie sich die politischen Verhältnisse innerhalb einer Legislaturperiode entwickeln werden. Erst das Wahlergebnis wird die Überlegungen, wer die künftige Regierung zu bilden hat und wie sie aussehen soll, bestimmen. Würde es nach dem gehen, was die Meinungsforschungsinstitute bis jetzt erhoben haben, so ginge die ÖVP ihrer größten Wahlniederlage seit 1945 entgegen. Hört man selbst ein wenig in der Öffentlichkeit herum, so korrigiert sich diese Aussage eher in der Richtung, daß die große Unbekannte der kommenden Wahl die fast

400.000 Jungwähler sein werden, über deren Entscheidung man nichts Sicheres aussagen kann. Ebenso unsicher sind die Ergebnisse von Umfragen, die sich auf die Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten beziehen. Hier wird in der Auswertung offensichtlich oft Popularität, das heißt Bekanntsein, mit Beliebtheit verwechselt! Am bekanntesten sind natürlich immer die Spitzen, ob sie auch beliebt sind, ist ebenso eine andere Frage wie die, wie sich persönliche Beliebtheit oder Unbeliebtheit auf das Wahlergebnis auswirken können. Wie gesagt, die Verteilung des Bärenfells bestimmen nicht die Parteisekretariate, sondern die Wähler. Auch „die Nürnberger hängen keinen, sit hätten ihn denn!“

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