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Nur Pannen und Kabalen

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Fünf Tage vor dem wichtigen Wahltag 4. Oktober 1970 tat die Regierung Kreisky einen entscheidenden Sprung nach vorne und ließ das bisherige Hin und Her um die angekündigte, aber dann doch nicht so recht gewollte Bundesheer-Reform mit einemmal weit hinter sich. Sie hat damit, das sei zugegeben, eine klare Situation geschaffen und dies, mit dem erwarteten Erfolg vor Augen, ohne Rücksicht auf etwaige Verluste.

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Fünf Tage vor dem wichtigen Wahltag 4. Oktober 1970 tat die Regierung Kreisky einen entscheidenden Sprung nach vorne und ließ das bisherige Hin und Her um die angekündigte, aber dann doch nicht so recht gewollte Bundesheer-Reform mit einemmal weit hinter sich. Sie hat damit, das sei zugegeben, eine klare Situation geschaffen und dies, mit dem erwarteten Erfolg vor Augen, ohne Rücksicht auf etwaige Verluste.

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Am 30. September stand es nämlich in allen Zeitungen: Das Bundes-ministerium für Landesverteidigung wartet das für den 22. Oktober angekündigte Arbeitsergebnis der von der Regierung eingesetzten Bundes-heerreformkommission nicht ab, sondern sendet den Gesetzentwurf zur Verkürzung des ordentlichen Prä-senzdienstes von neun auf sechs Monate bereits in der nächsten Zeit zur Begutachtung aus. Nach einer Begutachtungsfrist von etwa drei Wochen soll sich der Landesverteidigungsrat in der ersten Novemberhälfte mit dem Entwurf befassen. Dann kommt die Regierungsvorlage in das Parlament, und die Regierung erwartet eine so rasche Beschlußfassung des Parlaments, daß die Verkürzung des Präsenzdienstes im Sinne der Regierungserklärung mit 1. Jänner 1971 in Kraft treten kann.

Soweit die Tatsachen. Die Minderheitsregierung unter Dr. Kreisky, oder vielleicht noch treffender gesagt, der allein entscheidende und bestimmende Regierungschef Doktor Kreisky, hat die letzten Zweifel hinsichtlich seiner Ansichten und Absichten beseitigt. Er selbst hat den in diesem Ausmaß unerwarteten Vorstoß der Regierung am Vorabend des Wahltages klar begründet: Er hält von einem Einsatzheer als zentralem Problem der Einsatzbereitschaft des Bundesheeres nichts. Vielmehr ist er der Meinung — und er stützt sich dabei, wie er sagte, auf die Meinung einiger Wehrexperten, deren Namen er allerdings nicht nannte — daß ein Ausbildungsheer mit einer durchgehenden sechsmonatigen Dienstzeit für den Neutralitätsschutz völlig ausreicht. Mit dieser dezidierten, unmißverständlichen Aussage geriet Doktor Kreisky auf einmal mit einer ganzen Reihe von einschlägigen Stellungnahmen aus den eigenen Reihen in Widerspruch. Man weiß, daß Verteidigungsminister Brigadier Freihsler in Wort und Schrift stets die Aufstellung von Einsatztruppen, bestehend aus längerdienenden Soldaten, zur Voraussetzung der Wehrdienstverkürzung für die übrige Mehrzahl der Präsenzdiener machte. Auch der sozialistische Wehrexperte Abgeordneter Mondl, präsumtiver Nachfolger des vielleicht eines Tages doch resignierenden Brigadiers Frelhsler, äußerte sich erst unlängst öffentlich in ähnlichem Sinne. Und die Regierungserklärung selbst widerspricht dieser jüngsten Kanzlermeinung ebenfalls, weil dort davon die Rede ist, daß die „Einsatzfähigkeit des Bundesheeres gewährleistet bleiben muß“. Nun, das sei eben ein Teilaspekt, meint nun Dr. Kreisky. Und die Ausbildungstheorie habe in seiner Diktion das Übergewicht...

Dia Krise um die Bundesheer-reform ist damit in ein entscheidendes Stadium getreten. Gewitterwolken hat es schon seit der Gründung der Reformkommission gegeben (siehe „Furche“ Nr. 28 und 31). Wenn man von einzelnen Pannen und Kabalen und von ihrer publizistischen Begleitmusik absieht, dann hat sich die Krise spätestens mit der Bekanntgabe einer Meinungsumfrage zugespitzt. Demnach würden sich im Falle der Aufstellung der zum Neutralitätsschutz benötigten Einsatztruppen für die 14mona-tige Dienstzeit, obwohl diese Soldaten dann bis zu 4000 Schilling Monatsgehalt bekämen, nur 1300 Mann freiwillig melden. Ein hoher General erklärte, diese Voraussage sei zu pessimistisch, er rechne mit 1800 bis 2000 Freiwilligen, Benötigt würde aber fast das Zehnfache dieser Zahl, nämlich rund 15.000 Mann. Die Gründe für die Abstinenz liegen laut Meinungsumfrage weniger in der Frage der Bezahlung als darin, daß den jungen Rekruten die nach ihrer Meinung zu starke und wenig sinnvolle „Freiheitsbeschränkung“ nicht gefällt.

Über diese und andere „flankierende Maßnahmen“ diskutiert die Kommission permanent. Es soll ein Gesetzespaket werden, wenn die Regierung Kreisky die Einigung unter den Parteien und damit die Gesetz-werdung wirklich will. Selbst der SP-Abgeordnete Mondl sagte dazu, die Aufstellung von Bereitschaftstruppen halte er auch für' notwendig, nur müßte dies nicht unbedingt gleichzeitig mit der Wehrdienstverkürzung erfolgen. Wie aber ist dann der Vorstoß Kreiskys zu verstehen? Die Regierung schlägt die Verkürzung der Präsenzdienstzeit von neun auf sechs Monate vor, ohne Gesetzespaket und flankierende Maßnahmen wie die Frage der Einsatzverbände oder der — und dies ist ebenfalls etwas, worüber die Regierung beharrlich schweigt — Waffenübungen, vom Heeresbudget gar nicht zu reden. Mit diesem Alleingang, einem politischen Husarenstück ohne Rücksicht auf Österreichs Staats- und neutralitätspolitische Glaubwürdigkeit — stellte Kreisky die beiden Oppositionsparteien vor die Alternative: Entweder sie stimmen dem Entwurf der Regierung zu — sechs Monate ohne allem — dann haben sie ihre “Grundsätze verraten und der Regierung zu einem Sieg verhol-fen. Oder sie opponieren: dann stehen sie vor den Wählern „nackt“ da und die Regierung erspart sich die kostspielige Sorge um das Einsatzheer. Dazu Kreisky: „Sie können mir glauben, daß ich eine Ablehnung ein bißchen einkalkuliert habe.“ Der Wehrexperte der FPÖ, der Abgeordnete Zeillinger, spricht unverblümt von gefährlicher Demagogie der SPÖ-Regierung, die zu einem völligen Zusammenbruch der österreichischen Landesverteidigung führen muß. ÖVP-Experten sprechen von einer Preisgabe der „Abhaltungsstrategie“ die bisher auch laut Freihsler das Kernstück der österreichischen Wehrpolitik bildet. Die

ÖVP kündigte ein Gegenkonzept an. Kreisky will aber offenbar den Alleingang. Die Partei, die es wagt, nachdem die SPÖ die wahltaktische Rosine, nämlich die Verminderung der Präsenzdienstzeit von neun auf sechs Monate, den Jungwählern präsentiert hat, in späterer Folge mit den gewiß kostspieligen und unpopulären flankierenden Maßnahmen zu kommen,- ist noch nicht gefunden worden. Und damit rechnet Bundeskanzler Dr. Kreisky. Ein billiges Ausbildungsheer ohne Einsatzverbände und unter möglicher Aussparung der lästigen Waffenübungen und möglichster Geringhaltung des Budgets: Das mag ein Ziel sein, das zwar die Zustimmung der sozialistischen Jugendverbände vom linken Flügel finden könnte, Österreichs Neutralitätspolitik jedoch vor dem Ausland bestimmt unglaubwürdig macht In der nächsten Zeit wird sich zeigen, ob der bereits seines ursprünglichen Regierungsauftrags durch den jüngsten Gesetzesentwurf praktisch ledigen Reformkommission im letzten Augenblick nicht doch noch gelingt, die Novellierung des Wehrgesetzes bezüglich der Präsenzdienstzeit an die gleichzeitige Einbringung der flankierenden Maßnahmen zu binden. Andernfalls aber wird das österreichische Bundesheer dem ihm gestellten Auftrag, von dem unlängst in Wr. Neustadt auch der Bundespräsident Wieder redete, nicht entsprechen können. Vorläufiger Höhepunkt: Minister Freihsler ist erkrankt, er soll psychisch und physisch überlastet sein. Werden ihm die Ärzte den Rückzug aus der Regierung raten?

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