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Digital In Arbeit

Opfer ja, aber breit gestreut

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Wer gut verdient, soll für den mitversicherten Partner mehr zahlen, forderte kürzlich Sozialminister Franz Hums.

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Wer gut verdient, soll für den mitversicherten Partner mehr zahlen, forderte kürzlich Sozialminister Franz Hums.

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Diese und ähnliche Forderungen sind nicht neu. Sie gehören zur Füll? von Vorschlägen, die zur Sanierung des Budgets herumgereicht werden. Bernd Marin,

Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, hatte im Bahmen einer Diskussion im OBF vor Monaten drastischere Maßnahmen gefordert: Eine Frau, „die nicht gerade aktuell” - er meinte” vier Jahre nach der Geburt - „Kinder erzieht, pflegt oder ehrenamtlich tätig ist””, solle nicht mehr beim Ehemann mitversichert sein. Sein Argument: „Die Nichtbe-rufstätigkeit ,per se' soll nicht subventioniert werden.”

Besserverdienende Familien mit nicht-berufstätigen Frauen zur Kassa zu bitten, liegt sicher im Trend. Die Sozialdemokraten können sich damit klassenkämpferisch legitimieren. Und wer dem „Heimchen am Herd” den Kampf ansagt, kann wohl auch mit medialem und feministischem Applaus rechnen. Wird die Anregung des Sozialministers also bei der dies-wöchigen Begierungsklausur auf fruchtbaren Boden fallen?

Hoffentlich nicht. Die Be-gierung setzte damit einen fragwürdigen Weg fort, nämlich* in Lebensentwürfe der Bürger einzugreifen, und zwar unter Umständen, wo diese fast nicht sinnvoll reagieren können. Im konkreten Fall: Betroffen von dieser Begelung wären wohl überwiegend Familien über 45 Jahren, also jene Altersklassen, in denen die weibliche Berufstätigkeit bei weitem nicht das heutige hohe Niveau erreicht hat.

AVer wird diesen Frauen in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und rascher Veränderungen am Arbeitsplatz einen Job verschaffen, damit sie selbst versichert sind? Heute, wo man ab 45 in der Arbeitswelt zum alten Eisen zählt, sollte plötzlich ein „G'riß” um reifere, weibliche Jahrgänge einsetzen?

Gut, mag man einwenden, die Belastung werde schon zu verkraften sein. Das wird wohl stimmen. Aber langsam summieren sich die zu verkraftenden Belastungen: die verlorene Anrechnung der Schul- und Studienzeiten für die Pension, die stark eingeschränkte Absetzbarkeit von Versicherungsprämien, verschlechterte Prämien beim Bausparen ...

Alle diese Maßnahmen greifen in Konstellationen ein, auf die sich der Bürger im Vertrauen auf den bisher gegebenen gesetzlichen Bahmen eingelassen hat. Die fortgesetzte Änderung dieses Bahmens zum Nachteil des einzelnen unterminiert das ohnedies angeknackste Vertrauen in den Staat und seine Bepräsentan-ten zwangsläufig weiter.

Selbstverständlich muß man den politisch Verantwortlichen zugestehen, in schwierigen Zeiten auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen. Die Frage ist nur, wie das am sinnvollsten vor sich gehen sollte. Das hastige Durchboxen un-ausgegorener, aufeinander oft schlecht abgestimmter Detail-regelungen, die nicht von einer klar erkennbaren zukunftsträchtigen Dauerlösung (des Gesundheits-, des Pensions-, des Steuersystems) hergeleitet sind, erzeugen vor allem dann Frust, wenn sie Menschen für Entscheidungen pönalisieren, die lange zurückliegen und die kaum umkehrbar sind (Familie, Ausbildung, Berufsweg als Beamter).

Der Verfassurigsgerichtshof hat sich mit der Frage rückwirkender Normen beschäftigt. Anlaß war der Streit um Politiker-Doppelpensionen in Graz und Tirol. Das Höchstgericht traf 1987 die unpopuläre Entscheidung, man dürfe jemandem, der knapp vor der Pension steht (auch wenn es sich um sehr gutsituierte Politiker handelt), zugesicherte Mittel nicht massiv beschneiden.

Über diese Entscheidung hinaus hielt das Höchstgericht aber vor allem folgende wichtige Grundsätze fest: Der Gesetzgeber dürfe dem Bürger zwar Opfer auferlegen, um den Staatshaushalt zu entlasten oder arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu setzen, diese Opfer müßten aber „breit gestreut” sein. Sie „dürften nicht punktuell gezielt und relativ kleine Gruppen treffen”. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber darf Probleme der Allgemeinheit nicht auf dem Bücken relativ weniger lösen.

Außerdem muß er einen gewissen Vertrauensschutz gewährleisten. Dazu der Wiener Sozialrechtler Theodor To-mandl im Zusammenhang mit der damaligen Pensionsregelung: „Je länger die Zugehörigkeit gedauert hat, und je weniger der Betroffene auf Kürzungen reagieren kann, desto größer ist sein Schutzbedürfnis. Daraus folgt, daß solche Eingriffe jedenfalls abgestuft und mit entsprechenden Übergangsfristen vorgenommen werden müssen.” Im Fall einer geänderten Pensionsregelung zum Beispiel darf man also über 55jährige deutlich weniger belasten als 45- bis 55jährige und diese wiederum weniger als unter 40jährige. Solche Übergangsregelungen gab es ja auch schon: Bei der Anpassung des weiblichen an das männliche Pensionsalter, aber auch bei der Einführung der Witwerpension.

Die Begierung wäre gut beraten, diese Grundsätze auch bei den anstehenden Entscheidungen zu berücksichtigen. Selbstverständlich könnte sie sich der Kontrolle dieser Prinzipien durch den Verfassungsgerichtshof dadurch entziehen, daß sie nicht-konforme Belastungen in Verfassungsrang erhebt. Damit würde sie allerdings das Bechtsstaatsprinzip (der Gesetzgeber schaltet gezielt die Kontrolle durch das Verfassungsgericht aus) unterwandern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie zerstören.

Abstrakte Maastricht-Kriterien zu erfüllen, wird die Bereitschaft der Österreicher zum Sparen nicht auf Dauer mobilisieren, umso mehr als uns fortwährend vorgerechnet wird, das Pensions-, das Gesundheitssystem, die öffentliche Verwaltung seien unfmanzierbar.

Hier sind Grundsatzentscheidungen überfällig und nicht ängstliches Schielen nach den Ergebnissen der nächsten Meinungsumfragen.

Bei den Wahlen in vier Jahren sollte der Bürger über richtungweisende Modelle für die nächsten Jahrzehnte abstimmen dürfen - und nicht über den Sympathiewert gönnerhaft von Plakatwänden lächelnder Politstars.

Die Demokratie ist in diesem Jahrhundert schon einmal an ihrer Unfähigkeit, sich den Problemen ihrer Zeit zu stellen, gescheitert. An der Jahrtausendwende ist sie nicht vor einem ähnlichen Schicksal gefeit, wenn sie den Wähler weiterhin als unmündiges Stimmvieh (erinnert sei an die unwürdige Propaganda vor der EU-Abstimmung 1994)und als gutmütige Melkkuh betrachtet. Diese Mißachtung öffnet das Tor weit für Demagogen verschiedenster Art.

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