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Padagoge oder Beamter?

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Die erläuternden Bemerkungen zum nunmehr dem Begutachtungsverfahren unterliegenden „Entwurf eines Schulunterrichtsgesetzes“ nennen die fundamentale Schwierigkeit eines solchen Gesetzes, das den Unterricht und den „sonstigen inneren Betrieb“ der im Schulorgani-sationsgesetz geregelten Schularten bestimmen soll: daß der Lehrer einerseits eine ausreichende Unterrichts- und Gestaltungsfreiheit haben muß, um seinen pädagogischen Aufgaben gerecht werden zu können, und daß der Lehrer anderseits Verwaltungsbeamter ist, Verwaltungsakte setzt und daher den entsprechenden verwaltungsmäßigen Bestimmungen unterliegt.

Nach dem Schulorganisationsgesetz hat die österreichische Schule und damit jeder Lehrer die Aufgabe, „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken!“ Die Jugend ist mit dem „für das Leben und den künftigen Beruf erforderliehen Wissen und Können auszustatten und zum selbständigen Bildungserwerb zu erziehen“, das heißt also: Der gymnasialen Jugend ist die Lebensreife — und damit auch die Hochschulreife — zu ermöglichen, aus der heraus sie sich in selbständigem Denken und Handeln als verantwortungsbewußtes Glied der Gesellschaft der Heimat, Europas und der Welt erweist.

Die Erfüllung dieser Aufgabe läßt sich im einzelnen gesetzlich kaum regeln, sondern ist der Vertrauensvorschuß, welcher der Persönlichkeit des Lehrers vorzugeben ist und dessen möglicher Mißbrauch durch disziplinarrechtliche Vorschriften hintanzuhalten ist, nicht aber durch den Unterricht betreffende Verwaltungs-vorschriften.

Daher wäre es zu erwägen, dem Lehrer eine seiner Funktion entsprechende Rechtsstellung einzuräumen; er wäre in Ausübung seines pädagogischen Amtes unabhängig zu stellen — eine Stellung, die jener des Richters ähnlich wäre.

Die Lehrerdienstpragmatik, die sonstigen Dienstvorschriften, die Verordnungen über dlie Lehrpläne und die Fixierung des Lehrzieles umschreiben das Gebiet der Weisungs-gebundenheit des Lehrers.

Der Entwurf wird unter diesem Aspekt beispielsweise dem Problem der Beurteilung gerecht, da nach den erläuternden Bemerkungen zum Entwurf die Notenvergebung „ein rechtlich geregeltes Begutachtungsverfahren durch einen Sachverständigen“ darstellt. Gegen ein solches Gutachten muß eine Beschwerde an die Schulbehorde erster Instanz möglich sein, sofern auf Grund eines irrigen Gutachtens eine unrichtige Entscheidung über das Aufsteigen in die nächsthöhere Stufe derselben Form bzw. Fachrichtung oder über die Wiederholung der Schulstufe getroffen wurde.

Da der Entwurf vom Lehrer in erster Linie als vom Verwaltungs-beamten handelt — in den erläuternden Bemerkungen wird diese Punktion wohl nicht zufällig als erste genannt —, sind pädagogische Postulate an zu schaffendes Recht angepaßt worden (mit für die Praxis manchmal kaum brauchbaren Formulierungen).

Einige Beispiele von vorgeschlagenen Regelungen, die neu zu überdenken und neu zu formulieren sind: • Entwurfgemäß sollen Abschlußnoten (z. B. bei der Matura) das arithmetische Mittel aus den Jahresnoten sein, „wobei Bruchteile bis 0,5 zu vernachlässigen, Bruchteile über 0,5 auf volle Zahlen aufzurunden sind“. In Gegenständen, die Prüfungsgegenstände der kommissionellen Prüfung sind, ist aus dem arithmetischen Mittel der Jahresnoten und der Prüfungsnote (sofern sie nicht negativ ist) neuerlich das arithmetische Mittel zu bilden. Beurteilungen (Noten) seien demnach Zahlen und daher nach mathematischen Gesetzen zu behandeln. Beurteilungen aber können nicht gezählt, sondern müssen gewertet werden. Hat ein Schüler in den Pubertätsklassen — und die beiden ersten Klassen der Oberstufe des Gymnasiums sind dazuzuzählen — schlechte Beurteilungen, kann er auch bei besten Leistungen und Beurteilungen in den folgenden Klassen nicht zu jener Abschlußbeurteilung kommen, die ihm zustünde. Ebenso wäre es im umgekehrten Fall. • Die gesetzliche Neuregelung unseres Schulwesens bietet die Möglichkeit, Beuirteilungsbezeichnungen einzuführen, die dem gerecht werden, was damit gemeint ist: Ausgezeichnet, wenn der Schüler den Lehrstoff nicht nur fehlerfrei reproduzieren kann, sondern Sinnzusammenhänge und Querverbindungen herstellen kann, also über dem Stoff steht; Sehr gut, wenn der Schüler den Lehrstoff vollinhaltlich reproduzieren kann und die wesentlichen Probleme („Kernprobleme“) erfaßt; Durchschnittlich, wenn der Schüler in der Reproduktion bzw. im Erfassen der Kernprobleme Lücken aufweist; Mangelhaft, wenn der Schüler in der Reproduktion des Lehrstoffes und dm Erfassen der Kernprobleme wesentliche Mängel aufweist, ohne daß der weitere Aufbau des Lehrstoffes ausgeschlossen erscheint; Wicht genügend, wenn der Schüler in der Beherrschung des Lehrstoffes wesentliche Mängel aufweist und der weitere Aufbau des Lehrstoffes ausgeschlossen ist.

• An Stelle der im Entwurf vorgeschlagenen Beurteilungen des Betragens mit Sehr zufriedenstellend, Zufriedenstellend, Wenig zufriedenstellend, Nicht zufriedenstellend, sind die Bezeichnungen Lobenswert, wenn kein Anlaß zu Beanstandungen vorliegt, Gut, wenn Anlaß zu Beanstandungen gegeben ist, Mangelhaft, wenn Anlaß zu schweren Beanstandungen gegeben ist, vorzuziehen.

• Manche Vorschläge des Entwurfes gehen von einem irrigen Bild des Verhältnisses von Lehrer und Schüler aus, so, wenn die Aufnahmsprüfung ins Gymnasium eine kommissioneile Prüfung sein soll, Klassifikationsprüfungen eine vorgeschriebene Frist vorher bekanntgegeben werden müssen, Versetzungsprüfungen im Beisein eines zweiten fachkundigen Lehrers durchzuführen sind usw. Durch derartige Bestimmungen wird der Schüler unnotwendig psychisch belastet.

• Ein weiterer pädagogischer Mangel besteht darin, daß den Direktoren der Schulen kaum Entscheidungsfunktionen zugedacht sind (abgesehen von den damit verbundenen Verstößen gegen die Verwaltungsreform).

• Mit einem einzigen Schulunterrichtsgesetz sämtlichen, sehr stark differenzierten Schulen und ihren spezifischen Erfordernissen gerecht werden zu können, scheint ungerechtfertigtes Wunschdenken zu sein.

Die aus Lehrerkreisen verlauteten Meinungen der letzten Wochen ließen den Eindruck entstehen, als sei die österreichische Lehrerschaft gegen diesen Gesetzentwurf, weil die Möglichkeit gegeben sei, Noten zu überprüfen und sich über Lehrer zu beschweren.

Nicht deswegen aber wäre der Entwurf abzuändern; vielmehr deshalb, weil er die Funktion des Lehrers in einseitig juridischer Schau verkennt, weil er die Pädagogik nicht berücksichtigt und sofern er sie berücksichtigt, vielfach der geistige Hintergrund der Lemschule üblen Typs enthalten ist. Das berechtigte Bemühen, die inneren Belange der Schule gesetzlich zu regeln, bedarf der Mitarbeit vieler Pädagogen.

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