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Partei der Sammlung

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Aber es ist in aller Form die 1 Frage zu stellen: Ist ein „Schuld- 1 komplex der ÖVP gerechtfertigt, i daß man sie — noch dazu ganz zu 1 Unrecht — als „Unternehmerpartei ( abgestempelt hat? Erzählt doch eine ] bekannte Anekdote, daß ein verstor- 1 bener großer Staatsmann den öster- I reichischen Industriellen einmal zu ] verstehen gab, sie seien an Zahl ! so gering, daß sie nicht einmal im- 1 Stande seien, die „Zehe eines Natio- i nalrates zu wählen. Es ist weiter < zu fragen: Ist es denn einer Partei 1 abträglich, wenn sie — nein, hier i folgen nicht die Worte „die Inter- < essen vertritt! — für alle da ist, i wenn sie also den Selbständigen wie i den Unselbständigen eine Heimat ! bietet und — wagen wir es auszu- i sprechen — auch für Unternehmer ' wählbar ist? Die ÖVP ist als eine i Partei der Sammlung gegründet i worden, das war ihr großer Vorteil und ihre Stärke. Warum soll diese Grundidee fallengelassen werden? Noch dazu in einer Zeit, da alles zur „Integration drängt, da so viel vom „Dialog gesprochen wird, und da eine fortschrittliche Volkswirtschaft nicht als ein Gegeneinander widerstreitender Interessen, sondern als ein Miteinander in einer Leistungsgemeinschaft begriffen werden sollte?

Aus verschiedenen Gründen wäre es unklug, würde die Volkspartei von diesem bewährten Weg, eine Partei für alle zu sein, abgehen und die Akzente einseitig auf „Arbeitnehmer verlagern. Zwei Fakten sind es vor allem, die es nahelegen, dies nicht zu tun.

Ii Die Volkspartei hat unter ihren Stammwählern noch immer zehntau-sende Selbständige — keineswegs nur Industrielle (diese sind an Zahl ohnehin nicht stark), sondern vor allem die kleinen und mittleren Unternehmer aus Handel, Gewerbe, Fremdenverkehr und der Verkehrswirtschaft, von den Selbständigen aus der Landwirtschaft abgesehen. Bei den meisten dieser selbständigen Existenzen handelt es sich heute um Menschen, die weniger verdienen als hochqualifizierte Facharbeiter, für die es weder einen Achtstundentag noch eine Fünftagewoche gibt, die sich ehrlich abrackern.

Gewiß wird von forschen Strukturpolitikern eingewendet werden, viele dieser Betriebe hätten keine Daseinsberechtigung mehr. Aber wer kann sich anmaßen, mit einem Federstrich ein Todesurteil über freie, selbständige Existenzen zu fällen„ wenn er im gleichen Atemzug die Stärkung der Freiheit uhfl Eigenständigkeit auf seine politische Fahne geschrieben hat? Vor einiger Zeit konnte an dieser Stelle zum Problem des Strukturwandels gesagt werden, daß dieser auf evolutionärem Weg in Gang gekommen ist und ständig vor sich geht. Wenn es jenen Gruppen in der Volkspartei gelingt, sich durchzusetzen, die nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern ganz offen verkünden, die Partei sei keine „Kapitalistenpartei, so riskieren sie damit, zehntausende Selbständige vor den Kopf zu stoßen, die sich in diesem Fall als „Kapitalisten herabgewürdigt fühlen, auch wenn sie genau wissen, daß sie nach ihrem Einkommen keineswegs als solche anzusprechen sind.

Eine zweite Überlegung ist nicht minder bedeutend: Die Volkspartei wird, wenn sie ihre sozialen Inhalte in den Vordergrund stellt, niemals den Wettlauf mit den Sozialisten gewinnen können, die das Soziale — eine Begriffsanalyse steht hier nicht zur Diskussion! — seit hundert Jahren für sich gepachtet haben, die sich noch dazu nicht scheuen, in der sozialen Frage viel Demagogie zu betreiben, die vor allem die Sozialpolitik nach wie vor nur quantitativ, nicht aber qualitativ auslegen.

Einer der radikalen Theoretiker der SPÖ, Josef Hindels, hat jüngst in der „Zukunft in einem Diskussionsbeitrag zum „Programm für Österreich geschrieben: Aus der Tatsache, daß mehr als 70 Prozent der berufstätigen Österreicher Arbeiter und Angestellte und daher gezwungen seien, ihre „Ware Arbeitskraft zu verkaufen, ergebe sich die zwingende Schlußfolgerung, daß es die wichtigste Aufgabe des Programms für Österreich sei, „die realen Interessen dieser Arbeiterund Angestelltenmehrheit zum Ausdruck zu bringen.

Von Arbeitnehmergruppen in der Volkspartei wird zum Beispiel der Gedanke der „Vermögensbildung begünstigt. Abgesehen davon, daß bei allem gutem Willen doch sehr wenig die wirtschaftlichen Zusammenhänge berücksichtigt werden, wird dabei vergessen, daß sich einen solchen Vorsprung weder die Gewerkschaften noch die Sozialisten aus der Hand schlagen lassen würden. Sie würden sie entweder in noch überspitzterer Form in ihre Zielsetzungen einschmelzen oder aber sie — nicht nur mit Macht, sondern auch mit einer gewissen Überzeugungskraft — vor ihren Mitgliedern und Wählern bekämpfen.

Nach den Bundestagswahlen vom 19. September 1965 wird von politischen Beobachtern betont, daß trotz der Aktivität der CDU-Sozialausschüsse der SPD ein Einbruch gerade im Industrierevier Nordrhein-Westfalen gelang. Offenbar wurde die Bedeutung der Arbeitnehmergruppe, die eine sehr starke, ziemlich autonome Propaganda entfaltet hatte, überschätzt. Ihre Exponenten schnitten gerade im IndustrielandNordrhein-Westfalen schlecht ab. In der CDU wird damit der Anspruch der Sozialausschüsse auf alleinige Repräsentanz der Partei gegenüber der Arbeitnehmerschaft bestritten. Das Organ der „Christlich-sozialen Kollegenschaft schrieb dazu, daß das Auseinanderklaffen zwischen der Selbstdarstellung der Sozialausschüsse und dem allgemeinen „Image der Partei in vielen Wahlkreisen, in denen Vertreter der CDU-Sozialausschüsse auftraten, den Einbruch der SPD in bürgerliche Schichten erleichtert hat. Wörtlich hieß es:. „Dafür ist der betont herausgestellte Arbeitnehmercharakter jener Kandidaten verantwortlich, die es vielfach versäumten, auch als Gesamtrepräsentanten aufzutreten und entsprechend zu argumentieren. Auf jeden Fall, so betont man in Bonn, könne die CDU die Probleme der Arbeitnehmerschaft in der modernen Industriegesellschaft nicht mehr ausschließlich einer Gruppierung überlassen, deren politische Willensbildung sie nur beschränkt beeinflussen kann.

Was soll also die Volkspartei tun? Sie soll sich eindeutig nicht als eine Partei dieser oder jener Gruppe erklären, sondern als eine Partei, in der sich jeder Österreicher zu Hause fühlen kann, als eine Partei, die die Leistung des Menschen für die Gemeinschaft würdigt, die ihn nicht herabsetzt, weil er Unternehmer oder Arbeitnehmer ist, die sich dafür einsetzt, daß durch eine gute, vernünftige Wirtschaftspolitik der Kuchen „Sozialprodukt größer werden kann, damit auch jedermanns Anteil größer wird. Sie soll eine Partei sein, die sich bewußt dazu bekennt, daß der Lebensstandard eines Volkes ein Ergebnis seines Leistungsstandards ist, die sich auch nicht scheut, dem „Stiefkind gewerblich Wirtschaft Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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