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Parteien und Verfassung in Österreich

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Der Einmarsch der Parteien in die österreichische Bundesverfassung erfolgte schrittweise. Das B.-VG. 1920 erwähnte „Parteien” nur an einer Stelle: Art. 35 Abs. 1 B.-VG. bestimmt, daß die Mitglieder des Bundesrates von den Landtagen nach dem Grundsatz des Proporzes gewählt werden, wobei mindestens ein Mandat der Partei zufallen muß, dje die zweitgrößte Anzahl vpp Sitzen im Landtag oder, wenn mehrere Parteien die gleiche Anzahl von Sitzen haben, die zweithöchste Zahl von Wählerstimmen bei der letzten Landtagswahl aufweist; bei gleichen Ansprüchen mehrerer Parteien entscheidet das Los.

Die BV.-Nov. 1925 brachte den Ansatz zum Parteienstaat: Art. 26 Abs. 6 B.-VG. spricht an zwei Stellen von „wahlwerbenden Parteien”. Bei der Durchführung und Leitung der Wahlen zum Nationalrat und von Volksabstimmungen sowie zur Mitwirkung bei der Überprüfung von Volksbegehren sind Wahlbehörden zu bestellen, denen als Stimmberechtigte Beisitzer „Vertreter der wahlwerbenden Parteien” anzugehören haben. Die Anzahl dieser Beisitzer ist auf die „wahlwerbenden Parteien” nach ihrer bei der letzten Wahl zum Nationalrat festgestellten Stärke aufzuteilen. — Diese Bestimmung ist sedes materiae für die Frage nach der wesentlichen Funktion der Parteien von Verfassungswegen.

Die kompetitive Koexistenz verschiedener politischer Organisationen und damit der Pluralismus von Ideologien ist verfassungsmäßig gewollt und gesollt.

1929 brachte die nächste Etappe im Prozeß der Konstitutionalisierung der Parteien: Sie wirken auch bei der Wahl des Bundespräsidenten mit. Art. 55 Abs. 2 B.-VG. führte den ständigen Unterausschuß des Hauptausschusses des Nationalrates ein. Er wird nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt, wobei ihm mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß vertretenen Partei angehören muß. Der Begriff der „politischen Parteien” wurde im Zuge der Entpolitisierungstendenz der Verfassungsreform 1929 in das B.-VG. aufgenommen (Art. 147 Abs. 4 und 5 B.-VG.). Durch diese Bestimmungen sollte wohl der Hüter der Verfassung entparteilicht, nicht aber die politische Partei in ihrer soziologischen Gesamterscheinung konstitutionalisiert werden. Darnach können dem Verfassungsgerichtshof Personen nicht angehören, die Angestellte oder sonstige Funktionäre einer politischen Partei sind, wobei zum Präsidenten oder

Vizepräsidenten auch nicht bestellt werden kann, wer eine solche Funktion in den letzten vier Jahren bekleidet hat.

1945 haben sich ÖVP, SPÖ und KPÖ faktisch des Staates angenommen und haben ihn in Bewegung gesetzt. Der Oberste Gerichtshof hat diesen Sachverhalt in einer Entscheidung von Februar 1964 umschrieben: „Es . ist eine unleugbare Historische Tatsache, daß die Zweite Republik Österreich im Jahre 1945 kraft der Initiative der aus den verschiedenen Widerstandsbewegungen hervorgegangenen politischen Parteien geschaffen und zunächst von ihnen allein in ihren Grundlagen eingerichtet wurde Nachdem aber die vorläufige Verfassung verkündet worden war, hatten diese Parteien, kein unmittelbares Mitspracherecht mehr Die damals zweifellos rechtlich in Erscheinung getretene Prärogative der politischen Parteien konnte nicht länger rechtlich existent sein, als die vorläufige Verfassung selbst. Sie endete in dem Augenblick, als das B.-VG. 1929 mit dem Zusammentritt des am 25. November 1945 gewählten Nationalrates voll wirksam wunde, das ist am 19. Dezember 1945 ”

Die Invasion der Verfassung durch die Parteien erreichte mit der Bundesverfassungsgesetznovelle 1962 und dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 215/62 ihren vorläufigen Stillstand: Mit jener wurde die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden geregelt: Im Art. 117 Abs. 5 B.-VG. ist bestimmt, daß im Gemeinderat vertretene Wahlparteien nach Maßgabe ihrer Stärke Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand haben. — Durch dieses wurden die Bestimmungen über die Schulbehörden des Bundes neu gestaltet. Gemäß Art. 81 a Abs. 3 lit a S. 2 B.-VG. sind die stimmberechtigten Mitglieder der Kollegien der Landesschulräte nach dem Stärkeverhältnis der Parteien im Landtag, die stimmberechtigten Mitglieder der Kollegien der Bezirksschulräte nach dem Verhältnis der für die im Landtag vertretenen Parteien bei der letzten Landtagswahl im Bezirk abgegebenen Stimmen zu bestellen.

Alle diese Bestimmungen vermieden es, die Parteien erschöpfend zu erfassen, ihrer soziologischen Totalfunktion gerecht zu werden. Es wurden Teilfunktionen erfaßt und der Einfluß der Parteien in den verschiedenen Sphären des Staates verankert.

Die Verfassung setzte die Existenz von Parteien als Dauerorganisationen voraus, setzt aber die politischen Parteien nicht als Verfassungsorgane ein, sondern erhebt nur Teilfunktionen in den Rang der Verfassung, erfaßt nur Teilerscheinungen des Totalphänomens.

Die Rechtsfähigkeit der Parteien

Die Frage nach der Rechtspersönlichkeit der politischen Parteien im Bereich des bürgerlichen Rechts ist weder durch Literatur noch durch Judikatur einhellig gelöst worden. Der Oberste Gerichtshof sprach im Jahre 1947 den politischen Parteien Rechtsfähigkeit zu und bezeichnete sie als „juristische Personen öffhet- lichen Rechts sui generis”. Ludwig Adamovich lehnte dies ab, da es an einer rechtlichen Grundlage für ihre Organisation fehle.

Einerseits wurde den politischen Parteien die Rechtspersönlichkeit abgesprochen, weil sie „unvollkommene Assoziationen” seien, teilweise weil sie „unerlaubte Gesellschaften” im Sinne des § 26 ABGB seien, die bei der Erlassung der vorläufigen Verfassung eine „Drei-Parteien- Diktatur” ausgeübt hätten; anderseits wurde ihnen Rechtspersönlichkeit zugesprochen, indem sie als Vereine nach dem Vereinsgesetz oder als „erlaubte Gesellschaften” im Sinne des § 26 ABGB betrachtet wurden. Auch die in der Verfassung verankerten Funktionen wurden als

Indiz für die Rechtssubjektivität der Parteien außerhalb dieses Funktionsbereiches herangezogen.

Friedrich Koja, der nunmehr ausschließlich die Meinung vertritt, daß die Parteien dem Vereinsrecht unterliegen, hat in einem Aufsatz in den Juristischen Blättern 1958, S. 487 ff., den Versuch gemacht, die Rechtsfähigkeit der ÖVP, SPÖ und KPÖ (die FPÖ ist vereinsmäßig organisiert) „aus ihrer tatsächlichen Bildung im Jähre 1945 und ihrer Anerkennung durch die ersten Normen der neuen Rechtsnormen abzuleiten”. Die Vertreter der Parteien haben die Unabhängigkeitserklärung erlassen. Die in dieser vorgesehene Staatsregierung wurde von den Vertretern der ersten demokratischen Parteien gebildet. Diese Staatsregierung beschloß die Vorläufige Verfassung. In deren § 12 ist den politischen Parteien das Recht eingeräumt, an einer Neubildung der Staatsregierung mitzuwirken. Damit wurde „den schon an der Bildung der Ersten Staatsregierung tatsächlich beteiligten politischen Parteien das Recht der Regierungsbildung zugesprochen”. Koja stellte allerdings schon 1958 die rechtspolitische Forderung, daß sich auch diese drei Parteien vereinsmäßig konstituieren sollten, „schon um jeden Zweifel an ihrer Rechtsfähigkeit auszuschließen”.

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