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Plus minus null?

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Der Tag, an dem in der Budgetdebatte d Kapitel Unterricht, Kunst, Bundestheater zur Sprache kommen, ist der einzige Tag im Jahr, an dem im Haus gründlich und ausführlich über Kulturpolitik gesprochen wird. Von der Ministerbank aus betrachtet, sieht das etwa so aus: Dreißig Abgeordnete sind im Durchschnitt im Nationalratssitzungssaal anwesend. Mehr als zwei Drittel von ihnen ergreifen in der zehnstündigen Debatte selbst das Wort. Es sind die parlamentarischen Experten für Kulturpolitik, die reden und sich gegenseitig zuhören. Unter ihnen sind die Veteranen der Kämpfe um das Schulgesetz, um das Konkordat. Sie kennen Argumente und Gegenargumente im voraus so wie Schachpartner die ersten zwanzig, dreißig Züge des Damengambits. Eine ungewohnte Formulierung läßt die Abgeordneten aufhorchen. Aber dann erinnert man sich, daß davon bereits im Jahre 1949 oder im Jahre 1953 die Rede gewesen ist, ohne daß man weitergekommen wäre. Man hat sich alles gesagt.

Seitdem im Jahre 1955 die kulturpolitischen Fronten der beiden Regierungsparteien in Bewegung geraten waren, ist nicht nur viel Zeit vergangen — man hat sich auch auf beiden Seiten auf die seit Jahren und Jahrzehnten erstarrten Ausgangsstellungen zurückgezogen. Der Vizekanzler, der 195 5 feststellen konnte, man sei innerhalb der Regierung in grundlegenden kulturpolitischen Fragen nur mehr durch „eine papierdünne Wand“ getrennt, hat bei seinen Freunden ebensowenig Verständnis gefunden wie der Unterrichtsminister, der mit der Diagnose „Röteln“ infektionsverdächtig gemacht wurde.

Die beiden Wahlkampagnen der Jahre 1956 und 1957 — obwohl nicht in kulturpolitischen Gegensätzen ausgetragen — haben dieses Klima, das einer Einigung im Sachlichen günstig schien, verändert. Man geriet hüben und drüben sozusagen wieder in den Harnisch, und die Nahtstellen im kulturpolitischen Sektor der Koalition wurde schleißig.

Diese Entwicklung von der Mitte zu den Extremen hin, die innerhalb der Koalition auf beiden Seiten um sich gegriffen hat, führte zu einer Resultante: Kulturpolitik = plus minus Null. Die Kulturverwaltung findet sich mit dieser politischen Situation ab, so gut es geht. Bei der raschen Entwicklung der Verhältnisse muß das Ausbleiben der gesetzlichen Regelung nicht in jedem Fall ein Nachteil sein.

Hier ist die Feststellung am Platz, daß in der Kulturpolitik die Kennzeichen konservativ und fortschrittlich ebensowenig im landläufigen Sinne brauchbar sind wie die Orientierung rechts und links.

Die Sozialistische Partei ist in der Schulpolitik in dem Sinne konservativ, daß sie an der Orientierung Hasners (1869) und Glöckels (1919 ff.) festhält und damit den Sieg liberali-stischer und sozialistischer Ideologien der Vergangenheit gewahrt wissen will. Die Volkspartei geht von der Tatsache aus, daß die heutige Einstellung des Menschen zu sittlichen und religiösen Werten jedenfalls anders geartet istv als 1869 und 1919. Die Präsenz des Christentums und eines säkularisierten Christentums in der Welt unserer Tage verlangt ein zeitgemäßes Verhältnis Staat und Religion, Staat und Religionsgesellschaft. Die Volkspartei ist davon überzeugt, daß das kürzlich in Belgien zwischen den Christlichsozialen, den Sozialisten und den Liberalen zustande gekommene Kompromiß in der seit hundert Jahren offenen Schulfrage im Zug der Zeit liegt. Auch bei uns in Oesterreich wird man auf die Dauer Eltern, die ihre Kinder in christlichen Schulen unterrichtet und erzogen wissen wollen, nicht entgegenhalten können, daß sie damit einer privaten Neigung folgen, für die sie auch aus privaten Mitteln aufkommen müssen.

Vor einiger Zeit hat die SPOe einen Ausweg aus der Stagnation der Kulturpolitik angekündigt, indem sie verlauten ließ, sie würde ihr Verhältnis zur Religion und Kirche neu orientieren.

Kirchenpolitische Streitfragen sollten nicht mehr durch ein Kompromiß in der Koalition, sondern durch ein direktes Entgegenkommen den Kirchen gegenüber aus der Welt geschaffen werden. Das ließ die Hoffnung aufkeimen, daß der OeVP die Last der alleinigen Vertretung kirchlicher Interessen abgenommen und der Handel des DO UT DES ein Ende haben werde.

Eine Entflechtung des komplexen Problems Schule-Konkordat schien wieder in Reichweite. Die Mitwirkung der Sozialistischen Partei bei der Erfüllung der in Geltung stehenden Vorschriften des Konkordats 1933 im Schöße der Regierung wurde zeitweise Thema I der österreichischen Innenpolitik.

Damit schien die Zeit gekommen zu sein, die Subventionierung der nichtstaatlichen Schulen (katholische wie evangelische) aus dem Katalog der offenen Streitfragen der Schulgesetzverhandlungen auszuscheiden und die von katholischer Seite unterhaltenen Schulen auf Grund der weiterhin gültigen Bestimmung des Art. VI, 4, des Konkordats in die Tat umzusetzen. Da in diesem Punkt das Konkordat auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates ausdrücklich Rücksicht nimmt und überdies von Subventionen die Rede ist, durch die sich der Staat andere (in der heutigen Zeit unabweisbare) Schulaufgaben erspart, kann von einer Hintansetzung staatlicher Interessen nicht die Rede sein. Der Schulstreit wäre in einem Punkt entlastet gewesen.

Trotzdem hat sich dieser Weg als nicht gangbar erwiesen. Die Sozialistische Partei hat — zuletzt während der Budgetdebatte 195 8 — festgestellt, daß sie bei dem Grundsatz verharrt, wonach das 193 3 gültig abgeschlossene Konkordat im innerstaatlichen Rechtsbereich niemals Wirksamkeit erlangt hat. Sohin könnten Bestimmungen dieses Konkordats auch nicht die Basis für die Subventionierung der von kirchlichen Institutionen erhaltenen Schulen bilden. Es blieb dann nur mehr festzustellen, daß der Unterrichtsminister mit den den Privatschulen zugedachten Subventionen besser die staatlichen Schulen restaurieren sollte. Und an diesem Vorwurf der SPOe hat es auch nicht gemangelt.

Wie bei vielen vorangegangenen Verhandlungen hat es sich auch in jüngster Zeit wieder herausgestellt, daß zwei Kernfragen, nämlich die Reform der Lehrerbildung und die Subventionierung der nichtstaatlichen (konfessionellen) Schulen sowohl der Neuordnung auf dem Gebiete des Schulrechtes, wie auch der auf dem Gebiete des Staatskirchenrechtes im Wege stehen.

Man ist nach all dem, was in diesem Zusammenhang seit 1949 geschehen ist, wohl an dem Punkt der Entwicklung angelangt, an dem eine Entscheidung fällig ist. Auch in der Grundsatzpolitik gilt das Prinzip alles politischen Handelns, daß nämlich dann, wenn es sich erweist, daß die Methoden die Tatsachen nicht zu ändern vermögen, die Methoden zu ändern sind. Die in der Schulpolitik gewonnene Erfahrung drängt uns immer wieder zur Lösung des Konkordatsproblems. Dabei hat man mit der unveränderten Haltung der SPOe zu rechnen, wonach, wie gesagt, das Vertragswerk von 193 3 zwar gültig, die Transformierung des Vertragsinhalts in den in nerstaatlichen Rechtsbereich aber niemals zustande gekommen ist. Hält man dagegen die Auffassung des Staatssekretariats des Hl. Stuhles, so ergibt sich die klare Differenz der Auffassungen: Das Staatssekretariat lehnt es ab, sich auf die Unterscheidung der Gültigkeit im Sinne des Völkerrechtes von der Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich einzulassen. Es verlangt das Recht aus der Ausführung des Vertrags.

Damit sind die Erwägungen in die Nähe der Ultima ratio gelangt: Die Kündigung des Konkordats 193 3. Sie könnte ohne Schädigung des Vertragspartners in dem Zeitpunkt erfolgen, in dem sich die Regierungsparteien über die Grundnüge eines neuen Konkordats einig gev/orden sind und die Regierung dem Hl. Stuhl ein pactum de contrahendo anzubieten in der Lage wäre.

Die OeVP wird nach ihren bisherigen programmatischen Erklärungen, ihren Anträgen in der Bundesregierung und im Nationalrat, insbesondere aber nach den Grundsatzerklärungen des Parteitages in Innsbruck (Dezember 1958), in der Lage sein, ihren Wählern eine Lösung der Konkordatsfrage zur Entscheidung vorzulegen, die der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Sinne des Staatsgrundgesetzes ebenso entspricht wie der traditionellen Stellung der Kirche in Oesterreich und den vom Hl. Stuhle zu vertretenden Ansprüchen. Nach den bisherigen öffentlichen Verlautbarungen der SPOe müßte auch die zweite Koalitionspartei imstande sein, ihren unerläßlichen Beitrag für die politische und rechtliche Lösung des Konkordatsproblems zu bieten. Die Gewährsleute der SPOe besetzen einige Ressorts, von denen aus wichtige kirchenppJitische Fragen zu beantworten sind. Darnach wird sie in der Frage des Eherechtes ebenso schwerwiegende Entscheidungen zu treffen haben wie die OeVP auf dem Gebiete des Schulrechtes.

Damit ist das Wort Kündigung ausgesprochen. Ich spreche nicht von Kündigung um jeden Preis., Wohl aber bin ich gegen das bisherige Fortwursteln um jeden Preis.

Die Neuorientierung der Konkordatspolitik wird nicht von heute auf morgen möglich sein. In dieser Zeit der Neuorientierung müssen die bisherigen Junktimierungen Konkordat-Schulfrage, Schulfrage-Eherechtsreform und wie diese Junktimierungen in der Vergangenheit gelautet haben mögen, gelöst werden. Dies kann geschehen, ohne daß sich die Regierungsparteien in Grundsatzfragen präjudizieren, indem sie etwa an Stelle der Lösung des Schulproblems in einem, das Prinzip der sukzessiven und partiellen Lösungen wieder aufnehmen.

195 5 hat man es auf diesem Wege begonnen. Die Gesetzwerdung der im Sommer 195 5 verabschiedeten Teilscbulgesetze und das Hoch-schulorganisationsgesetz aus der gleichen Zeit wurden von einem meiner Parteifreunde im Parlament mit dem Verhalten einer Katze verglichen, die den heißen Brei umschleicht. Mir ist das Beispiel mit dem Brei recht, allerdings in dem Sinne, daß ich seit Kindestagen gewohnt bin, den Brei vom Rand her auszulöffeln, wenn er zu heiß auf den Tisch kommt. Wir studieren eben in der Koalition die Fragen der Kulturpolitik nicht im milden, Schein der Studierlampe, sondern in der Nachbarschaft eines Ofens, in dem zu Zeiten gehörig eingeheizt wird. Dazu kommt, daß angesichts der tiefgehenden politischen und weltanschaulichen Gegensätze der beiden Regierungsparteien eine organische Lösung des Schulproblems in einem von heute auf morgen wohl kaum erwartet werden kann. Bei diesem Umstand hat die Unterrichtsverwaltung den Plan einer Lösung der Schulfrage in Etappen fertiggestellt.

Wenn es gelingt, auch nur einige dieser Gesetzeswerke unter Dach zu bringen, bis den politischen Faktoren ein grundsätzliches Kompromiß der Art, wie es in Belgien in jüngster Zeit zustande gekommen ist, gelingt, dann wäre die erste Bewegung in die erstarrten Fronten gekommen. Das günstige Fortschreiten der Verhandlungen über das Hochschulstudiengesetz ermutigt trotz der im kulturpolitischen Klima der Koalition vorherrschenden Kälte zu solchen Erwägungen.

Bleibt ein Einwand. Wieder stehen Wahlen vor uns. Wenn die Wahlkämpfe um kulturpolitische Streitfragen kreisen sollten, dann wird es vielleicht neue, größere Distanzierungen und neue Wunden geben. Keine Kombination um den Wahlausgang dürfte den Umstand vergessen, daß man in Oesterreich zwar in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen Kombinationen außerhalb der gegenwärtigen Koalition finden könnte — daß es aber bei der Lösung der kulturpolitischen Grundprobleme des Zusammenwirkens der beiden Großparteien bedarf. Die ausständige Schulgesetzgebung verlangt Lösungen, .die zwischen Bund und Ländern paktiert oder verfassungsrechtlich basiert werden müssen. Auch in der Konkordatsfrage gibt es keine Lösung, bei der eine Großpartei ohne die andere vorgehen könnte. Der siamesische Zwilling, zu dem die politische Konstellation seit den Tagen Seipels und Seitz' die beiden Großparteien in kulturpolitischen Fragen gemacht hat, kann keinen Schritt vorwärts kommen, wenn nicht auch der „andere“ seinen Fuß vorsetzt.

In kulturpolitischen Fragen geht es um ernste Anliegen des Menschen. Das Schicksal des siamesischen Zwillings ist nicht nur fatal; es zwingt zum Paktieren und gestattet kein Diktieren. Um diese Tatsache wird die Kulturpolitik in Oesterreich heute und morgen nicht herumkommen. Das ist keine Warnung, sondern ein Aufruf an alle, die guten Willens sind.

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