„Politik soll klarer informieren“

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Was kann Österreich von der deutschen Lehrer-Knappheit lernen? Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, rät dem Nachbarn das, was er auch Berlin empfiehlt: Es braucht eine differenzierte Bedarfsanalyse und klare Aussagen für Interessierte.

In Deutschland schlug der Philologenverband zu Schulbeginn Alarm: 45.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen an deutschen Schulen (insgesamt gibt es zirka 800.000 Lehrer). Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, im FURCHE-Interview über Ursachen des Mangels und Versäumnisse der Politik.

FURCHE: Wie dramatisch ist die Situation in Deutschland tatsächlich?

Josef Kraus: Man muss differenzieren: Es gibt keine Nachwuchsprobleme im Bereich Grundschule (bei uns Volksschule; Anm.). Den Mangel an Lehrern gibt es an Gymnasien, Real- und Hauptschulen und an berufsbildenden Schulen. Bei den berufsbildenden haben wir schon seit 20 Jahren einen Mangel an Lehrern in technischen und wirtschaftlich-kaufmännischen Fächern. Was den allgemeinbildenden Bereich betrifft haben wir einen geteilten Arbeitsmarkt: Es gibt ein Überangebot an Lehrern mit sprachlichen und sozial- bzw. geisteswissenschaftlichen Fächern, aber einen Engpass in Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften. Aber auch in Latein.

FURCHE: Was sind die Ursachen für den Mangel?

Kraus: Wir haben in den mathematischen, naturwissenschaftlichen Fächern oder Informatik einfach viel weniger Bewerber. Was dazu kommt: Für Absolventen dieser Fächer gibt es alternative berufliche Perspektiven außerhalb des Schulbetriebs. Wenn jemand vor der Wahl steht, ob er in der Wirtschaft als Einsteiger 40.000 Euro im Jahr verdient oder im Schuldienst als Referendar (im Vorbereitungsdienst) zwei Jahre lang zwölf- bis 15.000 Euro im Jahr, dann ist dieser Absolvent für die Schule verloren. Solche Alternativen hat ein Englischlehrer eben nicht. Selbst wenn es in gewissen Fächern mehr Nachwuchs gäbe, eines kommt dazu: Bis 2020 werden 300.000 der 800.000 deutschen Lehrer in den Ruhestand gehen. Ich rechne also nicht damit, dass sich die Situation in den nächsten Jahren entspannen wird.

FURCHE: Hat die Politik verabsäumt, diesen Lehrern attraktivere Angebote zu machen?

Kraus: Ja. Aber überhaupt werfe ich der Politik vor, dass sie verabsäumt hat, die jungen Leute differenziert darüber aufzuklären, in welchen Bereichen wir einen Mangel haben werden. Die Politik gibt immer nur pauschale Antworten: Wir haben zu viele oder zu wenige Lehrer. Es fehlt eine differenzierte Bedarfserhebung. Das wäre aber machbar.

Furche: Was kann aber kurzfristig getan werden, um in diesem Schuljahr über die Runden zu kommen?

Kraus: Da kann ich aus dem Nähkästchen plaudern, ich bin seit 16 Jahren Direktor eines Gymnasiums in Bayern. Ich stehe jedes Jahr vor dem Problem, fünf bis sechs Prozent meiner Lehrerstunden auf dem freien Markt holen zu müssen. Das klingt nicht viel, sind aber 100 Unterrichtsstunden, die ich auf diese Weise abdecken muss. So habe ich etwa vier Ingenieure gewonnen, die nebenberuflich für je vier Stunden Physik unterrichten. Dann habe ich auch drei pensionierte Lehrer gewinnen können, noch einige Stunden zu unterrichten. Sie dürfen sechs Stunden zusätzlich zu ihrer Rente dazu verdienen. Hier könnte es noch großzügigere gesetzliche Rahmenbedingungen geben.

FURCHE: Diese Leute haben zum Teil keine pädagogische Ausbildung. Es wird aber immer von Politikern betont, wie wichtig die Bildung unserer Kinder ist. Wie werden diese provisorischen Lösungen von den Eltern aufgenommen?

Kraus: Meine Elternvertretung ist mit der Lösung sehr einverstanden, weil sie wissen: Wenn es diese Lösung nicht gibt, dann müsste ich Stunden kürzen. Zur pädagogischen Qualifikation: Manche dieser nebenberuflich als Lehrer tätigen Ingenieure sind Naturtalente, die anderen lernbereit. Die ausgebildeten Lehrer helfen ihnen beim Unterrichten als Mentoren. Ich sehe das auch positiv: Es ist für die Schule auch eine Bereicherung, andererseits aber eine zusätzliche Beanspruchung für die anderen Lehrer.

FURCHE: Welche Lehren kann Österreich aus der deutschen Situation ziehen?

Kraus: Ich rate das, was ich auch unserer Politik empfehle: eine differenzierte Bedarfsanalyse. Junge Leute sollten klar wissen: Mit diesen Fächern wirst du gebraucht, mit diesen zurzeit und zukünftig eher nicht. Darüber hinaus: Man muss sich überlegen, wie man übergangsweise Engpässe ausgleichen kann: Wie kann ich Nebenbeschäftigungen an Schulen attraktiver machen? Stundenlöhne zwischen 18 und 25 Euro sind nicht unbedingt attraktiv. Überhaupt gilt eines: Man muss sich überlegen, wie man den Lehrerberuf wieder interessant und attraktiv für junge Leute macht. Das schlechte Lehrerimage hat im deutschsprachigen Raum leider lange Tradition. In Deutschland gab es sogar Ministerpräsidenten, die das schlechte Image nährten und sich damit in Szene gesetzt haben, so nach dem Motto: Lehrer sind faul, sie haben den bestbezahlten Halbtagsjob der Welt, usw. Das hinterlässt Spuren bei den jungen Leuten, das ist Anti-Werbung. Das hindert unsere leistungsfähigen jungen Leute daran, diesen Beruf zu ergreifen.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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