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Preis- und Gewissensfragen

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Vor wenigen Wochen wurde eine Befragung über das hochaktuelle Thema der europäischen Integration durchgeführt. Jahrelang dauern auch bei uns schon die Auseinandersetzungen über diesen Problemkreis. Eine schlichte Einleitungsfrage lautete:

„Welche Staaten sind Mitglieder der EFTA?“

Antworten: Alles richtig: 3,33 Prozent, teilweise richtig: 49,67 Prozent, ein Staat oder mehrere Staaten falsch: 9,47 Prozent, weiß nicht: 37,53 Prozent.

„Gehört Österreich zur EWG, zur EFTA oder zu keiner der beiden Vereinigungen?“

Antworten: EFTA: 66,25 Prozent, EWG: 5,18 Prozent, zu keiner der beiden: 10,51 Prozent, weiß nicht: 18,06 Prozent.

Das heißt, ein relativ hoher Prozentsatz der Befragten weiß nicht einmal, wer zur EFTA gehört, ja, nicht einmal, ob Österreich bei der EWG oder EFTA ist. Noch interessanter wurde es, als man fragte:

„Nehmen wir an, die Partei, die Sie zu wählen beabsichtigen, würde gegen eine Verbindung Österreichs mit der EWG eintreten. Würden Sie diese Partei dann nicht wählen oder trotzdem wählen oder gerade deswegen wählen oder würde das Ihre Wahlentscheidung nicht beeinflussen?“

Antworten: Ich würde diese Partei nicht wählen: 13,32 Prozent. Ich würde diese Partei trotzdem wählen: 22,95 Prozent. Ich würde diese Partei gerade deswegen wählen: 5,77 Prozent. Ich ließe meine Wahlentscheidung nicht beeinflussen: 45,45 Prozent. Weiß nicht: 12,51 Prozent.

Ob man da wohl noch behaupten kann, die Integration ist eine wahlentscheidende Frage?

Aber eine Antwort der Österreicher war erfreulich eindeutig:

„Würden Sie einer Teilnahme Österreichs zustimmen, wenn dadurch die Neutralität Österreichs ernstlich gefährdet würde?“

Antworten: Ja: 6,14 Prozent, nein: 81,79 Prozent, weiß nicht: 12,07 Prozent.

Da stoßen wir übrigens auf eine Erscheinung, die wir immer wieder bemerken: So mager es bei Wissensfragen, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, ausschaut, hat der Österreicher intuitiv sehr oft eine feste Vorstellung, was sein kann und sein soll. Und diese Vorstellung, die oft rational von ihm gar nicht begründet werden kann, ist viel vernünftiger, als manche es wahrhaben wollen. Dieses hausverstandmäßige, richtige Erfassen der Situation merkte man sehr deutlich auch bei einer Umfrage über die große oder kleine Koalition, als die Auseinandersetzung darüber sehr aktuell war. Im Spätsommer 1963 stellten die Interviewer an 1181 Personen die Frage: „Zwischen welchen Parteien ist die Koalition Ihrer Meinung nach am günstigsten?“ 66 Prozent der Befragten gaben die Antwort: „Zwischen ÖVP' und SPÖ.“ Und das.'nach-dem Koalitionskrise, Parteitage, Pressefeldzüge und Reden von maßgebenden und weniger maßgebenden Politikern wahrhaft dazu beigetragen hätten können, den Glauben der österreichischen Wähler an die Koalition zu erschüttern.

Ein letztes Beispiel, das gerade in der Steiermark manchen, der glaubt, einen Wahlkampf mit „nationalen“ — im Sinne von antiösterreichischen — Parolen führen zu müssen, zumindest aus taktischen Überlegungen zur Zurückhaltung rufen sollte. Mit Unterstützung des Unterrichtsministeriums führt die Studiengesellschaft eine langfristige Untersuchung über den Österreicher und seine Einstellung zu diesem Staat durch. Die ersten Ergebnisse liegen vor. Eine der Fragen lautete:

„Manche Leute sagen: Die Österreicher sind eine Nation. Andere sagen: Die Österreicher sind keine Nation. Wieder andere sagen: Die Österreicher beginnen, sich erst langsam als Nation zu fühlen. Wer hat recht?“

Antworten: Die Österreicher sind eine Nation: 47,37 Prozent. Die Österreicher sind keine Nation: 15,34 Prozent. Die Österreicher beginnen sich erst langsam als Nation zu fühlen: 23,04 Prozent. Weiß nicht: 14,25 Prozent.

Der Sozialwissenschaftler hat kein Recht, als Wissenschaftler Werturteile über Ergebnisse seiner Arbeit zu fällen. Aber manchmal wünschten wir nur, daß einige dieser Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt würden.

Es war im Rahmen eines Aufsatzes selbstverständlich nur möglich, ein paar Punkte aufzugreifen. Auf Grund von viel mehr Untersuchungen, die wir in dem Buch „Der durchleuchtete Wähler“ darzustellen versuchten, können wir zusammenfassend nur etwas sehr Erfreuliches sagen: Jedes sachliche Problem zu einer politischen Existenzfrage hochzuspielen, Politik mit dem permanenten Blick über die Schulter auf den Wähler zu treiben, die Gefälligkeitsdemokratie zur Richtschnur der Politik zu machen wird durch die Ergebnisse der Meinungsforschung nicht gedeckt. Dies festzuhalten scheint uns schon deswegen notwendig, weil von Politikern immer wieder der merkwürdige Vorwurf kommt, die Sozialforschung verführe zu Opportunismus in der Politik. Echte Sozialforschung in Österreich zeigt: Mehr Sachlichkeit, mehr Geradlinigkeit und mehr Verantwortungsfreudigkeit dürften sich eher bezahlt machen als rückgratloser Opportunismus. Die Meinungsforschung kann dem Politiker keine Entscheidungen abnehmen. Aber vielleicht kann sie ihm Orientierungshilfe sein, so das Richtige zu tun.

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