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Pressefreiheit und Justiz

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Wir haben in Österreich durch sieben schwere Jahre nicht nur Diktatur, sondern Tyrannei erlebt. Kein Wunder, daß daher gerade uns Demokratie und ihre Einrichtungen teuer sein müssen.

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Wir haben in Österreich durch sieben schwere Jahre nicht nur Diktatur, sondern Tyrannei erlebt. Kein Wunder, daß daher gerade uns Demokratie und ihre Einrichtungen teuer sein müssen.

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Demokratie und Diktatur sind — so sollte man meinen — zwei Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen; und doch geschieht im Namen der Demokratie manches, das bei. näherer Betrachtung einer solchen berechtigten Annahme zu widersprechen scheint.

Demokratie ist die Regierungsform, bei der die oberste Gewalt im Staate unmittelbar oder mittelbar von der Gesamtheit der mündigen Staatsbürger ausgeübt wird. Diktatur ist die Regierungsform, bei der die Staatsgewalt im Gegensatz zur Demokratie nicht vom ganzen Volk, sondern von einzelnen ausgeübt wird. Wir haben in Österreich durch sieben schwere Jahre nicht nur Diktatur, sondern Tyrannei erlebt. Kein Wunder, daß daher gerade uns Demokratie und ihre Einrichtungen teuer sein müssen.

Zu den wichtigsten Einrichtungen des Staates zählt die Rechtspflege, die, soll sie eine demokratische sein, sich turmhoch abheben muß von jener Kabinettsjustiz, die das traurige Vorrecht jener Tyrannei war. Demokratische Rechtspflege verlangt, daß die Rechtssprechung vom Volke ausgeht — ins Praktisch übersetzt, daß im Bezirke des Strafgerichtlichen Verfahrens die im Untersuchungsverfahren tätigen Staatsanwälte und Richter das Vertrauen des Volkes genießen, ein Verlangen, dem das österreichische Verfassungsgesetz durch die Bestimmung des Artikels 86 entspricht, wonach „die Richter gemäß dem Antrag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten oder auf Grund seiner Ermächtigung vom zuständigen Bundesminister ernannt werden“. Zum anderen aber hat das Volk an der Rechtsprechung selbst in weitgehendem Maße mitzuwirken sei es in der Form von Schöffen oder Geschworenen. Demokratische Gerechtigkeit verlangt, daß bei der Zusammensetzung der Volksrichter rücksichtlich der Zugehörigkeit zu den einzelnen politischen Parteien die Ergebnisse der Wahlen die Grundlage bilden. Die Berufsrichter, die — einmal berufen — unabsetzbar und an keine Weisungen gebunden sind, bedürfen ebenso wie die Volksrichter in der Ausübung ihres Amtes eines besonderen Schutzes, soll die Justiz nicht zum Tummelplatz politischer Leidenschaften werden.

Es darf vor allem in ein anhängiges Strafverfahren nicht eingegriffen, in der Öffentlichkeit für einen in gerichtliche Untersuchung Gezogenen weder in dem einen, noch in dem anderen Sinne Stimmung gemacht, dem Urteil, welches von den Richtern gefällt werden soll, nicht vorgegriffen werden, denn auch die Volksrichter, die über das Schicksal des Angeklagten zu urteilen berufen sind, leisten vor Antritt ihres Amtes einen heiligen Eid, „der Stimme der Zu- oder Abneigung, der Furcht oder der Schadenfreude kein Gehör zu geben“, so daß jede Beeinflussung der Rechtssprechung von außen demnach auf Grund gesetzlicher Vorschrift zu vermeiden ist, haben doch die Richter auf Grund ihres Eides nur so zu entscheiden, „wie sie es vor Gott und ihrem Gewissen verantworten können“.

Die Beachtung des Grundsatzes der Unbeeinflußbarkeit der Rechtsprechung ist. seit eh und je anerkannt und wurde in Österreich für so wichtig gehalten, daß die Strafgesetznovelle 1862 in den sogenannten, noch heute in Geltung stehenden Lassers dien Artikeln denjenigen eines Vergehens schuldig werden läßt, der eine Anklageschrift, noch ehe sie in der Hauptverhandlung verlesen wurde, oder der während des Ganges einer strafgerichtlichen Untersuchung zu den Akten gekommene Beweisergebnisse, ehe sie in der Hauptverhandlung erörtert wurden, durch den Druck veröffentlicht; wer aber den vermutlichen Ausgang eines Strafverfahrens oder den Wert eines Beweisergebnisses vor dem Urteil 1. Instanz erörtert, macht sich gemäß Artikel VIII eines noch schwereren Vergehens schuldig.

Zur Zeit der Schaffung der Lasse,rschen' Artikel (1862) war die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung und die Gefahr der Beeinflussung der Volksrichter geringer als heute, denn nach Artikel 91 des österreichischen Verfassungsgesetzes „hat das Volk an der Rechtsprechung mitzuwirken“, und es steht zu erwarten daß in Durchführung dieses Grundsatzes das Volk noch in weiterem Ausmaße als bisher zur Rechtsprechung herangezogen wird. Um so mehr aber ist es nötig, auf die Einhaltung der Schutzvorschriften Bedacht zu nehmen, denn schon die Achtung des Gerich res verbietet eine Bevormundung der Rechtsprechung. Entspricht der Diktatur die Terrorisierung der Rechtsprechung, so ist es ein Gebot der Demokratie, den Gang einer gerichtlichen Untersuchung freizuhalten von jeder journalistischen Begleitmusik und unseren österreichischen Richtern zu vertrauen, daß sie ihre Pflicht tun. Und wir können diesen Richtern vertrauen, an deren Spitze als Bundesminister ein dem Parlament verantwortlicher Mann steht, der die Gewähr dafür bietet, daß im Bereiche der Rechtspflege demokratische Grundsätze verwirklicht werden.

Zum anderen ist es Sache der zuständigen Gerichte — zu urteilen. Unter „urteilen“ im weiteren Sinne des Wortes ist auch eine gerichtliche Entscheidung über die Einstellung einer Voruntersuchung zu verstehen. Jeder, der die Genauigkeit unserer Gerichte kennt, kann von der Gründlichkeit gerichtlicher Voruntersuchungen erzählen. Deshalb darf es nicht vorkommen, wie es vorgekommen ist, daß nach durchgeführter Voruntersuchung und Einstellung des Verfahrens ein Zeitungsartikel den durch Einstellung des Verfahrens Rehabilitierten ohne Anführung neuer Umstände als Verbrecher eines bestimmten Deliktes zeiht, rüeksichtlich dessen gerade eine gerichtliche Untersuchung geführt, aber eingestellt. wurde. Oder es darf nicht vorkommen, daß eine Zeitung gegen Gericht und Staatsanwalt den Vorwurf erhebt, man habe es in einem politischen Verfahren vor Gericht geflissentlich vermieden, einen bestimmten Tatbestand auch nur zu streifen, indes in Wahrheit bezüglich dieses Tatbestandes im gerichtlichen Verfahren die Voruntersuchung beantragt, beschlossen, durchgeführt und auf Grund der Ergebnisse des Verfahrens aber eingestellt worden ist. Solche Vorfälle erinnern daran, daß es irr. Interesse der Rechtspflege geboten ist, die Presse daran zu gemahnen, daß ihrer großen Macht auch Pflichten gegenüber der Gesamtheit und dem einzelnen gegenüberstehen. Die Mißachtung dieses Grundsatzes führt notwendigerweise zu einem Mißbrauch der im demokratischen Interesse notwendigen Pressefreiheit.

Anläßlich der Verteilung der Drucklizenzen in Salzburg hielt General Mc Crystal eine Rede, in der er bezüglich der Pressefreiheit ausführte:

„Die Pressefreiheit ist ein wesentlicher' Grundsatz und das Privileg einer demokratischen Nation. Sie ist ein von allen freiheitsliebenden Völkern der Welt aufrechterhaltenes Vorrecht. Einmal erreicht, muß sie gepflegt und eifersüchtig gehütet werden, denn nur bei richtiger Anwendung kann sie dem Volk, dem sie gewährt ist, von vollem Nutzen sein. Zu oft wurde die Freiheit der Presse ungehemmt ausgenützt. Zu oft wurde dieses mächtige Instrument mißbraucht, um kleinlichen Zwecken oder der Befriedigung persönlichen Ehrgeizes oder Intrigen zu dienen.“

Um solchem Mißbrauch der Pressemacht zu begegnen, scheint es mir geboten, daß dem journalistischen Stande selbst Gelegenheit gegeben wird, zur Wahrung der Stahdespflichten und des eigenen Ansehens vorzugehen, denn auch die Freiheit des Journalisten ist beschränkt durch Grundsätze demokratischen Gewissens.

Wir erlebten es, daß in der letzten Zeit ihrer Berufsausübung wegen in Zeitungen heftige Angriffe gegen Rechtsanwälte erhoben, ja daß solche bei ihrem Auftreten in Räumungsprozessen bedroht und mißhandelt wurden. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer ist solchen Erscheinungen erst kürzlich entgegengetreten, soweit sie die unabhängige Ausübung des Berufes des Anwaltes und das Recht jedes einzelnen' auf anwaltliche Vertretung vor Gerichten und Behörden betrifft. Wie das in den „Juristischen Blättern“ veröffentlichte Rundschreiben darlegt„ wurde in ausführlichen Darlegungen an die Staatsregierung und die Presse auf die Notwendigkeit der unbehin-( derten und unabhängigen Berufstätigkeit des Rechtsanwaltes hingewiesen. Wenngleich die Freiheit der Berufsausübung es dem Anwalt ermöglicht, alles, was er nach dem Gesetze für die Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzu-hringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, hat diese Freiheit nach demselben Gesetzes Paragraphen (9 R. A. O.) ihre Beschränkung darin, daß diese freie Art der Berufsausübung „seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten“ darf. Trotz der gesetzlich gesicherten allgemeinen und freien Ausübung seines Berufes kann daher der gewissenlose Anwalt von seiner eigenen Standesvertretung diszipliniert, suspendiert, ja sogar eliminiert werden.

Die Heranziehung dieser Bestimmungen scheint mir nicht unangebracht Es mehren sich Fälle, in denen die Presse unsachliche Angriffe gegen Richter. Staatsanwälte und Rechtsanwälte erhebt, in denen ein Verstoß gegen ' die Lasserschen Artikel oder eine Bevormundung, ja Beeinflussung der Rechtsprechung zu erblicken ist. Hier muß rechtzeitig zum Rechten geschaut, es müssen die Interessen demokratischer Rechtsprechung mit den Interessen demokratischer Pressefreiheit in Einklang gebracht werden. W i e aus Gründen öffentlichen Interesses der Anwalt der Disziplinargewalt seiner Kammer untersteht, scheinen mir bei richtig verstandener Pressefreiheit auch öffentliche Interessen dafür gegeben, daß auch der Journalist, dem' die demokratische Pressefreiheit eine beachtliche Macht in die Hand gibt, bezüglich der Art der Ausübung seiner Berufspflicht seiner eigenen Standesvertretung Rechenschaft zu geben hat, die mit entsprechen der Befugnisauszustatten wäre, um nach dem Vorbild von Einrichtungen anderer demokratischen Staaten selbst für die Reinheit und Sauberkeit irr eigenen Hause zu sorgen.

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