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Digital In Arbeit

Prinzipien des lebensträchtigen Wirtschaftens

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Mit dem Verlust des bäuerlichen Elements verliert unsere Gesellschaft mehr als nur einige Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

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Mit dem Verlust des bäuerlichen Elements verliert unsere Gesellschaft mehr als nur einige Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

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Man hat auch das Gefühl, sich nicht zu täuschen, daß der .Kreis der darüber Besorgten weit über die vordergründig Betroffenen hinausgeht.

Bauer sein heißt Umgang mit der Natur und dem Leben. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, denen sich der Bauer anpassen muß. Naturgebundenheit bedeutet auch Ortsgebundenheit. Bäuerliche Arbeit ist in unserem Lande in erster Linie Familienarbeit. Dies ist zwangsläufig Merkmal bäuerlicher Arbeit. Sie hat das Denken und Handeln der Bauern geprägt.

Wo liegen nun Werte von Lebensgerechtigkeit bäuerlicher Wirtschafts- und Lebensweise, deren Erhaltung und Förderung nicht nur allein für die Landwirtschaft wichtig sind, sondern die ganz allgemein und verstärkt zu Lebens- und Wirtschaftsprinzipien der ganzen Gesellschaft werden sollten?

1. Prinzip gegenseitiger Förderung: Bauer sein heißt - wie erwähnt - Umgang mit der Natur und dem Leben. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, denen sie gehorcht. Je mehr man gegen diese handelt, umso nachteiliger wirkt sich dies (zumindest auf Dauer) aus. Je besser der Bauer die Gesetzmäßigkeiten, die Lebens- und Wachstumsprinzipien der Natur kennt, sich ihnen anpaßt, sie in seinem Handeln unterstützt und durch seine Arbeit fördert, umso größeren Erfolg hat er. Einer hat es einmal so gesagt: „Man muß der Natur dienen, um sie zu beherrschen."

Es wäre auch im Umgang mit unseren Mitmenschen gut, wenn wir uns zunächst fragten, was ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche sind, wenn wir versuchten, diese zu berücksichtigen in der Familie, am-Arbeitsplatz, in der Gesellschaft. 2. Prinzip der Nachhaltigkeit:

Bauern und Bäuerinnen waren über Jahrtausende die Umwandler von Sonnenenergie in Lebensmittel im weitesten Sinn. Der „entwickelte" Teil der Menschheit hat dieses dezentrale, nachhaltige Energiesystem im Laufe der letzten 200 Jahre durch nichter-neuerbare Energie in Form von Boh-stoffen aus dem Erdinneren ersetzt. Heute kämpfen wir mit den Folgewirkungen dieser Energienutzung: Umweltbelastung durch das Verbrennen gewaltiger Mengen an Kohle und Erdöl in Öfen und Motoren, Grundwasserbelastung durch hohen Verbrauch an synthetischem Stickstoff, gewonnen durch Einsatz großer Mengen von fossiler Energie...

Es wird Zeit, daß wir uns auf Sicht wieder auf Sonnenenergie umorientieren. In dieser Energiezukunft wird nicht nur nachhaltige Landwirtschaft eine tragende Bolle spielen müssen, sie ist ganz allgemein die heute erkennbare und machbare Alternative zu den enormen ökologischen Problemen.

3. Prinzip der Überschaubarkeit

Bäuerliches Leben und Wirtschaften baut im Gegensatz zu vielen heutigen Entwicklungen auf kurzen Wegen auf. Arbeit, Wohnen, Familie, Kinder, Tiere, Naturerlebnis, Körperbewegung liegen nahe beieinander, ja fließen ineinander über. Kurze Wege sind meist nicht nur effizient. Folgewirkungen von Handlungen werden direkt und unübersehbar als positive oder negative Bückkoppelungen spürbar und damit auch direkt und schnell behandel- und korrigierbar. Daraus folgt: Die überschau- und gestaltbare bäuerliche Wirtschaftsweise sollte in Zukunft, wo es nur irgendwie geht, zum Gestaltungsprinzip der gesamten Wirtschaft werden und, wo es geht, die im Vergleich dazu „lang-wegigen", weitverzweigten und im höchsten Maße arbeits- und lebenszerteilenden industriellen Systeme wieder ablösen.

4. Prinzip der Selbstbestimmung und damit der Freiheit:

So wie bei uns die Landwirtschaft organisiert und betrieben wird, liegen Grund und Boden und damit die Hervorbringung von Lebensmitteln (im Gegensatz-zur Situation in weiten Gebieten unserer Erde) in den Händen bäuerlicher Familien. Das bedeutet für diese eine relative Unabhängikeit von Märkten, von Chefs und damit ein hohes Maß an Selbstbestimmung. Die Möglichkeit der Lebensmittelversorgung bietet im persönlichen oder wirtschaftlichen Krisenfall ein relativ hohes Maß an Lebenssicherheit und damit auch an Freiheit.

Es muß das Anliegen der ganzen Gesellschaft sein, die Wirtschaft und das Leben so zu gestalten, daß möglichst vielen ihrer Mitglieder ein relativ hohes Maß an Selbstbestimmung und damit auch an Freiheit möglich ist. Dies hat auch einen hohen demokratiepolitischen Wert. Je mehr es außerdem Menschen gibt, die von der Hervorbringung von Lebensmitteln viel verstehen, umso besser und sicherer ist die Lebensmittelversorgung im Krisenfall und damit auch die wirtschaftliche Freiheit eines Staates.

Aus: Landwirtschaft und Leben,

Herausgeben Studienzentrum für ■ Agrarökologie, Innsbruck

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