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Produzieren wir zuviel Akademiker?

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Die Worte „Ueberfüllung der Hochschulen“ und „Ueberproduktion an Akademikern“ wecken in uns unmittelbar Bilder von überfüllten Hörsälen und Instituten, von der Notlage stellensuchender Akademiker, für die sich in ihrem Fachgebiet kein Platz findet. Diese beiden Phänomene können zu gleicher Zeit auftreten, müssen es aber nicht. In den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg war zum Beispiel ein Ueber-angebot von Akademikern vorhanden, obgleich die Zahl der Studierenden einen Tiefstand erreicht hatte. — Heute, nachdem zehn Studienjahre seit Kriegsende vergangen sind, hat man genügend Abstand gewonnen, um die Entwicklung seit 1945 überblicken zu können. Dem Eingehen auf Details sind Grenzen gesetzt durch den Umfang des vorhandenen Materials. Dieser bestimmt den Grad der Aufgliederung nach Studienrichtungen und beschränkt die Untersuchung auf den Teil des Problems, den die Fragen um den Nachwuchs bilden. *

Nicht bei allen angegebenen Studienrichtungen wirkt sich der Ansturm auf die Hochschulen in den ersten Nachkriegssemestern in gleicher Weise aus. Bei einigen von ihnen folgt auf einen sprungartigen Anstieg sehr rasch wieder ein bedeutender Rückgang (Bodenkultur, Welthandel, Tiermedizin), bei den meisten vollzieht sich Anstieg und Absinken in gemäßigteren Bahnen; die Entwicklung bei den Montanwissenschaften und der Theologie folgt anderen Gesetzen. Bei beiden kommt in einem — im großen gesehen — steten Anstieg ein zeitlich begrenzter Andrang unmittelbar nach dem Krieg als Folge eines Nachholbedarfes nicht zum Ausdruck.

Die Theologie ist die einzige von den angegebenen Studienrichtungen, bei welcher die Frequenz während der gesamten Dauer des dargestellten Zeitraumes unter der Frequenz der dreißiger Jahre bleibt. Bei der Philosophie, der Tierheilkunde und besonders der Medizin hat der dem Nachkriegsmaximum folgende Rückgang dieses Niveau wieder weit unterschritten, die anderen Studienrichtungen halten meist nur knapp darüber, nur die Montanwissenschaften haben sich auf mehr als das Dreieinhalbfache ihrer Ausgangsposition erhöht.

Daraus wird ersichtlich, wie sehr die Verhältnisse nach Studienrichtungen variieren und wie wenig eine generelle Beurteilung der Lage den speziellen Situationen gerecht zu werden vermag. Daß unter den Theologen kein Problem eines Ueberangebotes besteht, ist leicht einzusehen, aber auch von einer Ueberproduktion an Montanwissenschaftern hat man noch nichts gehört, trotzdem ihre Zahl relativ am stärksten gestiegen ist. Dies deutet entweder auf einen großen Nachholbedarf oder auf eine beträchtliche Ausweitung des Bedarfes.

Dagegen spricht man in letzter Zeit am häufigsten vom „Aerzteüberschuß“. Betrachtet man den Entwicklungsablauf der Medizinstudierenden seit 1945, so liegt der Schluß nahe, daß nur der hohe Sättigungsgrad dieses Berufsstandes ein Umschlagen in einen fühlbaren Aerztemangel noch längere Zeit hinausschieben kann. Eine eigene, den Aerzten gewidmete Studie soll darüber demnächst nähere Aufschlüsse geben.

Aus der kritischen Betrachtung dieser Details geht eindeutig hervor, daß bei der Begriffsbildung und -bestimmung der „Ueberfüllung der Hochschulen“ und der „Ueberproduktion an Akademikern“ auf die Orientierung an dem Bedarf nicht verzichtet werden kann, wie ja schon aus der Wortbildung mit „über“ hervorgeht, daß zunächst der Bezug zum „Nörmälmaß“ gegeben sein muß. Wie kann man aber von „Ueberproduktion“ sprechen, solange der „Normalbedarf“ nicht bekannt ist? Vereinzelte Symptome können irreführen, sie allein als Indikatoren zu verwenden, reicht nicht aus. Da das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage durch das Zusammenwirken einer großen Zahl — überdies variabler — Faktoren entsteht, kann selbst eine auf Grund sorgfältiger Untersuchung zustande gekommene Diagnose nur für ein begrenztes Gebiet und für eine begrenzte Dauer Anspruch auf Gültigkeit erheben.

Den Berechnungen über den akademischen Nachwuchs sind zweckmäßig die Zahlen der ordentlichen österreichischen Hörer zugrunde zu legen. Die Gesamtzahl der Studierenden ist daher zunächst um die Zahl der außerordentlichen und Gasthörer und dann um die Zahl der Ausländer unter den ordentlichen Hörern zu vermindern. Dies bedeutet im Wintersemester 1954/55 bei den Hörern an wissenschaftlichen Hochschulen eine Reduktion auf 75 Prozent, bei den Kunsthochschulen auf 56 Prozent ihrer Gesamtzahl.

Bei einigen Studienrichtungen ist die Zahl der Ausländer, der außerordentlichen und Gasthörer im Verhältnis zur Zahl der ordentlichen österreichischen Hörer von geringerer Bedeutung (Bodenkultur, Rechtswissenschaften, Tiermedizin, Pharmazie, angewandte Kunst), hingegen verhalten sich die beiden Gruppen zueinander zum Beispiel im Studienfach Bildende Kunst wie 9:5, bei den Wirtschaftswissenschaften der Universität Innsbruck sogar wie 10:5.

Darin zeigt sich, daß für einige Studienrichtungen die Ausschaltung der nichtordentlichen und ausländischen Hörer von ganz eminenter Bedeutung ist, weil ihre Einbeziehung das Bild völlig verfälschen würde.

Es sind demnach für die folgenden Betrachtungen nur die 14.625 ordentlichen österreichischen Hörer an wissenschaftlichen Hochschulen und Kunsthochschulen relevant. Sie setzen sich aus 11.591 männlichen und 3034 weiblichen Studierenden zusammen, die sich in folgender Weise auf die Studienfächer verteilen (der Reihung der Studienfächer ist die Höhe ihrer Frequenzen zugrunde gelegt):männliche weibliche ordentl. österr. Hörer

Dies sind die Grundzahlen, von denen die Analysen im Hinblick auf die einzelnen Berufe ausgehen müßten. Ein Blick auf die Zusammenstellung lehrt, daß für manche Sparten die Zahlen so klein sind, daß bei weiteren Aufgliederungen in hohem Maße das Spiel des Zufalls der Verteilung seinen Stempel aufdrückt. So wäre es bei der Mehrzahl der Studienrichtungen wenig sinnvoll, wollte man eine alters-bzw. studienaltersmäßige Gliederung für die weiblichen Studierenden gesondert durchführen. Die Situation in den Studienfächern Maschinenwesen und Tiermedizin führt dieses Unterfangen geradezu ad absurdum.

Von grundlegender Bedeutung für Aussagen über die voraussichtliche Entwicklung des Angebotes für die einzelnen akademischen Berufsbereiche ist die Kenntnis der Verteilung der Studierenden auf die Semester. Daß es bisher trotz verschiedener Bemühungen wegen der Kompliziertheit der Verhältnisse nicht gelungen ist, einwandfreie Angaben über die Fach Semester zu erlangen, wirkt sich nachteilig aus, da gerade diese für den Zeitpunkt des Studienabschlusses ausschlaggebend sind. Die Anwendung verschiedener Bestimmungen über die Anrechenbarkeit von Studiensemestern für ein bestimmtes Studium führt zu Diskrepanzen zwischen der Zahl der Studiensemester und der Zahl der Fachsemester der Studierenden. Es wird damit zu rechnen sein, daß die Zahl der Fachsemester im allgemeinen etwas geringer ist als die der Studiensemester, welche der Untersuchung in Ermangelung präziser Angaben über die Fachsemester zugrunde gelegt wurden.

Von allen Studienrichtungen die besten Voraussetzungen für Prognosen über die Entwicklung in den nächsten Jahren bieten, dank ihrer straffen, schulmäßigen Gliederung, die Montanwissenschaften, wo weder eine offene Gruppe noch ein „Ueberhang“ von über das vorgeschriebene Maß hinaus Studierenden die Kalkulation erschwert. Dagegen sind Erkenntnisse auf dem Gebiet der an Technischen Hochschulen gelehrten Fächer in ihrem Aussagewert beeinträchtigt, weil die Zahl der Elf-, Zwölf- und Mehrsemestrigen verhältnismäßig hoch ist und der Zeitpunkt der Studienbeendigung bei diesen nicht abgeschätzt werden kann. Dasselbe gilt für die Studierenden der Tierheilkunde und der bildenden Kunst. Bei Musik und darstellender Kunst müßten die einzelnen Fächer getrennt untersucht werden, da diese Studierenden eine nach mehreren Gesichtspunkten inhomogene Gesamtheit verkörpern. Allgemein kann festgehalten werden, daß nur die Handelswissenschaften, die Rechts- und Staatswissenschaften und die philosophischen Fächer einen Semester-aufbaü besitzen, der aus einem steigenden oder doch mindestens stationären Zugang zu diesen Studienrichtungen resultieren könnte, bei den übrigen ist mit Wahrscheinlichkeit, bei einigen sogar mit Sicherheit (Montanwissenschaften, Tierheilkunde) ein Rückgang anzunehmen. Stationären Zugang vorausgesetzt, müßte die Zahl der Studierenden mit der Höhe der Semester abnehmen (Aufgabe des Studiums vor seiner Vollendung aus verschiedenen Gründen). *

Untersuchungen über den Ausfall von Studierenden während des Studiums haben ergeben, daß die Verlustquoten erheblich sind, und zwar bei den weiblichen Studierenden größer als bei den männlichen.

Von einer Gesamtheit gleichzeitig in ein Studium eingetretener ordentlicher österreichischer Hörer setzen bei den männlichen Studierenden nach Absolvierung von vier Semestern 73 Prozent, bei den weiblichen nur noch 64 Prozent der Ausgangszahl ihr Studium fort. Das neunte Semester erreichen nur 42 Prozent der männlichen und 34 Prozent der weiblichen Hörer, wobei zu berücksichtigen ist, daß für eine Reihe von Studienrichtungen weniger als neun Semester vorgesehen sind (vorwiegend solche, in denen der Anteil der weiblichen Studierenden hoch ist: Pharmazie, Welthandel mit sechs, philosophische Fächer, Rechts- und Staatswissenschaften usw. mit acht Semestern). Abgesehen von den höheren Semestern, in denen sich schon die Abgänge infolge ordnungsgemäßen Studienabschlusses bemerkbar machen, sind für die männlichen und weiblichen Studierenden die stärksten Verluste nach dem ersten und zweiten Semester zu verzeichnen, allem Anschein nach jene Fälle, die nach einem kurzen Versuch erkennen, daß entweder ihre Fähigkeiten oder ihre Neigungen für die Absolvierung eines Studiums nicht ausreichen. Nach Ueberwindung dieser Klippe bleibt die Zahl der männlichen Studierenden in den mittleren Semestern ziemlich konstant, während die Hörerinnen in stärkerem Ausmaß auch in diesen Semestern (wahrscheinlich vielfach wegen Heirat) ihr Studium abbrechen. Vom Beginn des 3. Semesters bis zum Ende des 7. Semesters beträgt der Abgang bei den männlichen Studierenden 11 Prozent, bei den weiblichen 22 Prozent.

Für die Situation im akademischen Berufsleben ist es nicht ohne Belang, in welchem Lebensalter der Eintritt in das Berufsleben in der Regel erfolgt. Je höher das Alter, desto kürzer die Berufsdauer, desto häufiger der Wechsel der Berufsträger. Theoretisch könnten alle Studierenden unter 25 Jahre alt sein, denn auch die längsten Studien können bei einem ohne Komplikationen absolvierten Studium in diesem Alter beendet sein. Im besten Falle — Beginn des Studiums unmittelbar nach der Reifeprüfung mit 18 Jahren — kann der Studierende nach den ersten zwei Semestern 19, nach vier 20, nach sechs 21, nach acht 22 und nach zehn Semestern 23 Jahre alt sein. Die Wirklichkeit weicht von diesem Bild stark ab.

Es zeigt sich, daß ein beträchtlicher Teil der Studierenden älter ist, als es für den „Normalstudiengang“ notwendig wäre. Ob dies nur davon abhängig ist, wie weit die oben aufgestellte Relation zwischen Studienalter und Lebensalter für die Gesamtheit der Studierenden zutrifft, wäre durch Spezialuntersuchungen zu klären.

Aus dem Wintersemester 1953/54 liegen diesbezüglich Zahlen für die Erstsemestrigen vor, aus welchen hervorgeht, daß von ihnen nur 30 Prozent unter 19 Jahre alt waren, das heißt, daß bei 70 von 100 Studienanfängern im Sinne der oben aufgestellten Relation das Lebensalter dem Studienalter nicht entspricht.

Die Folge davon ist, daß der Eintritt in die akademische Berufslaufbahn in der Regel weiter hinausgeschoben ist, als dies unter Zugrundelegung der vorgeschriebenen Studienzeit erwartet werden könnte, wodurch die Berufsdauer in vielen Fällen nicht unwesentliche Verkürzungen erfährt, einerseits durch Ueberschrei-tung der Semesterzahl, anderseits durch höheres Lebensalter schon bei Beginn des Studiums. Diese Verhältnisse genau zu analysieren, muß Aufgabe von Einzeluntersuchungen sein, da, wie das Schaubild zeigt, die Situation nach Studienrichtungen stark variiert. Ueberdies ist zu beachten, daß die Ausführungen nur auf der Zahl der Inskribenten beruhen, das heißt, die im Prüftmgsstadium Stehenden, die nicht mehr inskribiert sind, bleiben außerhalb der Betrachtung. Das bedeutet, daß die je nach Studienrichtung längere oder kürzere, für das Prüfungsstadium benötigte Zeit noch zusätzlich berücksichtigt werden muß, ein weiterer Faktor, der sich als Verzögerung des Berufseintrittes auswirkt.

Damit ist in groben Zügen das Bild, soweit es aus den Ergebnissen der Hochschulstatistik hervortritt, umrissen, und die Aufgabe der Studie, einen Hinweis auf den Problemkreis zu geben und damit zugleich einen kurzen Ueber-blick zu bieten, erfüllt. Es ist hier nicht der Raum, um auf die vielen Details einzugehen, die vielleicht eher wissenswert erscheinen mögen als allgemeine Hinweise. Einblicke in Details können jedoch von einer allgemein gehaltenen Diskussion nicht erwartet werden, dies muß Spezialbeiträgen zu diesem Thema, ausgehend von den einzelnen Berufsbereichen, vorbehalten bleiben.

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