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Programmierung — ja oder nein?

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Langsam, aber offensichtlich umso unaufhaltsamer, beginnen die unliebsamen Mahner, die vielgeschmähten, belächelten „Theoretiker“, die seit Jahren auf die ungenügende österreichische Wirtschaftspolitik in Wort und Schrift hinweisen, recht zu behalten. Solangs die hohen Wachstumsraten der Wiederaufbauperiode manche wirtschaftspolitische Ungereimtheiten zwar nicht sanierten, aber doch verdeckten, konnte man sich schon einiges leisten. Nun ist das Wachstum langsamer geworden, und siehe da, die ersten bösen Wunden tauchen auf. Man spricht von Strukturschwächen, die dumme Phrase von der mangelnden Europareife unserer Wirtschaft wird von Sonntagsrede zu Sonntagsrede weitergereicht, nebst der Versicherung, daß man alsbald diese Europareife durch eine zielbewußte Wirtschaftspolitik zu erreichen gedenke. In welchem Zeitraum denn? In sechs Monaten, in einem Jahr, in fünf Jahren?

Strukturschwächen wurden mitaufgebaut

Was soll das alles? Seit Jahren wird kein Problem mehr hinreichend gelöst, es wird hinausgeschoben, gezögert, dilettiert, gestritten, aber nichts getan. Die Politik ist schuld daran, daß keine Politik gemacht wird. Nörgler und Raunzer hat es bei uns immer gegeben, richtig. Aber es hat auch genug Katastrophen gegeben, politische und wirtschaftliche. Strukturschwächen tauchen auf. Ja, aber die müssen wir uns doch in den Jahren seit dem Krieg einge-wirtschaftet haben. Wir haben doch, wie gerne versichert wird, fast am Nullpunkt begonnen. Da wurden gleich unsere Strukturschwächen mitaufgebaut und zwar krisenfest. Es wäre aber verfehlt, würden da und dort auftretende Schwierigkeiten überschätzt werden oder gar eine Katastrophenstimmung provozieren. Dazu ist wahrlich kein Grund vorhanden. Solange Menschen wirtschaften, wird es Schwierigkeiten und Probleme geben, wesentlich ist nur, daß diese erkannt und energisch bekämpft werden. Wir sollen um unsere Schwächen wissen, sie auszumerzen trachten, aber vor allem unsere Wirtschaftskraft nicht unter- und geringschätzen. Richtig ist, daß etwas geschehen muß. Es mag vielleicht zutreffend sein, daß manche Akten sich durch langes Liegen selbst erledigen, aber seit wir wissen, daß auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft kein Verlaß ist, empfiehlt es sich nicht, pltehrwürdiges bürokratisches

Die Debatte war entmutigend

Die Hoffnung, daß etwas geschehen wird, bekam in den letzten Wochen aber wieder einen erheblichen Dämpfer: Der bisherige Verlauf der Debatte über die Programmierung war wenig ermutigend. Seit in Österreich offiziös entdeckt wurde, daß es in Frankreich eine „Planification“ gibt, viele westliche Staaten mit einem sogenannten „Nationalbudget“ oder, anders gesagt, einer „vorausschauenden volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ arbeiten, wird darüber diskutiert, ob auch wir uns derartige Hilfsmittel der Wirtschaftspolitik zulegen sollten.

Solange österreichische Fachleute eine Versachlichung der Wirtschaftspolitik, eine gute und rasche Statistik forderten, fanden sie nur wenig Gehör. Jetzt aber hat die Komödie der Irrungen und Wirrungen erst so richtig begonnen. Von schroffer Ablehnung jedweder „dirigistischer“ Ein-

flüsse bis zur schlichten Anbetung des Planungsmythos reicht die Skala der bereits öffentlich geäußerten Emotionen. Eine an sich vernünftige und sinnvolle Sache wird von Mentalreservationen, Emotionen, von Unkenntnis und ideologischer Sektiererei schon umgebracht, ehe überhaupt noch hinreichend fundiert geprüft wurde, inwieweit auch in Österreich moderne Hilfsmittel für die Wirtschaftspolitik aktiviert werden könnten. Das Österreichische Institut für Wirtschafsfotschung hat bereits in seinem Februarheft eine wohlabgewogene Stellungnahme zum Problem „Nationalbudget als Instrument der Wirtschaftspolitik“ abgegeben und darauf hingewiesen, daß in Österreich mangels ausreichender Voraussetzungen einmal bescheiden begonnen werden sollte. Der statistische Apparat müßte ausgebaut, ein Team von Fachleuten gebildet werden Nicht zuletzt wären aber auch die wirtschaftspolitischen und administrativen Probleme zu klären. Dazu aber bedarf es eines sachlichen Gesprächs, nicht nur der Experten, sondern auch der Wirtschaftspolitiker.

Eines sollte bei den Überlegungen nicht übersehen werden: Grundsätzlich handelt es sich um keine neuen revolutionären Ideen. Bereits 1952 wurde von der Forschungsstelle zur Aufstellung volkswirtschaftlicher Bilanzen eine Broschüre „Das Volkseinkommen“ veröffentlicht, in der zum Beispiel auch auf das „Nationalbudget“ hingewiesen wurde, das, wie es dort heißt, „den Versuch dar(stellt), die erhofften Ergebnisse der wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu quantifizieren“.

Lassen wir alle Vorschläge, heißen sie nun „wirtschafts- oder sozialpolitischer Beirat“ oder „Wirtschaftskommission“, beiseite und fragen wir einmal prinzipiell danach, worum es geht. Neben vielen anderen hat dies Richard R u g g I e s, ein amerikanischer Nationalökonom, in seinem Buch „Volkseinkommen und volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen“, das in englischer Sprache bereits 1949 erschienen ist, trefflich beschrieben: „Die modernen Wirtschaftssysteme sind derart kompliziert, daß aus einer

Fülle verschiedener möglicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen bewußt eine Auswahl getroffen werden muß. Eine vernünftige Politik läßt sich ohne Kenntnis und Verständnis der Vorgänge in der Wirtschaft nicht formulieren ... Die Probleme sind ungeheuer vielfältig und in ihrer Vielfalt schwer ganz zu erfassen. Mit fortschreitender Erkenntnis läßt sich jedoch eine relativ immer stärkere Kontrolle über die Verhältnisse, unter denen die Wirtschaft arbeitet, erzielen.“

Ein feineres Instrumentarium tut not!

Jeder Versuch einer Versachlichung der Wirtschaftspolitik, einer „Planung“ in der Marktwirtschaft ist letztlich nichts anderes als der Versuch, die wirtschaftspolitischen Methoden und Instrumente dem technisch-naturwissenschaftlichen Standard

anzupassen. Die Informations- und Kontrollinstrumente wie zum Beispiel das „Nationalbudget“, aber auch die Gestaltungsinstrumente, gleichgültig, ob finanz-, währungs- oder handelspolitischer Natur, sollen ausgebaut und verfeinert werden. Jede Form der „Programmierung“ ist daher nichts anderes als das Bemühen, die Kluft zwischen der ungeheuren Differenziertheit des technischen Geschehens in der Wirtschaft und dem vergleichsweise primitiven Instrumentarium, das der wirtschaftspolitischen Praxis zur Verfügung steht, zu überbrücken. Wenn dies vielfach auch nicht deutlich ausgesprochen wird, so schwingt bei den Programmierungsüberlegungen doch der Gedanke mit, daß unsere groben und differenzierten wirtschaftspolitischen Methoden nicht ausreichen, den komplizierten Produktionsapparat zu steuern.

Nur Hilfsorgan der Regierung

Die Forderung nach mehr Planung in der Wirtschaftspolitik läuft daher zunächst darauf hinaus, ein reicher differenziertes und feineres Instrumentarium zu schaffen. Dabei muß Klarheit darüber herrschen, daß neue wirtschaftspolitische Methoden unter Umständen ordnungspolitische Konsequenzen haben können. Aber auch unser bisheriger punktueller Interventionismus hat ordnungspolitische Konsequenzen, die in der Regel bisher entweder nicht beachtet oder gar nicht erkannt worden sind. Wobei in der Angst vor grundlegenden ordnungspolitischen Veränderungen doch nicht übersehen werden sollte, daß eine „starre“ Wirtschaftsordnung ohnedies ein unerreichbares Ideal ist. Schon allein der technische Fortschritt bringt auch eine ordnungspolitische Dynamik mit sich, die nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Im Rahmen einer Programmierung könnten aber auch diese Prozesse besser überschaubar und beherrschbar gemacht werden. Freilich, von einem „Nationalbudget“, von feineren wirtschaftspolitischen Methoden Wunderdinge erwarten zu wollen, ist abwegig, der Fortschritt geht gerade auf diesem Gebiet nur zäh und langsam vor sich, der Blick in die

Zukunft ist ein mit vielen Fehlermöglichkeiten behaftetes Unterfangen.

Die Verantwortung bleibt bei den Politikern

In einem vor einiger Zeit erschienenen Aufsatz eines schwedischen Nationalökonomen über „Nationalbudget“ und „Konjunkturpolitik in

Schweden“ wird auf Mängel und Schwächen hingewiesen. Es gibt Fehlerspannen, es gibt Irrtümer, aber welches Werkzeug ist schon vollkommen? Weder das „Nationalbudget“ noch ein verfeinertes wirtschaftspolitisches Instrumentarium nehmen der Bundesregierung die Verantwortung für die wirtschaftspolitischen Entscheidungen oder gar diese selbst ab. Damit ist vielleicht das ernsteste Problem in diesem Zusammenhang angeschnitten. Niemand kann sich aus guten Gründen gegen eine Versachlichung der Wirtschaftspolitik wehren. Argumenten wie: wir hätten keine ausreichende Statistik, es gebe zu wenig versierte Ökonomen, es fehle eine starke staatliche Autorität als Träger der Wirtschaftspolitik und schließlich auch der Wille zu sachlichen Lösungen, sind keine Gegen-, sondern Proargumente, zeigen sie doch, wie dürftig wir eigentlich ausgerüstet sind. Wenn nicht operiert werden kann, weil kein Skalpell vorhanden ist, sollte eines beschafft werden. Wenn wir in Österreich zu einem anderen Stil in der Wirtschaftspolitik kommen wollen, müssen wir uns darüber klar sein: Wenn die Institution, die geschaffen wird, nicht ausschließlich ein Instrument der Bundesregierung ist, laufen wir Gefahr, daß der Autoritätsverfall der Regierung anstatt gebremst beschleunigt wird.

Es kommt gar nicht mehr so selten vor, daß da und dort davon gesprochen wird, bei dieser oder jener Maßnahme müsse auch noch die Bundesregierung als „Partner“ dabeisein. Derartige Äußerungen geschehen nichts weniger als böswillig, sind aber doch symptomatisch dafür, wo wir heute halten. Wenn Interesse daran besteht, daß der verfassungsmäßige Zustand bleibt, wonach den Mitgliedern der Bundesregierung und der Bundesregierung in ihrer Gesamtheit die obersten Verwaltungsgeschäfte übertragen sind und sie für ihre Handlungen eine besondere Verantwortung tragen, dann darf aber schon gar nichts mehr unternommen werden, um die Autorität dieses Organs weiter zu schmälern, hingegen alles, um sie zu stärken. Wie immer die Konstruktion aussieht, die neu zu schaffende Institution müßte ein Hilfsorgan der Bundesregierung sein, hätte nur über Auftrag der Regierung tätig zu werden und nur ihr verantwortlich zu sein. Aus diesem Grund wäre ein Beirat, gleichgültig, wie er getauft wird„ empfehlenswert, dem ein Büro zur Verfügung steht.

Man sollte auch zur Kenntnis nehmen, daß eine generelle Konjunkturbeurteilung und eine Konjunkturbeeinflussung mit generellen Mitteln nicht alles bedeuten, obwohl ihnen ohne Zweifel der Primat zukommt. Die unvollkommenen Kenntnisse der Entwicklung in verschiedenen Teilgebieten müssen ebenfalls verbessert werden. Daß dies ohne die Mitarbeit der einzelnen Unternehmungen geht, ist kaum vorstellbar. Freilich, entscheidend ist die Form dieser Mitarbeit. Zusammenfassend muß aber gesagt werden, daß jeder Versuch einer ideologischen Ausnützung der Stiländerung der Wirtschaftspolitik den erwünschten Effekt der neuen Maßnahmen von vornherein zunichtemachen würde.

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