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Proporz

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Der Proporz bei der Besetzung von Posten im Bereich der Gebietskörperschaften war stets ein willkommenes Füllmaterial für einen Teil jener Presse, die sich in Oesterreich als unabhängig bezeichnet. Nun ist es aber in der Sache des Proporzes bei der Vergebung von Stellen in der staatlichen Industrie zu einer interessanten Frontbildung gekommen, die so nebenher auch im Rahmen des grotesken Zeitungskrieges sichtbar geworden ist. Ein prominenter Sprecher der Vereinigung Oesterreichischer Industrieller ist wegen des Proporzes in eine Auseinandersetzung mit dem Obmann des OeAAB geraten. Dabei erhielt der Industrielle eine — freilich nur die Unkundigen überraschende — Unterstützung vom „Klassenkampfgegner“. Die Sozialisten, welche in Oesterreich den Proporz begründen halfen, aber derzeit für die verstaatlichte Industrie nur unmittelbar verantwortlich zeichnen, bewiesen dem Industriellenbund unverhohlen ihre Sympathie in seinen Auseinandersetzungen und ließen so Kombinationen über künftige Koalitionen zu, wie anderseits die Haltung des Industriellenbundes gegenüber der VP indirekt zu erkennen gab, daß zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, als der Vertretung der kleineren Unternehmer, und den „freien“ Industriellen Spannungen bestehen — ein neuerlicher Beweis, daß es so etwas wie die Einheit der Unternehmer nicht gibt. Und nicht geben kann. Trotz der im Kammergesetz vorgesehenen Bemühungen um den „Interessenausgleich“.

In den Auseinandersetzungen um den Proporz geht es nun um Dinge, die reparabel sind: um die notwendig gewordene Korrektur von Auswüchsen, aber auch um Erscheinungen, die einen Teil der politischen Wirklichkeit darstellen.

Die wichtigeren Stellen in der öffentlichen Verwaltung wurden stets von den Angehörigen jener Gruppen besetzt, die in den Führungsgremien die Mehrheit, zumindest aber Einfluß hatten. Etwa als sogenannte „führende Minorität“. Seit sich Macht als Staatsmacht und Verwaltungsmacht niedergeschlagen hat, gibt es so etwas wie einen Proporz. Auch außerhalb des Terrains der öffentlichen Verwaltung besteht ein System der Postenvergebung, das alle Merkmale des Proporzes hat. Etwa in der sogenannten Privatwirtschaft. Dort gilt keineswegs ausschließlich das Prinzip, daß über die Vergebung von Stellen lediglich die sachliche Tüchtigkeit entscheidet. Wie oft ist nicht das Verwandtschaftsverhältnis des Postenwerbers zum Eigentümer des Unternehmens der Anlaß von Fehlbesetzungen. Freilich muß der Unternehmer, der als Folge einer falschen Personalpolitik zu Schaden kommt, diesen Schaden selbst tragen. Aber nicht zur Gänze. Das Finanzamt wird, da Betriebsausgr'-e eben Betriebsausgabe ist, wohlweislich nach dem Prinzip „Halbes Leid ...“ beteiligt.

Im „Einparteienstaat“ gibt es dagegen die Probleme des Proporzes nicht. Da wird einfach nach dem Verteilungsschlüssel .100:0 der staatliche Verwaltungsapparat besetzt. Je mehr nun der Staat im Bereich der Gesellschaft sich festsetzt und vor allem selbst als Unternehmer auftritt, um so stärker kommt uns das Problem des Verteilungsschlüssels bei der Vergebung der öffentlichen Stellen zum Bewußtsein. Ja es gibt sogar schon einen Denkmalproporz (Renner— Kunschak).

In Oesterreich ist das Problem noch deswegen von einer demonstrativen Offensichtlichkeit, weil die beiden Regierungsparteien, ob man es nun zugibt oder nicht, letzten Endes doch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben und sich bei Besetzung der öffentlichen Stellen darauf berufen können, daß die Minorität, die nicht zum Zug kommt, wahlmathematisch gesehen, Anhänger von Parteien sind, die sich nur mit Vorbehalt zum österreichischen Staat bekennen.

Die Gegner des Proporzes sind nun jene, die glauben, daß sie selbst oder ihre Gesinnungsfreunde von den Vorteilen des Proporzes ausgeschlossen sind. Dazu kommen aber noch die vielen, die meinen, auch im Bereich der öffent-, liehen' Verwaltung habe bei Besetzung der Posten lediglich der Grundsatz der sachlichen Eignung zu gelten.

Nun gibt es aber neben dem offenen Proporz, der sogar vertraglich festgelegt ist (wenn nicht topographisch: So gehört ein Bezirksschulinspektor in X stets der Partei A), noch einen geheimen Proporz, einen informellen Verteilungsschlüssel bei der Vergebung von Einfluß und Würden, den man nicht unbeachtet lassen sollte. Schon deswegen nicht, weil es nicht selten seine Nutznießer sind, die in gesuchter Objektivität den offenen Proporz bekämpfen, der ihre Kreise stört. Neben den Parteien gibt es nämlich Machtgruppen, die man in der Bundesrepublik und jüngst auch in Großbritannien auf ihren Einfluß hin untersucht hat, Quasiparteien, die manchmal, weil sie sich mit Sachlichkeit etikettieren, oft mehr Massenwirkung erzielen können als die formell als Parteien errichteten Gruppen. Es ist jedenfalls nicht richtig, davon auszugehen, daß die Stellen in der öffentlichen Verwaltung — wie das so dargestellt wird — von den Parteien im Verhältnis 1 :1 verteilt werden, gleichsam als Siegesbeute. Tatsächlich gibt es eine Besetzung im Verhältnis von 1:1:1. Um das letzte „eins“ geht bei uns der Kampf. Ganz abgesehen davon, daß es eine Beleidigung der vielen Fachleute in der verstaatlichten Industrie ist, wollte man davon ausgehen, daß sie alle ihre Stelle nur ihrer „Gesinnung“ verdanken und nicht ihrem Können, weiß jeder Kundige, daß die Postenvergebung in der „Verstaatlichten“ auch von Mächten beeinflußt wird, die ihren Standort nicht in den Parteisekretariaten haben. Gäbe es einmal einen „Tag X“, wie der 13. März 1938 einer war, wir würden Ueber-raschungen erleben! Die Annahme, daß — wie behauptet wird — von sechshundert Generaldirektoren vierhundert „rot“ sird (und die anderen zweihundert „schwarz“), ist ein brauchbares politisches Märchen, das nur den Lesern der tagtäglich erscheinenden „Comic books“ aufgetischt werden kann.

Niemand, der um die Art der Vergebung öffentlicher Stellen weiß, darf leugnen, daß es einen Proporz bei der Postenvergebung gibt. Ebenso dürfte aber nicht die „Dritte Kraft“ übersehen werden, deren Einfluß in Oesterreich bis in die Regierung reicht. Sonst wären manche Postenvergebungen ebenso unverständlich wie etwa d'e Tatsache, daß auf Hochschulboden einem hochqualifizierten Katholiken ein Ordinariat vorenthalten wird, während anderseits niemand etwas dagegen hat, daß ein Prominenter aus der verflossenen Aera bereits eine Zusage für ein Ordinariat in der Tasche zu haben scheint.

Jedenfalls sieht man bei vielen, die vor 1945 nichts an dem ab 1938 in der „ostmärkischen“ Verwaltung geübten „Proporz“ auszusetzen fanden, daß sie jetzt gegen die geübte Vergebungspraxis Stellung nehmen, wobei sie nicht selten jene für die Bildung des Proporzes verantwortlich machen, die ihn nicht als erste geschaffen hatten. Fast zwei Jahrzehnte „bürgerliche“ Regierung in Oes'erreich hatte es, wie wir 1938 erkennen konnten, nicht vermocht, die hohen Beamtenposten mehrheitlich mit „Christlichsozialen“ zu besetzen. Ganz anders bei der Gemeinde Wien. Das sollte nicht übersehen werden.

So sehr aber der Proporz lediglich ein neuer Name für eine stets in der öffentlichen Verwaltung geübte Praxis der Stellenvergebung ist und kaum jema' beseitigt werden kann, mußman doch gegen die Art der Betätigung des Proporzes Bedenken haben. Sicher dient der Proporz auch dazu, daß die Parteien den Auftrag ihrer Wähler ausführen und für die Durchführung ihrer politischen Leitsätze wichtige Posten mit Menschen ihres Vertrauens besetzen können. Anderseits rechtfertigt eine an sich schwer abzuändernde Verwältungspraxis kaum die mit dieser Praxis verbundenen und behebbaren Mängel.

Erstens wirkt der s t a r r e. S c h 1 ü s s e 1, der auf Jahre festgelegt ist, oft grotesk. So wenn man einen Heizerposten mit einem Mann der Partei1 A und einen Direktorposten mit dem Mann der Partei B besetzen muß, auch wenn keine Parteibewerber vorhanden sind. Dann kommt es eben so, wie bei der Errichtung des Offizierskörpers im Bundesheer, wo die Quote von der einen Partei mangels „Material“ nicht ausgenutzt werden konnte und Bewerber, die nicht der vor einem Materialdefizit stehenden Partei angehörten, sich rasch „einfärben“ lassen mußten, um zum Zug zu kommen. Das soll sogar bis weit hinauf so gewesen sein. Derlei muß notwendigerweise zur Unaufrichtigkeit führen. Es gibt nun einmal Menschen, die bei allem politischen Engagement keiner Partei beitreten wollen. Wie gefehlt ist es daher, hochqualifizierte Menschen in einer Demokratie zu zwingen, einer Partei beizutreten, nur um sich eine Existenz zu schaffen oder um befördert zu werden.

Dazu kommt noch, daß Menschen, die nichts für eine ausgeschriebene Stelle mitbringen als eine Gesinnung — und wenn sie auch nur auf einem Karteiblatt festgehalten ist —, auf Stellen kommen, die nicht nur hochdotiert sind, sondern auch dem Inhaber Entscheidungsmacht gaben, die nun zum Nachteil der Oeffent-lichkeit nutzen kann. Die Folge ist eine unverantwortliche Verschleuderung von öffentlichen Mitteln. Vorsorglich müssen wir aber festhalten, daß die Fehlbesetzung durch den Proporz keineswegs solchen Umfang hat, wie es die Boulevardpresse oft darstellt. Auch die gute alte Zeit kannte so etwas wie Protektion, einen ungeregelten Proporz und Fehlbesetzungen. Jedenfalls sollte von oben peinlich vermieden werden, das System der parteimäßig abgestempelten Direktoren in der verstaatlichten Industrie weiter auszubauen und zu den jeweiligen zwei Parteidirektoren noch, zur tatsächlichen Arbeitsleistung, einen nichtetikettier-ten Fachmann zu bestellen.

Gewisse Bereiche des öffentlichen Dienstes aber müßten vorweg vom Proporz ausgeschlossen sein; so die Justiz. Nachdrücklich muß man aber die Versuche ablehnen, Posten, für deren Schaffung keine sachliche Notwendigkeit besteht, nur deswegen zu errichten, um Protektionskinder oder Protektions greise zum Zweck der Abhaltung eines Büroschlafes unterzubringen. Wir wiederholen: Das Recht der politischen Parteien, bestimmte Stellen mit Menschen, die ihre Grundsätze vertreten, zu besetzen, soll unbestritten bleiben. Etwas anderes zu verlangen hieße die politischen Wirklichkeiten zu verkennen oder jenes „Berufsbeamtentum“ herstellen zu wollen, das wir aus den Epochen der großen Despoten kennen. Was aber nicht sein darf, ist die Einführung einer Art Amterblichkeit in allen Bereichen der Verwaltung, eines Dispositionsmonopols.

Das System des Proporzes, das in der Zeit der Vollbeschäftigung ohnedies nur noch auf die Beförderungen Einfluß hat, kann dagegen für die Besetzung von politischen Posten, insbesondere von Posten, bei deren Ausfüllung staatspolitische Gesinnung in einem hohen Maß gefordert werden muß, als gültig anerkannt werden. Im Prinzip. Menschen, die den Beweis geführt haben, daß sie auch bei rigoroser Prüfung perfekte Gesinnungslose sind, geneigt, jedem Herrn zu dienen, der sie gut zahlt, sind etwa für Posten im Apparat der Staatspolizei oder des Unterrichtswesens kaum geeignet. Ebensowenig wie die Gesinnungswechsler„ die im rhythmischen Abstand ihre Gesinnung ändern. Vor aller Welt und sogar zuweilen auf „höchster Ebene“.

Wenn die Forderung nach dem Beweis staatspolitisch einwandfreier Gesinnung bei Besetzung einzelner Stellen eine Selbstverständlichkeit ist — auch in der verstaatlichten Industrie —, so ist di Angelegenheit etwas schwieriger, wenn es um das Recht der Parteien geht, Posten so zu besetzen, daß sie Männer ihres Partei-vertrauens auswählen. Wir kennen das System bei den Präsidentschaftswahlen in den USA. Die Mängel im Verwaltungsapparat der USA hängen damit zusammen, daß man hohe Staatsstellen im allgemeinen nur von Wahl zu Wahl mit Sicherheit innehaben kann und der Durchfall, den ein Präsident hat, die Gefahr einer Kündigung anzudeuten vermag. Staatsämter sind in den USA die Beute des Präsidenten-Eroberers. Das sollte bei uns nicht so sein. Wer Beamter in gehobener Stellung ist, muß es bleiben, gleich, wer Minister ist. Freilich hat er die Aufträge seines Ministers zu erfüllen, ob er nun dessen Gesinnung hat oder nicht, ebenso wie er sein Dienstgeheimnis auch gegenüber seinen in Opposition befindlichen Gesinnungsfreunden zu wahren hat. Die großen Parteien täten gut daran, im Interesse der Sauberkeit unserer Verwaltung und um gerade jetzt neue Attraktionen für den Eintritt in den Staatsdienst zu schaffen, in Hinkunft neben der selbstverständlichen Staats treue nur bei besonders wichtigen Posten auch Partei treue zu verlangen.

Wenn die Diskussionen um den Proporz nun sogar bis in die Regierungsparteien hinein geführt werden, dann sollten alle Beteiligten, ,auch die Proporzgegner, mehr Sachlichkeit in die Debatte bringen und alle Formen des Proporzes, auch den informellen der „Dritten Kraft“, beachten, der mehr Bedeutung hat, als man ihm bisweilen beimißt.

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