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Proporz: Pro und kontra

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PARTEIEN, PROPORZ UND STAAT. Von Theodor Veit er. Heft 1 der Schriftenreihe der Vereinigung Vorarlberger Akademiker. Verlag Eugen Ruß, Bregenz. 58 Seiten. Preis 12 S.

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PARTEIEN, PROPORZ UND STAAT. Von Theodor Veit er. Heft 1 der Schriftenreihe der Vereinigung Vorarlberger Akademiker. Verlag Eugen Ruß, Bregenz. 58 Seiten. Preis 12 S.

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Den Proporz an sich zu verurteilen, hieße die politischen Wirklichkeiten übersehen. Ebenso wie eine Partei ist auch eine Parteienkooperation auf das Ganze des Staates hin gerichtet, bedarf aber zu ihrer Arbeitsfähigkeit einer Abmachung über die Verteilung der Macht, insbesondere dann, wenn es sich um das Kooperieren von Regierungsparteien handelt. Während diese Machtaufteilung seit eh und je bestand, hatte man bisher keinen Namen für diesen Sachverhalt, dessen Bedeutung in jenem Umfang wuchs, in dem die Parteien zuvorderst den Charakter von Interessentenparteien annahmen.

Während man die Proportionierung der Macht einfach deswegen nicht aburteilen kann, weil sie der Natur des politischen Prozesses entspricht, der notwendigerweise in seinem Verlauf sich auch als Machtaneignung und Machtabgabe darbieten muß. ist es wohl geboten, die Entartungen des Proporzsystems kritisch herauszustellen, vor allem sein Uebergreifen auf Gebiete, auf denen Parteipolitik keinen Standort haben darf, es sei nur an die Verwaltung oder die Rechtsprechung erinnert.

Zur rechten Zeit, gerade jetzt, da man versucht, in einer Maßlosigkeit der Kritik die geradezu natürliche Position der Parteien in der Gesellschaft, ihren unvermeidbaren Bestandteil überall da, wo Staat ist, zu leugnen, unternimmt es der bekannte Vorarlberger Anwalt und Rechtswissenschaftler Theodor V e i t e r UMiaaiM—bMii WM.——MM’ in einer mit einer Fülle von Material belegten Untersuchung mit der Nüchternheit des Juristen und den Interpretationsmöglichkeiten des Politologen, auf die heiklen Fragen von Partei und Proporz einzugehen. Ohne etwas zu beschönigen, in der Ungebundenheit des Wissenschaftlers wird das Pro und Kontra dargestellt, ohne daß der Verfasser „Partei“ ist, wenn es auch dem Laien bisweilen so zu sein scheint.

Nach Dr. Veiter gibt es im Einparteienstaat schon das Wort ist ein sprachlicher Nonsens keine Demokratie. Eine solche kann nur in einem Mehrparteienstaat Bestand haben. Die Probleme, um die wir in Oesterreich ringen, die Fragen von Proporz und Proporzgrenzen sind daher nur da echte Fragen und Probleme, wo ein System des Pluralismus herrscht, die Chance der Machtgewinnung, aber auch der Machtablöse. Anderseits ist jede Partei aus einer inneren Dynamik heraus geneigt, eine Monopolposition zu gewinnen, zur „einen“ Partei zu werden. Insoweit führt das System des Proporzes nicht zur Machtverteilung, sondern auch zur Machtbegrenzung.

In Oesterreich sind die Parteien in der Verfassung nicht erwähnt. Man setzt sie, von der Verfassung aus, gleichsam als gegeben voraus. Daher sind die Parteien keine juristischen Personen, obwohl sie es in der Organisationsweise und instrumentalen Form der Fraktionen sind. Anderseits aber — und das hebt der Jurist Veiter hervor — ist es bedenklich, daß die Parteien, die doch .faktisch über ihre Mandatare oberste Gesetzgeber geworden sind, von außerhalb der gesetzgebenden Körperschaften geleitet werden und sich gleichzeitig mit anderen Parteien zu einem zweiten Super- Parlament vereinigen, das sie bei uns Koalitionsausschuß nennen, der nun ein Regulativ von staatspolitischem Rang darstellt. Entgegen dem Prinzip der Gewaltentrennung greift der Koalitionsausschuß auch weit hinein in Bereiche, die parteifreier Führung Vorbehalten bleiben müßten. Sicher aber, das müßte gesagt werden, hat es auch in jener Zeit, die man oberflächlich und aus Gründen, die keineswegs stichhaltig sind, die „gute alte“ nennt, auch einen Proporz gegeben. Und was für einen. Erinnere man sich doch an die Besetzung der Aemter auf der Ebene der Hochbürokratie. Nur war es kein offizieller Proporz.

Auf Grund seiner Erkenntnisse tritt der Verfasser nachdrücklich für das von den Vorarlberger Akademikern vorgeschlagene Proporzverbotsgesetz ein. Nach diesem Gesetz das im Wortlaut in der Schrift veröffentlicht wird sollen alle Handlungen unter Strafsanktion gestellt werden, mit welchen etwa ein Dienstnehmer des Staates gezwungen wird, e:ner Partei benutreten oder aus einer Partei auszutreten. Ebenso soll z. B. die Vergebung der Posten in der öffentlichen Verwaltung nach anderen als sachlichen Gesichtspunkten Parteischlüssel untersagt werden.

Den Einfluß der Parteien auf Gebiete, wie jenes der Verwaltung oder der Führung von Unternehmungen der öffentlichen Hand, ergänzen noch die hinter den Parteien stehenden Interessentenverbände die Kammern etwa, die eine echte Selbstverwaltung, eine Entsprechung zur staatlichen Bürokratie deswegen ad absurdum führen, weil sie selbst wieder als Parteien zweiter Hand agieren und zur Desintegration der Gesellschaft beitragen.

Was wird nun verlangt:

1. Verbot der Anwendung des Proporzes bei der Aemtervergebung. Nur auf diese Weise könnte wieder ein „sinnvolles" Parteileben ermöglicht werden. 2. Müßten die Parteien selbst entbürokratisiert werden. Nur so wäre es möglich, das Interesse der Mitglieder der Parteien an diesen zu aktivieren. 3. Sollen Partei- und Staatsmacht eindeutig getrennt werden, soweit es die personalen Belange betrifft.

Die Schrift von Theodor Veiter soll nicht allein als eine wissenschaftliche Untersuchung gewertet werden, sondern auch als ein Anruf an die Verantwortlichen, die Demokratie zu demokratisieren und die unterschiedlichen Gremien, die heute ohne Legitimation unser Land faktisch verwalten, aufzulösen.

Wir wissen nicht, ob die Vereinigung der Vorarlberger Akademiker in einer anderen Schrift die Diskussion um die Entmachtung der Parteien fortsetzt. Jedenfalls wäre zu empfehlen, in ebenso gründlicher Weise wie in der vorliegenden Schrift eine Untersuchung über die Einflüsse der verdeckten Parteien in Oesterreich anzustellen, über die Macht von Gruppen, die sich oft als ungemein parteifeindlich geben, aber selbst alle Merkmale einer Partei an sich tragen und den offiziellen Proporz nur deswegen abgeschafft wissen wollen, weil sie selbst wieder oder erstmalig jenen Einfluß auf den Staat und die Vergebung der öffentlichen Aemter gewinnen wollen, den sie den Parteien neiden.

Gelänge es der genannten Akademikervereinigung auch für diese Untersuchung einen Autor von gleich hoher Qualität wie Theodor Veiter zu gewinnen, wäre die politische Literatur unseres Landes ungemein bereichert.

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