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Proporzregierung folgt aus Verhältniswahlrecht

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Bei einer Verfassungsreform sollte nie der Eindruck entstehen, daß sich Schwarz und Rot verbünden, um Blau, Grün oder Liberal zu verhindern.

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Bei einer Verfassungsreform sollte nie der Eindruck entstehen, daß sich Schwarz und Rot verbünden, um Blau, Grün oder Liberal zu verhindern.

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Osterreich ist klein. Seine Länder sind noch kleiner. In diesen Staaten sind Gesetzgebung und Parlament nicht das wichtigste. Das wichtigste in der Politik sind Be-gierung und Verwaltung. Die Länder sind mehr und mehr zu Trägern der Vollziehung geworden. Das gilt von der EU, das gilt vom Bund her gesehen. Politik wird zur Vollzugssache, Föderalismus zu Vollzugsföderalismus. Es ist daher zweckmäßig, wenn Parteien entsprechend ihrer Stärke in der Begierung vertreten sind.

Wenn man gerecht sein will, soll man es konsequent sein: Dem ersten Schritt, dem Proporzparlament, folgt der zweite Schritt, die Proporzregierung. Das Volk entscheidet bei der Wahl nicht nur darüber, wer im Landtag vertreten ist; es entscheidet auch darüber, wer in der wichtigeren

Landesregierung sitzt. Die von der Verfassung festgelegte Proporzregierung ist also nicht nur gerechter, sondern auch demokratischer. Das Volk entscheidet über die Zusammensetzung der Begierung. Damit dürfen alle wichtigeren Gruppen mitbestimmen. Das bedeutet Chancengleichheit.

Die Wahl ist nicht eine Fahrt ins Blaue. Es ist vorhersehbar, wohin die Reise der Begierung geht. Regierungssicherheit bedeutet auch Rechtssicherheit. Die Zusammenarbeit aller wichtigen politischen Kräfte, im Ideal die Zusammenarbeit ihrer Besten in der Regierung, kann sich im'-Rahmen der neuen föderativen europäischen Ordnung bewähren. Es kommen mehr”rpolitische Begabungen zum Zug. Niemand wird in diesem System vom Regieren ausgeschlossen.

Nicht nur der Landtag, sondern auch die Landesregierung ist aufgrund der Kleinheit und der zu lösenden Probleme auf Zusammenarbeit ausgerichtet. Durch das Mehrheitsprinzip ist diese Kooperation im Gegensatz zur Bundesregierung, in der die Einstimmigkeit herrscht, auch entscheidungsfähig. Es mag sein, daß das Sicherheitsdenken manchmal da und dort gefördert wird. Das geschieht aber auch ohne Proporzregierung. Durch sie besteht mehr Gewaltenteilung, Konsens und Kontroll-druck als in jedem anderen System.

Durch den Wettbewerb der politischen Gruppen um die Stimmen und Stimmung im Lande ist auch für Innovationen und Initiativen gesorgt. Die Kontinuität der Mitbestimmung und Mitverantwortung tfSgrdie Politik im Hauptorgan der Politik auf lange Sicht. Integration im wichtigsten Bereich des Staates, in der Verwaltung, ermöglicht im Miteinander mehr Kontrolle als von außen und als man draußen glaubt.

Mehr Kontrolle als in jedem anderen System

Das System von Begierungsmehrheit und Oppositionsminderheit ist bei einem Zweiparteiensystem in mittleren und größeren Staaten ohne viele und direkte Vernetzungen sinnvoll. Dort sind klare Fronten in großen Fragen gefordert. Im kleinen Bereich ist vieles aus verschiedenen Gründen in Übereinstimmung zu lösen. Daher ist Zusammenarbeit der wichtigen politischen Gruppen sinnvoll.

In unserem Mehrparteiensystem könnte es ohne diese Mitbestimmung leicht zu einer strukturellen Opposition auf Dauer kommen. Das war bekanntlich das Schicksal der Sozialdemokraten in der Ersten Bepublik auf Bundesebene. Selbst als stärkste Fraktion des Parlaments waren sie nicht in der Begierung. Damit war die Chancengleichheit verletzt und einige Zeit später die Demokratie.

Die offene Begierungsform wie im Bund hat ihre Beize. Aber wie an Hand der Bundesregierung zu beweisen war und ist, gewährleistet?auch sie nicht klare Fronten und politische Dynamik. Sie ist außerdem mit dem Prinzip der Einstimmigkeit verbunden: Schon ein Begierungsmitglied kann Klarheit und Dynamik verhindern. In vielen Fragen besteht auch auf Bundesebene zwischen den Parteien Ubereinstimmung und keine klare Front zwischen Begierungsund Oppositionsgruppen. Sachlichseriöse Politik besteht heute vielfach in einem „Ja, aber” oder „Nein, aber” der Opposition. Im übrigen haben auch Alleinregierungen ihre anfängliche new frontier- und Frontstellung verloren, Koalitionsregierungen gleich welcher Zusammensetzung ebenso, und zwar gerade dann, wenn die Einstimmigkeit gegolten hat.

Die Proporzregierung ist die Konsequenz des Proporzwahlrechts. Sie hat Vorteile, sie hat Nachteile. Diese sind aber nicht allzu groß. Die Vorteile der Alternativen sind schon gar nicht so groß, daß man diese Begierungsform leichtfertig aufgeben soll. Eher sind die Illusionen über die Änderung der Politik durch ein Abgehen zu groß. Daher ist eine Nachdenkpause angebracht, um den besseren Weg zum Gemeinwohl zu wählen. Dabei wären einige Beformen schon jetzt zu überlegen, wie die Frage der Wiederwählbarkeit und Funktionsdauer, die Vereinbarkeit von Ämtern, der Ausbau der Kontrolleinrichtungen zu Minderheitsrechten, neue Formen der direkten und diskursiven Demokratie. Bei keiner Verfassungsreform sollte aber der Eindruck entstehen, daß sich Schwarz und Bot verbinden, um Blau oder Grün oder Liberal zu verhindern.

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