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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Zu seinem goldenen Priesterjubiläum hatte Papst Pius XIL sich alle Feierlichkeiten verbeten. Jetzt sei nicht Zeit für große Feste. Nur gebetet iverden sollte auf dein ganzen Erdenrund zur Buße für alles geschehene Unrecht und um die göttliche Barmherzigkeit für alle Irrenden. Aber die Kinder Roms durften dem Heiligen Vater ihre Blumenkränze bringen, ihn mit ihrem Jubel, ihren Gesängen und den Wünschen ihrer kleinen Herzen umfangen. Ihrer fünfzigtausend waren gekommen. Unter ihnen gab es keinen Unterschied der Stände und keinen der Partei. Sie waren die Boten des ganzen Volkes und so recht auch die Dolmetsche der ganzen Welt.

Das Dilemma von den zwei Heubündeln ist besonders schmerzlich, wenn es ein Finanzministerium befällt. So zum Beispiel, wie es eben jetzt geschah, als sich unsere Finanzpolitik zwischen der Besserung des Standes der Bundesschuldverschreibungen und dem Anspruch des Fiskus auf Kursgewinne entscheiden sollte. Der Stand der neuen österreichischen Staatspapiere erregt mit Recht Bekümmernis. Der Stand der Bundesschuldverschreibungen zwischen 61 bis 63 ist ein Tiefenrekord, der dadurch nicht schmerzloser wird, daß andere unsere Finanzlage mehr verschuldet haben als wir Österreicher. Aber er ist nun einmal da und deshalb der Plan, die Bundesschuldver Schreibungen durch die Zulassung zur Abstattung der Vermögensabgabe und Vermögenszuwachsabgabe gut marktgängig zu machen und ihren Kurs zu verbessern. Dem Steuerträger fällt dabei die Differenz zwischen Kurswert und der Abstattung zum Nominalwert zu. Aber da erhob der Fiskus die Hand: Das ist spekulativer Kursgewinn, also strenger St euerp flicht unterliegend! Kaum sickerten Nachrichten von diesem Einspruch in die Öffentlichkeit, begann der Kauf von Bundesschuldverschreibungen zu stocken. Das Dilemma war: Welches Heubündel ist das größere: der Vorteil des Staates aus der Erhöhung seiner Staatspapiere oder der Gewinn des Fiskus aus der steuerrechtlichen Behandlung des Unterschiedsbetrages zwischen den Anschaf fungs- kosten des Staatspapiers und seiner Verrechnung der Steuerbehörde zum Nominalwert? Das Dilemma löste sich: man fand rechtzeitig, daß der Fiskus aus der Versteuerung von Kurs- gewinnen nicht ernten könne, die überhaupt nicht gemacht wurden, da bei der Besteuerung der Differenz der Anlaß fehlt, Bundessckuld- Verschreibungen als Zahlungsmittel an die Steuerämter zu verwenden. Anweisungen an die Finanzlandesdirektionen stellen nun die steuerrechtliche Behandlung bei der Abstattung von Bundesschuldverschreibungen durch Private, Körperschaften und Betriebe hinlänglich im Sinne der Steuerfreiheit klar.

Nach dem Rechnungshof als dem obersten Hüter einer sauberen Verwaltung hat nun der Verfassungsgerichtshof als die höchste Instanz, die über unsere Verfassung wacht und die Rechte des Bürgers auch gegenüber den Übergriffen der Staatsgewalt verteidigt, durch seine letzten Erkenntnisse die Aufmerksamkeit des Publikums auf seine stille, wichtige Arbeit gelenkt. Das Vertrauen in die unbestechliche, von allen tagespolitischen Schwankungen unberührte Rechtlichkeit der höchsten Instanzen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gefühl des Staatsbürgers, in einem geordneten Rechtsstaat zu leben. Leider vermögen wir uns dagegen nicht zu wehren, daß sich im Zentrum unseres Landes am hellichten Tage durch fremden Eingriff immer wieder Ereignisse abspielen, die Recht und Menschlichkeit verletzen.

Der Kultur- und Theaterkrise soll durch einen jährlichen Kulturbeitrag der Rundfunkhörer abgeholfen werden. Eine an sich gerechtfertigte Maßnahme, die aber an die Wurzeln des Problems der Not der geistig und künstlerisch Schaffenden nicht vorzudringen vermag, solange die bestehende Steuerpraxis die zumeist bescheidenen Entlohnungen geistiger Leistung in einer Weise beschneidet, die zuweilen fast einer Strafe für geistige Betätigung gleichkommt. Es kann geschehest, daß Gehaltsempfängern Nebeneinkünfte aus schriftstellerischer Tätigkeit überhaupt vollständig weggesteuert werden, wenn sie nach den bestehenden Ansätzen in eine höhere Steuer- kategorie geraten. Das Verlangen der geistig Schaffenden nach Bekanntgabe und gemeinverständlicher Abfassung der Stewerv or Schriften und nach der Abschaffung von Geheimerlässen ist nur allzu berechtigt.

Es vergeht kaum ein Tag, ohne das nicht eine der Bewirtschaftungsbestimmungen gelockert oder aufgehoben wird. Diese Erscheinung zeigt sich jetzt in allen, bisher einem kriegswirtschaftlichen Rationierungssystem unterworfenen Marshall-Plan-Ländern, so etwa in England, wo der Aufhebung der Kleiderkarte jetzt die der Strom Sparmaßnahmen gefolgt ist. Das verhängnisvolle Wechselspiel von Bewirtschaftung und Verknappung ist durch die Marshall-Plan-Hilfe, die jetzt in ihr zweites Jahr tritt, erfolgreich durchbrochen worden. Eine neue Spirale, die von Produktionssteigerung, Freigabe und Preissenkung ist an ihre Stelle getreten. Es kommt jetzt alles darauf an, durch Arbeit und wieder Arbeit diese Maschinerie in Gang zu halten.

Mit dem strahlenden Frühlingswetter haben sich in der vergangenen Woche auch auf dem Gebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen die ersten Frühlingsboten eingestellt. In den durch Wochen mühsam fortgeschleppten Londoner Verhandlungen sind die Zurückziehung der französischen Forderungen nach Einschränkung der österreichischen Industrieproduktion und die endliche Lösung des Übersetzungsproblems des ominösen Wortes „Konstrukzia“ die ersten erfreulichen Anzeichen. Aber auch das im vergangenen Herbst beschlossene Abkommen über dpn visumfreien Reiseverkehr zwischen Österreich und Italien ist nun unterzeichnet worden und so wird ab Juni der Reiseverkehr mit unserem südlichen Nachbarn, dem in unserer Außenhandelsbilanz eine ständig wachsende Bedeutung zukommt, wesentlich erleichtert werden. Zugleich hört man von einer bevorstehenden Lockerung des Reiseverkehrs mit der deutschen Bizone. Es besteht also Hoffnung, daß der Kaufmann, der zur Wiederaufnahme unterbrochener Geschäft sbeziehungen nach Deutschland reisen will, in absehbarer Zeit nicht mehr zwei Ministerien — mit persönlicher Unterschrift des Ministers —, die Handelskammer und verschiedene alliierte und österreichische Stellen in einem Arbeitsgang von insgesamt 18 Stationen — wird in Bewegung setzen müssen, um die Ausreisegenehmigung zu erhalten. Österreich, das nach dem Wort seines größten Dichters als wangenroter Jüngling „zwischen dem Kind Italien und dem Manne Deutschland“ liegt, wird seine europäische Funktion in der Mitte Europas wie der auf nehmen können.

Eindrucksvoller als alle propagandistischen Bemühungen von Ost und West sind die nüchternen Zahlen der deutschen Gebu r t s- und Sterbestatistik. Sie sprechen eindeutig zugunsten der westlichen Zonen. 1947 starben in der Ostzone zwölf Prozent aller Neugeborenen im ersten Lebensjahr, in der Bizone neun Prozent. Während in der Bizone die Geburtenzahl seit Frühjahr 1946 wieder über der Zahl der Sterbefälle liegt, hatte die Ostzone bis Mitte 1948 einen beträchtlichen, in den ersten beiden Nachkriegswintern besonders krassen Sterbeüberschuß. Erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit liegt für ganz Deutschland wieder die Geburtenzahl über der Zahl der Sterbefälle.

Das an die Regierungen Bulgariens, Rumäniens und U n g ar n s gerichtete Verlangen Englands nach Sofortmaßnahmen, die den erfolgten Angriffen auf die grundlegenden persönlichen Freiheitsrechte und den damit gegebenen Verletzungen der friedensvertraglichen Verpflichtungen ein Ende machen, und die gleichzeitig im selben Sinne an die gleichen Regierungen ergangenen Noten der USA massen in mehrfacher Hinsicht an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Hinrichtung des Bauernführers Petkoff, die Einkerkerung Dr. Manius, die kirchenpolitischen Verfolgungen, die unter anderem durch die Namen Mindszenty, Ordasz, der griechisch- katholischen Bischöfe Rumäniens gekennzeichnet sind, sie begründen in diesen Noten in gleicher Weise die Forderung nach Gutmachung und dk:. Ansage, daß man sich mit auswei- eben dek Antworten nicht begnügen, sondern allenfalls „zu anderen Mitteln greifen“ werde. Bei solcher Sprache hören die bloßen Formalitäten diplomatischer Aktengefechte auf. Den Noten wohnt aber noch eine andere Bedeutung inne. Obwohl Jugoslawien seinen Fall S t e- p in a c und verwandte Affären hat, ist nach Belgrad keine Note ergangen. Man wird in der Downing Street wie im Weißen Hause wissen, warum man mit einer so auffälligen Unterscheidung demonstriert.

Große Titelüberschriften sprachen letzter Tage von einer Zollunion Frankreichllalien. Der große Plan ist weit gediehen. Doch steht er erst im Stadium der Vorberei- tumg. Nach Artikel I werden die Vertragsparteien erst den Zeitpunkt bestimmen, mit dem ein einheitlicher Zolltarif die künftige Wirtschaftsgemeinschaft regeln wird. Mit diesem Datum werden aber alle Zwischenzölle zwischen den beiden romanischen Staaten fallen. Einem späteren Zeitpunkt ist auch die Aufschlüsselung der gemeinsamen Zolleinnahmen auf die beiden Staaten Vorbehalten, kein Problem’ geringer Art. Der Bedeutung dieses Plans wird man gerecht, wenn man sich daran erinnert, daß zum erstenmal in der neueren Geschichte zwei europäische Mächte freiwillig aus ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit in eine Gemeinschaftswirtschaft übersiedeln. Man kann sagen: Hier wird praktisch die erste Stufe für das künftige geeinigte Europa gebaut.

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