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Randbemerkungen zur woche

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Die für den vorletzten Aprilsonntag angesetzten V or arlb er g er Gemeindewahlen geben zu allerhand wohltuenden und anregenden Ausblicken Anlaß. Ein Wahlsystem, mit geradezu peinlicher Sauberkeit ausgearbeitet, sichert in vorbildlicher Art die Bestimmungsfreiheit des einzelnen Wählers und das Walten bewußter Demokratie. Eine bisher zu wenig beachtete Bestimmung verlangt, daß bei der Auswahl der Kandidaten von dem künftigen Gemeindevertreter volle Sicherheit dafür gefordert wird, daß er mit seinem Bekenntnis zum Programm der Volkspartei sich für eine Interessengemeinschaft aller Berufsstände verpflichtet. Er wird nicht Vertreter eines einzelnen Standes sein, er wird in sich das Begreifen für die Zusammengehörigkeit der ehrlich Arbeitenden aller Stände ganz wahrmachen müssen: die christlichsoziale Grundidee, deren feste Verankerung in den Massen allein eine Gewähr des Bestehens gegen den konzentrischen Angriff der Umsturzmächte bieten kann. Diese Grundidee ist das Fundament der christlichen Gesellschaftslehre, in feierlichen Akten der päpstlichen Sozialenzykliken und der christlichen Volksparteien Europas niedergelegt. Das kleine Vorarlberg erinnert an diesen wichtigen Tatbestand, der nicht zum Vorteil allzuoft vergessen wird. Auch wenn eine christliche Volkspartei sich nicht christlichsozial nennt, kommt sie, wenn sie Dauerbestand haben will, nicht um dieses Kardinalgesetz einer christlichsozialen und überhaupt öffentlichen Ordnung herum. Das kleine Voralberg! Es darf daran erinnert werden, daß zu einer Zeit, da die christlichsoziale Partei allein aus Wien und Niederösterreich eine Handvoll gewählter Volksvertreter im alten österreichischen Abgeordnetenhaus besaß, Vorarlberg das erste Land wurde, das sich durch seine Wahlen zu der christlichsozialen Bewegung bekannte. Die Tradition ist ohne Mißdeutungen geblieben. Die Richtlinien, die in der Vorarlberger Gemeindewahlordnung ausgeprägt sind, sind dafür eine neue erfreuliche Bestätigung und Einladung zur Nachfolge an andere.

Die Fragen der Nachwuchsausbil-dung, des Lehrling swesens und der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigen unausgesetzt die Öffentlichkeit. Denn die wachsenden Schwierigkeiten bei der beruflichen Unterbringung der Jugend zwingen Eltern, Lehrer, Wirtschaft, Verwaltung und Gesetzgebung gleichermaßen, sich sowohl mit den Gründen dieser Erscheinung als auch mit den Möglichkeiten ihrer Lösung auseinanderzusetzen. Im allgemeinen wird bei der Erörterung angenommen, daß nicht genügend Lehrstellen vorhanden sind, um alle Jugendlichen unterzubringen. Diese Auffassung beherrscht auch weithin die Eltern-und Lehrerkreise und kann im Augenblick vielleicht als die Sorge Nummer 1 bezeichnet werden. Jüngste Statistiken zeigen aber auch ein ganz anderes Bild. Es gibt drei Berufsgruppen, die sogar ausgesprochenen Nachwuchsmangel besitzen, nämlich die Berufsgruppe der körperlichen Schwerarbeiter (zum Beispiel Metallgießer), die Gruppe der wenig bekannten Berufe (zum Beispiel Gürtler, Feinglasschleifer) und die Gruppe wenig beliebter Berufe, zu denen seltsamerweise zum Beispiel dasTapezierergewerbe zählt. Bei den Gießern kommt auf 31 Facharbeiter ein Lehrling, bei den Industrieschmieden ist das Verhältnis 26 :1, bei den Köchen 25 :1, bei den Kellnern 18 :1, bei den Drehern 16 :1, dagegen bei den Bäckern 4 :1, bei den Maurern 3 :1. Die Glasbläser brauchen jährlich 70 bis 100, die Spengler 250 bis 300 Lehrlinge. Die Lederhosenerzeuger, Kappenmacher, Kürschner, Gerber usw. haben fast überhaupt keinen Nachwuchs, ebenso die Molkereiarbeiter und die Brauer. Man erkennt daraus, daß die Berufsausbildung nicht nur von selten des Berufsangebots, sondern auch von der Seite des Berufs Wunsches gestört ist und ausgesprochene „Moden“ die Berufswahl der Jugendlichen beeinflussen. Sucht man die Ursachen dieser Moden auf, dann entdeckt man oft neben dem Wunsch nach mühelosem Verdienst und der Anziehungskraft bestimmter technischer Zweige den von innerer Unruhe und Hast diktierten Widerstand gegen jede komplizierte und langwierige Betätigung der Hand: die Abneigung gegen das Handwerkliche an sich. Mit dieser Erscheinung wird sich wohl auch die Berufsberatung zu befassen haben.

Nachrichten aus London lassen erkennen, daß die dort eröffnete Aus Stellung vonöst erreichischenMalern der Gegenwart — die erste offizielle Darbietung österreichischer Gegenwartskunst im Ausland — dis in sie gesetzten Erwartungen leider enttäuschte. Kein Wunder, wenn man erfährt, daß in ihr 46 Maler mit je einem Werk vertreten sind; es weiß doch jeder mit künstlerischen Problemen einigermaßen Vertraute, daß ein einziges Bild über seinen Schöpfer gar nichts aussagt, wann I man sonst nichts von ihm kennt, und daß viele unterschiedliche Werke nebeneinander nur ein uncharakteristisches, sozusagen färb-loses Durcheinander ergeben müssen. — Et ist zu hoffen, daß sich derartige „Kunst-jehler“ bei den geplanten weiteren Aus-landsausstellungen, die für das Kunstleben unseres Landes und seine kulturelle Stellung von Bedeutung sind, nicht wiederholen. Kunstausstellungen im Ausland sind gerade für Österreich nicht nur kulturelle, sondern auch politische Aktionen, die nicht fehlschlagen dürfen. Der Mißerfolg der Londoner Ausstellung wäre vermieden worden, wenn man die Kollektion von Bildern, die man über den Kanal schickte, vorher in Wien gezeigt und ihre Wirkung auf die hiesige Öffentlichkeit studiert hätte. Diese Vorsicht in Zukunft — etwa anläßlich auch der kommenden Biennale — zu beachten, wird notwendig sein, sollen weitere Enttäuschungen vermieden werden.

Der politische Film spielt in der Propaganda der Vasallenstaaten eine noch größere Rolle als auf russischem Boden. Das ist nicht weiter verwunderlich. Dennoch vermag ein Aufgebot des Massenauf-peitschens und der Irreführung Aufsehen zu erregen, das sich gegenwärtig in den Kinos der Tschechoslowakei vollzieht. Der Film wird als Zusatzprogramm zu allen sonstigen Laufbildern, vor den Volksschul-kindern bis zu den großen Betriebsgesellschaften, aufgeführt. Er versetzt die Besucher zunächst in die verschneite Landschaft des Dörfchens Gihost; unter dessen braver, arbeitsamer Bevölkerung erscheint plötzlich zum allgemeinen Aufsehen ein Auto mit dem päpstlichen Wappen; ihm entsteigen vor dem Pfarrhaus drei heftig gestikulierende Männer, die nach ihrem Gehaben offenbar aufgeregte Handelstreibende sind, aber als Diplomaten und Würdenträger erklärt werden. Dann erblickt man irgendwo in einem Kirchenraum einen Geistlichen, der sich an einer Gummischnur zu schaffen macht; er setzt eine Spiralfeder in Bewegung, die das Kreuz auf dem Tabernakel wilde Schwingungen machen läßt, bis es wie ein zitternder Kompaßzeiger gegen — Westen zeigt. Doch werden vor den Augen der Kinobesucher im Film alsbald die Blumen vor dem Kreuz weggeräumt, und natürlich wird der ganze Schwindel offenbar, den der Pfarrer Taufaf inszeniert hat, um die kirchenfrommen Dörfler auf die politische Orientierung nach dem Westen zu verweisen und so im Auftrage des greisen Bischofs Picha von Königgrätz gegen die Volksdemokratie zu schüren. — Und was ist daran an dieser unheimlichen Geschichte? In der Pfarrkirche von CihoSt wollten nach Zeitungsberichten ein paar Landleute ein unerklärbares Schwanken des Altarkreuzes gesehen haben; andere meinten dann, dieselbe Wahrnehmung zu haben. Das genügte, um von einem Wunder reden zu machen. Die kirchliche Behörde mahnte sofort ab und bewahrte strenge Zurückhaltung; der Leiter der Prager Nuntiatur, der das Dörfchen besuchte, sah nichts, das die Gerüchte bestätigt hätte. Aber die Zeitungen machten Lärm und die Polizei verhaftete den Pfarrer, ohne daß dessen Aussage bekanntgeworden wäre. Der Uditore der Nuntiatur, der diplomatische Verteter des Papstes, ward zum Verlassen des Landes genötigt. Damit war die Bahn frei für einen Propagandatrick: das Wunder von Gihost! Aber die Regie ist zu hahnebüchen plump, die Zumutung, sich einer solchen Bauernfängerei zu ergeben, zu grob, als daß die Fabel von Cihost sich andere aufbinden ließen als Leute, die alles zu glauben bereit sind, das zu glauben ihnen volksdemokratisch befohlen wird. Und sei dies auch das märchenhafteste Wunder.

Einem Bericht zufolge, den „Osservatore Romano“ veröffentlicht, sei der schwerkranke Kardinal Josef Mindszenty, der aus seinem Budapester Gefängnis nach vorausgegangenen Nachrichten in die Slowakei verbracht wurde, nun nach Rußland geschleppt worden. Das römische Blatt erinnert an die bekannte Tatsache, daß wiederholt politische Persönlichkeiten früheren hohen Ranges, die nicht zum Tode verurteilt wurden, aus den Satellitenstaaten nach Rußland abgegeben wurden. Ein vereinfachtes Verfahren. In der Menschenmühle Sibiriens verschwindet der einzelne spurlos. Sein Tod ist kein Ereignis mehr, denn er ist der Namenlosgewordene unter vielen Hunderttausenden, die nicht mehr zählen. So gibt es zu keiner Zeit mehr ein die Gemüter der Menschen aufrüttelndes funebres Ereignis. Der Mensch verschwindet ohne Datum und letzte Geschichte. — Sie ist ein dämonisches Instrument, diese Staatspolizei Sowjetruß-lands, und man sucht das den Menschen anschleichende Grauen zu vermindern, indem man in der Geschichte einem Beispiel nachforscht, einem Beweis, daß nicht erst das 20. Jahrhundert von solcher Erfindung des Inferno befallen worden ist. Aber man

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