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Randbemerkungen zur woche

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Das ostdeutsche Vorbild einer „Nationalen Front“ im Dienste kommunistischer Politik macht auch in Österreich Schule. Aber anders und den Bestrebungen wenig günstig, sind hier die Voraussetzungen: Österreich kennt kein Tauroggen, keine Rußlandpolitik Bismarcks, keine Zusammenarbeit zwischen Generalstab und Roter Armee in seiner Vergangenheit. Auch die wirtschaftlichen Grundlagen und soziologischen Gegebenheiten sprechen dagegen, daß nationalkommunistisches Gedankengut einen Widerhall in breiten Kreisen der Bevölkerung finden könnte. Daher eine andere Taktik, daher das gleichzeitige Experiment mit „Nationaldemokraten“ und „Nationaler L i g a“. Während die Nationaldemokraten unter den durch Nachkriegszeit und Jugendarbeitslosigkeit politisch demoralisierten ehemaligen Angehörigen nationalsozialistischer Jugendorganisationen zu werben versuchen und ihnen ein Wiederaufleben der alten Scheinideale unter neuen Fahnen vorzaubern, appellieren die Männer der „Nationalen Liga“ vor allem an die Reste des nationalsozialistischen Führungskreises, an geistig, politisch und wirtschaftlich entwurzelte Existenzen. Kader zu stellen, statt Massen zu bewegen, ist die Parole des Nationalbolschewismus in Österreich. Daß statt der Kader nur kleine und kleinste Kreise bei dem abgekarteten Spiel mittun, erklärt sich nicht zuletzt durch die geringe Bereitschaft des österreichischen Volkes — eingeschlossen viele ehemalige Parteigänger und Mitläufer des Nationalsozialismus — zu neuen politischen Abenteuern. Ist das nationalbolschewistische Experiment in Österreich von geringen Erfolgsaussichten begleitet, so erhält es eine besondere Note doch dadurch, daß seine Fäden deutlich erkennbar zu jener Stelle hinführen, die immer wieder, zuletzt bei den Staatsvertragsverhandlungen in London, Österreich den Vorwurf einer Wiederbelebung nationalsozialistischer Tendenzen zu machen versucht. „

Dieser Tage wurden zehn Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens mit dem „Preis der Stadt Wien“ ausgezeichnet, der jeweils 5000 Schilling beträgt. Die Liste der Ausgezeichneten rief in der Öffentlichkeit keinesfalls ungeteilte Zustimmung hervor; man stellte fest, daß auf ihr Namen zu finden waren, die mit einiger Regelmäßigkeit immer wieder dort auftauchen, wo Preise verliehen werden, was gewiß für das Werk der Betreffenden, weniger aber für das Taktgefühl der Preisgerichte spricht — schließlich sind kulturelle Leistungen in unserem Lande noch nicht so selten, als daß die Auswahl nur unter einem Dutzend von Kapazitäten getroffen werden könnte. Weiter tuäre zu bedenken gewesen, daß die ohnehin nicht sehr hohen Geldsummen eher an Bedürftige — die ja darum nicht schwächere Leistungen vorzubringen haben müssen — als an “solche vergeben werden sollten, die auf sie sicherlich nicht gerade angewiesen sind. Und schließlich wäre zu fragen, ob die Auszeichnung eines Amerikaners, der hier vorläufig noch wenig bekannte und nicht unangefochtene Beiträge zur jüngeren österreichischen Geschichte verfaßt hat, nicht auf anderem Wege als dem eines 5000-Schilling- oder 200-Dollar-Preises hätte erfolgen können. Es ist notwendig und gut, daß Preise vergeben werden — aber es wäre auch notwendig, sie nur nach genauerer Überlegung zu vergeben. — Erfreulicher waren die Ergebnisse des Preisausschreibens der Wiener Arbeiterkammer, die jährlich zwanzig Preise von je 2000 Schilling für Dissertationen und andere wissenschaftliche Arbeiten gestiftet hat, deren Thema der arbeitende Mensch und seine Umwelt ist. Sie kamen gleichfalls dieser Tage zum erstenmal zur Auszahlung — die Preisträger sind fast ausschließlich Studenten. Es leuchtet ein, daß auf solche Weise — was schadet's schon, daß unter Umständen auch politische Interessen mitspielen — nicht nur ein Ansporn zu wissenschaftlicher Arbeit gegeben und eine wirkliche Begabtenförderung erreicht, sondern auch eine unmittelbare, lebendige Mitarbeit der Wissenschaft an der Lösung aktueller Probleme erzielt wird. Das Beispiel der Arbeiterkammer verdient Nachahmung. Es ließe sich vorstellen, daß Innungen, Berufsgemeinschaften und Interessenverbända mit gutem Erfolg und zum Nutzen der eigenen Bestrebungen in ähnlicher Art kulturfördernd wirken könnten.

Die Hochschulstatistik für das Studienjahr 1948149 weist einen starken Rückgang des Hochschulbesuchs gegenüber dem Vorjahr nach. Er beträgt durchschnittlich zehn Prozent, bei den weiblichen Hörern allein sogar 13 Prozent. Der Rückgang betraf mit 30 Prozent am stärksten die Wiener Hochschule für Welthandel. Auf den Universitäten ging am stärksten der Zuzug zum Medizinstudium zurück.

Von einer Rückführung des Hochschul-besuches auf normale Verhältnisse kann noch bei weitem nicht die Rede sein; während im Wintersemester 1937138 17.490 Hörer inskribiert tuaren, zählte man im gleichen Zeitraum 1948149 noch immer 31.959. 80 Prozent der Hörer waren Katholiken, 11 Prozent Protestanten, 1 Prozent Juden, der Rest andere. 1948/49 beendeten 3698 Doktoren, Ingenieure, Diplomkaujleute und Pharmazeuten ihr Studium; in derselben Zeit schieden 1000 Angehörige der gleichen Berufe durch Tod aus, so daß höchstens ein Drittel des tatsächlichen Nachwuchses in die Lücken nachrücken kann. Wenn Statistiken überhaupt einen praktischen Sinn haben sollen, dann wären aus ihnen die Lehren für eine echte erzieherische Lenkung der jugendlichen Berufs- und Studienwünsche zu ziehen.

Die jüngst erfolgte Regierungsumbildung in Prag hat alte Männer auf neue Posten berufen. Als Zdenek Fierlinger, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, am 4. April 1945 in Kaschau an die Spitze der ersten Heimatregierung trat, gehörte Klemens Gottwald noch zu seinen Stellvertretern; nach den Wahlen im Sommer 1946 änderte sich die Rangordnung, Zdenek Fierlinger, der in der ersten Republik diplomatisch in Wien sein Land vertrat, bekleidete dann in den kritischen Tagen des Jahres 1938 den Posten eines Gesandten in Moskau. Seine darüber kürzlich veröffentlichten Memoiren, „Im Dienste der Tschechoslowakei“, haben — im Gegensatz zu Beneschs „Erinnerungen“ — das uneingeschränkte Lob Moskaus gefunden. Er wäre ja der geeignete Mann gewesen, die Verschmelzung von Sozialisten und Kommunisten in der Tschechoslowakei durchzuführen. Der in Brünn im November 1947 abgehaltene Parteitag machte jedoch seine Politik nicht mit, mit großer Stimmenmehrheit wurde er seines Postens als Parteivorsitzender enthoben und ging damit auch seiner Funktion als stellvertretender Ministerpräsident verlustig. Erst der kommunistische Putsch drei Monate danach, bei dem die schwankende Haltung seiner Partei die Entscheidung herbeigeführt hatte, verschaffte ihm wieder Ministerstellung, und ein halbes Jahr später war er wieder stellvertretender Ministerpräsident. Auch seine Stellung als Parteivorsitzender erhielt er wieder zurück, um das begonnene Experiment der Verschmelzung seiner Partei nunmehr vollends in die Tat umzusetzen. Gleich Fierlinger gehörte auch der neue Außenminister Viliam Sir oky in die Reihe der fünf stellvertretenden Ministerpräsidenten des Jahres 1945. Als vielseitigster Mann erwies sich Dr. Alexej C epicka, der seit 1947 der Regierung angehört, zunächst als Innenhandelsminister, seit Februar 1948 als Justizminister, seit Herbst auch als Leiter des neuerrichteten Staatsamtes für Kirchenangelegenheiten und jetzt schließlich als Nationalverteidigungsminister. Als Schwiegersohn Goltwalds von besonderem Vertrauen getragen, wird er nunmehr seine Säuberungsarbeit von der Justiz in die Reihen der Generäle und Offiziere übertragen. Bei der neuen Regierungsumbildung trat ein einziger neuer Mann, Justizminister Rais, in Erscheinung. Deutlich zeigt sich das allmähliche Beiseiteschieben von Halblingen und Konjunkturrittern und die Besetzung aller entscheidenden Posten mit alten, erprobten Kommunisten.

Uber die Wohnungspolitik Sowjetrußlands unterrichtete kürzlich aufschlußreich, wenn auch in mancher Hinsicht der Ergänzung bedürftig, die Wiener Tageszeitung der Sowjetarmee. Nach den Feststellungen dieses Aufsatzes beansprucht, der Mietzins in Sowjetrußland 4 Prozent des Lohnes einer Arbeiterfamilie. Der Verhältnissatz ist sehr niedrig; nach volkswirtschaftlicher Regel in normalen Vorkriegszeiten verbrauchte der Wohnbedarf häufig 20 Prozent des Einkommens. Nicht eingerechnet in die Mietzinsberechnung werden in Sowjetrußland die Instandhaltungs- und allfällige Renovierungskosten, die von dem Hauseigentümer, in der Regel eine Gebietskörperschaft oder der Staat, getragen werden. Nach Berechnungen des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Jänner 1950), ist der Wohnungsaufwand einer vierköpfigen Arbeiterfamilie in Österreich 2,1 Prozent des Gesamtbudgets, ein Welt-Billigkeitsrekord ohnegleichen; der aber deswegen gegenüber dem in Rußland geschaffenen Zustand anders begründet ist: in Sowjetrußland lenkt der Staat das Wohnungswesen auf eigene Rechnung. In Österreich werden die Mietzinse gelenkt durch die Belastung der privaten Hauseigentümer, die dafür gestraft werden, daß sie ein Haus besitzen.

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