6585583-1951_44_09.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

ES SCHEINT ERNST ZU WERDEN — mit der direkten Demokratie in Österreich. Endlich. Eine Meldung ließ zunächst aufhorchen. Die Referentenentwürfe des Innenministeriums zu den noch notwendigen Gesetzesvorlagen für die Abhaltung von Volksbefragungen und Volksabstimmungen sind, von den einzelnen Landesregierungen und den verschiedenen Ministerien begutachtet, wieder in der Herrengasse eingelangt. Jetzt gilt es noch in einer Reihe von Aussprachen und Konferenzen verschiedene Ansichten und Wünsche — sie stimmen im Grundsätzlichen ja übrigens überein —- auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Dann aber ist der Weg für die neuen Gesetzesvorlagen in den Ministerrat und' vor die Bänke der Abgeordneten frei. Das ist eigentlich gar kein langer Weg mehr, allein er muß ohne unnötige Aufenthalte und unschlüssiges Zögern gegangen werden. Die Durchführung von Volksbefragungen und Volksabstimmungen brauchen keine besondere propagandistische Vorbereitung, hat doch der Gedanke, das Bundesvolk zur direkten Entscheidung aufzurufen, in allen Schichten der Bevölkerung und in beinahe sämtlichen politischen Lagern zahlreiche Freunde. Auch an Fragen, die der Entscheidung des Volkes überlassen werden sollten, hat es schon heute keinen Mangel. Im Gegenteil: Immer mehr erscheinen Volksbefragung und Volksabstimmung als eine große Hoffnung, jener Erstarrung, der die so notwendige Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Parteien in einigen sehr entscheidenden Fragen ausgesetzt ist, entgegenzuwirken. Immer öfter bekennen sich deshalb auch führende Männer des politischen Lebens zur direkten Demokratie. Selbst Themen werden bereits genannt. Die anscheinend auf keine andere Art flott zu machenden Fragen von Ehe und Schule stehen, sehr zu Recht, an erster Stelle. Von einem Volksentscheid über die neuerliche Einführung der Todesstrafe wird ebenfalls wieder öfter gesprochen. Alle diese drei Fragen könnten ruhig in einem Urnengang abgestimmt werden. Sogar eine inerte Frage — mehr allerdings kaum — vertrüge der Stimmzettel des ersten Volksentscheides in Österreich. Sie könnte lauten: „Sind Sie für dieWiedereinführung der Haydn-Hymne in Österreich?“ Die Antwort auf diese Frage ließe sich schon heute voraussagen.

AUCH DIE ÖSTERREICHISCHEN STUDENTEN haben ihre Sorgen. Beträchtliche Sorgen sogar, wie man weiß. Aber die Probleme, in die jeder Stand und jede Berufsgruppe heute verstrickt sind, hemmen oft den Blick auf das Morgen. Und dieses wird einmal durch die Jugend, die heute noch durch die Tore der hohen Schulen geht, maßgebend mitbestimmt werden. Es war deshalb gut, wenn der Vorsitzende der studentischen Standesvertretung, der „österreichischen Hochschülerschaft“, wieder ein mal sich bemühte, die allgemeine Aufmerksamkeit auf den akademischen Boden hinzulenken. Die sogenannte „Kriegsgeneration“ hat ihn bereits verlassen, aber ihre Fragen sind vielfach auch die der jungen Jahrgänge. Die soziale Lage der Studierenden ist im Durchschnitt sehr gedrückt, das „Werkstudententum“ hat eine ungewöhnliche Höhe erreicht — erst unlängst meldete die Fachgruppe Juristen der Universität Wien, daß jeder fünfte Jusstudent neben seinem Studium hauptberuflich tätig ist —, und die Tuberkulose fordert gerade in den Reihen der durch manuelle und geistige Arbeit übermäßig beanspruchten Jungakademiker zahlreiche Opfer. Eine große soziale Aktion der Studentenvertreter müßte die Antwort sein! An dem Willen dazu fehlt es bestimmt nicht, allein die finanziellen Mittel werden immer dünner. Eine Verminderung der bisherigen sozialen Ausgaben, eine Kürzung des „Stipendienfonds“ droht. 16 Schilling zahlte 1945 jeder Student für seine Standesvertretung, die ihn nicht nur gegen Unfälle versicherte, sondern aus diesen Mitteln neben den Verwaltungskosten vor allem für die bedürftigen Kollegen sorgte — 16 Schilling zahlt der Student dafür auch 1951. Trotz fünf Lohn- und Preisabkommen. Bisher gelang es, die Differenz durch Sparmaßnahmen in der Verwaltung auszugleichen. Einschneidend waren diese Maßnahmen. Zu einschneidend manchmal sogar. Fielen ihnen doch unter anderem auch das „Studio der Hochschulen“, eine wirkliche Pioniertat österreichischer Studenten noch 1945, zum Opfer. Weitere Rückzüge sind heute aber kaum mehr möglich, will die Hochschülerschaft ihre Aufgaben erfüllen. Der Gedanke, S Schilling, allein für soziale Aufwendungen, als Zuschlag einzüheben, erschien deshalb durchaus gerechtfertigt. Allein er mußte fallengelassen werden. Politisches Störfeuer vereitelte ihn. Überhaupt die Politik! Sie droht in letzter Zeit die sachliche Arbeit in der Studentenvertretung zu überwuchern. Der Konflikt zwischen den sozialistischen Studenten und der „Union österreichischer Akademiker“, die alle christlich-demokratischen Verbände umfaßt, ist noch immer nicht beigelegt. Statt dessen wurde sogar die Auseinandersetzung durch einen Ausfall im Blatt der sozialistischen Studenten neuerdings verschärft; parteipolitische Exzesse statt einer allgemeinen Kraftanstrengung zur Bewältigung der so zahlreichen Probleme, vor die der österreichische Jungakademiker sich gestellt sieht: das aber ist gerade das Gegenteil von dem, was not tut.

ALS KÜRZLICH AUF GEHEISS EINER BESATZUNGSMACHT ein Buchbinderehepaar in Wien-Favoriten polizeilich vorgeführt wurde, weil es für eine andere Besatzungsmacht einen Auftrag durchführte, triumphierte das kommunistische Zentralorgan über diese nach österreichischem Recht völlig unmotivierte Festnahme und stellte fest, dieser Gewaltakt sei „zu begrüßen“. Wahrscheinlich wurde den beteiligten Genossen auch der offizielle Dank des ZK ausgesprochen, jedenfalls aber träufelte ein wenig Lob auch schon in die sonst auffallend kurze Meldung der „Volksstimme“, (Gar so stolz scheint man auf diese patriotische Tat doch nicht gewesen zu sein.) Da konnte man nämlich wörtlich lesen: „Jeder Österreicher erwirbt sich einen Verdienst, wenn er die Verbreitung dieser Schandliteratur verhindert.“ Nun hat sich vielleicht der Unterschied zwischen „der Verdienst“ und „das Verdienst“ noch nicht überall herumgesprochen. Viel wahrscheinlicher aber ist es, daß es sich bei diesem Verdienst um ein Glanzstück Freudscher Fehlleistung handelt: der Verfasser wußte wahrscheinlich recht gut, daß sich derjenige, der die Meldung von der Buchbinderarbeit an den Landkarten mit den östlichen Zwangsarbeitslagern den „zuständigen Stellen“ überbracht hatte, tatsächlich einen beträchtlichen Verdienst hatte — 30 Silberlinge sind seit zweitausend Jahren die Taxe für solche Gefälligkeiten. Weitere Aufklärungen darüber, wie man sich durch kleine Gelegenheitsarbeiten einen derartigen Verdienst erwerben kann, wird die Redaktion des genannten Blattes zweifellos bereitwillig erteilen. Wer aber durch Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge oder durch Vernachlässigung der pflichtgemäßen Schulbildung diesen Verdienst in das Zentralorgan setzte, hat sich zweifellos ein Verdienst erworben.

LIAQUAT ALI KHAN, der Premierminister von Pakistan, ist das jüngste Opfer jener, die Freiheit ernten möchten, indem sie Haß und Tod säen. Der Ermordete war ein Mann der Mäßigung, der Mitte. Als Rechtsvertreter indischer Firmen in London erstaunte er die Geschäftswelt der City ebenso durch seinen Fez wie durch das in Oxford erlernte Englisch, und als einziger „rechtgläubiger“ Dozent einer Hindu-Universität gewann er die Zuneigung seiner islamfremden Hörer durch ^die strikte Befolgung ihrer Speisenvorschriften. Dies mögen Äußerlichkeiten sein — für Liaquat Ali Khan waren sie das Zeichen einer inneren Haltung, die von der Gewißheit getragen war, daß die Zukunft seiner von Glaubens- und Rassengegensätzen zerspaltenen indischen Heimat in einer gegenseitigen Verständigung, einer aufrichtigen Annäherung und einem für alle Teile tragbaren Ausgleich liege. Dieser freundliche, joviale Moslim, der als Berater des dynamischen Begründers von Pakistan, Ali Jinnah, viel Unheil verhüten konnte und nach dessen Tod im Jahre 1948 die Ministerpräsidentschaft übernahm, hat auch tatsächlich in den drei bewegten Jahren seiner Regierungszeit einen Spannungsausgleich zwischen seinem Land und dem Indien Nehrus herbeiführen können. Wenn es trotzdem in den letzten Monaten zu einem ernsten Konflikt wegen der indisch-pakistanischen Enklave Kaschmir kam, war es gewiß nicht seine Schuld; um so höher muß die Selbstverleugnung geschätzt werden, die ihn vor vierzehn Tagen nach Kaschmir reisen ließ, um an Ort und Stelle seinen Glaubensgenossen Zurückhaltung zu predigen. Dort, wo er versöhnen wollte, ist er i *? einem gedungenen Afghanen ermordet worden. Diejenigen, die diesen Mord veranlaßt haben, weil eine Beruhigung der Gemüter, ein Abflauen des panislamischen Nationalismus, ihren Zielen zuwiderläuft, haben tatsächlich den richtigen Mann getroffen. Während die fanatisierte Moslimjugend anderer Staaten in Sprechchören Kampfhandlungen forderte, schickte Liaquat Ali Khan die Schüler und Studenten seines Landes in die Moscheen, um den Frieden zu erbitten, und folgte selbst in Demut dem fünfmaligen Ruf der Muezzin von den Minaretten von Karachi. Denn er wollte einen anderen Weg gehen: er wollte Frieden säen, um die Freiheit zu ernten. Es ist eines der vielen, aber immer wieder erschütternden Sturmzeichen unserer Zeit, daß ein so hervorragender Mensch wie Liaquat Ali Khan, gerade deshalb sein Leben lassen mußte...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung